zum Hauptinhalt
Gezwungen zum Leben im Untergrund: der Schriftsteller Roberto Saviano.

© Mike Wolff

Giovanni di Lorenzo im Gespräch mit Roberto Saviano: Wahnsinn und Widersprüche Italiens

In dem Buch „Erklär mir Italien!“ sprechen Roberto Saviano und Giovanni di Lorenzo über ihre Liebe zu einem Land, das sie verzweifeln lässt.

Kein anderes europäisches Land erfüllt die Deutschen so sehr mit Sehnsüchten und Verehrung wie Italien. Und keines so sehr mit Kopfschütteln, Rat- und Ahnungslosigkeit. Italien weckt Schönheits- und Schreckensfantasien, eine Stadt wie Neapel erscheint den nördlichen Augen als Traum und Albtraum zugleich.

Zu den Klischees, die nicht selten auch ein beachtliches Gran Wahrheit enthalten, gehört der alte Satz, dass die Deutschen die Italiener lieben, aber verachten; während die Italiener die Deutschen nicht lieben, sie indes achten. Wie sehr Italiener freilich Respekt mit neuer, inniger Zuneigung zu ihrem nicht nur wirtschaftlich so erfolgreichen Nachbarn zu verbinden vermögen, das zeigen Bücher wie Angelo Bolaffis „Deutsches Herz“ oder Roberto Giardinas „Lebst du bei den Bösen?“. Der Historiker Bolaffi, etliche Jahre Leiter des Italienischen Kulturinstituts in Berlin, und der hier lebende Zeitungskorrespondent Giardina versuchen darin, ihren Landsleuten die nach 1945 sehr gewandelten Teutonen verständnisvoll näherzubringen.

Seit letzter Woche liegt nun ein wieder aufs deutsche Publikum zielender Versuch der Annäherung in den Buchläden. Roberto Saviano und Giovanni di Lorenzo haben in den vergangenen Jahren mehrere längere Gespräche geführt, die „Zeit“-Chefredakteur und Tagesspiegel-Herausgeber di Lorenzo zusammengefasst hat unter dem Titel „Erklär mir Italien! Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt?“

Saviano ist der Erzähler und Erklärer

Die schöne Frage bezeichnet sogleich die Widersprüche des Sujets. Und beide Autoren sind in ihnen selbst befangen: ein deutscher Journalist mit doppelter Staatsbürgerschaft, als Sohn eines Italieners und einer Deutschen die ersten zehn Lebensjahre in Rom aufgewachsen, danach in Hannover (ein gewisser Kontrast). Sein Gesprächspartner der durch den Mafia-Reportageroman „Gomorrha“ vor einem Jahrzehnt weltberühmt gewordene und seitdem von der Camorra verfolgte, unter Polizeischutz an wechselnden Orten Italiens oder in New York lebende Neapolitaner Roberto Saviano.

Wie in den gleichfalls über Jahre geführten Gesprächen mit Helmut Schmidt stellt Giovanni di Lorenzo zumeist die Fragen – als Italien-Kenner und gleichwohl Neugieriger. Saviano ist der Erzähler und Erklärer, er versucht als der von den Schatten seines Landes Gejagte immer wieder ein Licht zu werfen. Auf seine Heimsuchungen (im doppelten Wortsinne). Er möchte in die Abgründe eines Landes leuchten, das höchste Lebenskultur mit dem Todeskult und dem Krebsgeschwür der so viele Bereiche der Politik, der Wirtschaft und des Alltagslebens durchwuchernden Mafia verbindet.

Tatsächlich nehmen die Camorra Neapels und Kampaniens, die N'Drangheta Kalabriens, die Cosa Nostra Siziliens und ihre Ausbreitung nach Norden, auch nach Deutschland, große Partien des Gesprächsbands ein. Wer Savianos Bücher und Artikel gut kennt, wird da nicht unbedingt Neues erfahren, für den, sagen wir: Normalinteressierten aber hat Savianos Kompetenz allemal ihren düsteren Reiz. Berichtet er etwa über „Baby-Killer, die Logik der Grausamkeit und das Hundeleben der Mafiosi“, ist das von beeindruckender Detailfülle. Di Lorenzo fragt zudem nach, wann Saviano das erste Mal einen Ermordeten gesehen habe – und die hierauf folgende Kindheitserinnerung wirkt erschütternd.

Charme und Schamlosigkeit

Ein Land, das aus vielfach divergierenden Regionen besteht und nur bei Fußballweltmeisterschaften oder in neuen, populistischen Aversionen gegen Europa (Brüssel, Berlin) sich als Nation geriert. Italien, ein Land, in dem sich Anarchie mit Bürokratie, Egoismus mit Großherzigkeit, Charme mit Schamlosigkeit und Kirche mitunter sogar mit Kommunismus vereint oder zumindest in inniger Hassliebe verzweit. Viel wird da im Dialog der beiden Freunde angesprochen. Eine Leit- und Leidfigur, weil prägend für Italiens Politik und ihre tief in die Gesellschaft dringenden Verwerfungen, ist da Berlusconi. Als Vorgänger Trumps, als vermeintliches Gespenst und jetzt nochmals realer Wiedergänger.

Bei Saviano kommen auch Matteo Renzi oder die nach rechts gedriftete Bewegung Cinque Stelle kaum besser weg als Berlusconi, der Hurenmagnat. Allerdings argumentiert Saviano im Historischen oft gebildeter und prägnanter als im politisch Aktuellen, wo seine sympathischen Emotionen auch eigene Widersprüche kreieren. So erscheinen ihm Italiens Politiker grundsätzlich als korrupte, mehr oder minder kriminelle Täter. Worauf er im beinahe nächsten Atemzug sagt: „Politiker zu werden, bedeutet heute, sich wie ein Opferlamm auf den Altar seines Landes zu legen, das nur daran interessiert ist, dich in Stücke zu zerlegen.“ Mamma mia!

Immigration als Rettung

Italiens Mütter und Übermütter spielen naturgemäß auch eine Rolle, wie Kinder, Kirche, Küche, wie die Kultur der Städte, das südliche Licht über allem südlichen Abgrund. Witzig ist, wenn Giovanni di Lorenzo, sich selbst als deutsch gewordener Pedant ironisierend, bei seinem Freund dessen Freiheit im Umgang mit Terminen und Verabredungen anspricht. Roberto kann gegenüber Giovanni dann immerhin zur milden Entschuldigung auf sein durch das Leben im bewachten Untergrund verursachtes besonderes Chaos verweisen.

Spannend und im freundschaftlichen Dialog dann ansatzweise auch spannungsvoll, ist die Auseinandersetzung über die Flüchtlinge. Über alle realpolitischen Probleme hinweg beschwört Saviano für den durch Armut entvölkerten Süden die Immigration als Rettung. So hätten die Afrikaner die kalabrische Kleinstadt Riace wirtschaftlich und kulturell wiederbelebt. Als Vorbild für Italien und Europa. Giovanni di Lorenzo bleibt da skeptisch, auch wenn er als mittlerweile Hamburger Italiener mehr Hoffnung zu haben scheint für das Land als sein guter Freund.

Roberto Saviano/Giovanni di Lorenzo: Erklär mir Italien! Übersetzung Sabina Kienlechner. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 266 Seiten, 20 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false