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Anziehungspunkt für Feierbiester: Clubbesucher auf dem RAW-Gelände an.

© Paul Zinken/dpa-Bildfunk

Umbau des RAW-Geländes: Gewinnt die Party oder der Kommerz?

Das RAW-Gelände in Friedrichshain bekommt neue Hochhäuser, soll aber ein Biotop für die international angesagte Szenekultur bleiben. Ob das klappt?

Es gibt sie noch, die typische Berliner Nachwende-Szene. Damals, kurz nach dem Fall der Mauer, besetzten bunte Truppen aufgelassene oder gar ruinöse ehemalige Gewerbegrundstücke in der Osthälfte der Stadt und nutzten sie für Freilichtclubs, Biergärten, Freilichtkino, Bandprobenräume, Gebrauchtwarenhandel, Kunstgalerie und allerlei skurrile Party- und Freizeitaktivitäten.

Das Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks in Friedrichshain an der Warschauer Straße ist eines der wenigen größeren Areale, auf denen sich ein solches eigenartiges Biotop mit halblegalem Status erhalten hat und das letzte innerhalb des S-Bahnrings.

Die Szene strahlt aus, auf den Stadtteil, auf den Bahnhof, nicht zu aller Freude, denn Begleiterscheinungen des Treibens der Fun-Generation sind Lärm, Müll und Drogenprobleme. Dass die Szene erhalten bleibt, wofür es genügend gute Gründe gibt, von der Vielfalt urbanen Lebens bis zum Tourismus und zum internationalen Image der Stadt, ist nicht gesichert.

Denn die Verhältnisse arbeiten dagegen. Der kommerzielle Verwertungsdruck auf den bestens gelegenen und erschlossenen Grundstücken ist enorm. Außerdem gibt es einen gesellschaftlichen Druck auf die Szene.

Der kommerzielle Verwertungsdruck ist groß

Der Staat ist programmiert, Ordnung zu schaffen und durchzusetzen. Aber mit nichts kann man eine freie Szene effektiver kaputt machen als mit Hygienevorschriften, Feuerschutz, Fluchtwegeregelungen, Gewerbeaufsicht, Lärmschutz. Das bedeutet, die Syntropie ist in diesem Fall stärker als die Entropie. Syntropie, Ordnung schaffen, ist immer auf Zufuhr von Energie angewiesen (Unordnung auf dem Schreibtisch entsteht von selbst, Aufräumen ist ein Kraftakt).

In der Stadtentwicklung sind Kapital und Renditeerwartung die Triebkräfte, die bewirken, dass aus ihrer Sicht aus dem Ruder laufende, sich entropisch entwickelnde, ungeordnete oder selbstorganisierende Strukturen „aufgeräumt“ werden, damit sie wieder „ordentlich funktionieren“.

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Will man also eine Szene wie die auf dem RAW-Gelände erhalten und zukunftsfähig machen, wofür es durchaus einen politischen Willen zu geben scheint, kann man das Areal nicht den üblichen selbstlaufenden Mechanismen der Stadtentwicklung und Grundstücksvermarktung überlassen, sondern muss vonseiten der Politik und Verwaltung Kraft und Fantasie aufwenden, um Positives für die Stadtgesellschaft zu erreichen.

Das geht meist, aber nicht immer und zwangsläufig zulasten der Renditemargen der an der Sozialbindung des Grundeigentums nicht interessierten Developer. Denn es schmälert den Gewinn. Der Mehrwert hingegen liegt im gesellschaftlichen Bereich, und den soll gefälligst der Staat bezahlen.

Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus: Das sind die Neubau-Visionen für das RAW-Gelände in Berlin-Friedrichshain

Die Instrumente, die der Politik zur Verfügung stehen, sind nicht allzu scharf. Im Planungs- und Genehmigungsbereich kann man Nutzungsabsichten nicht ohne Weiteres einschränken oder steuern. Stärkster Pfeil im Köcher ist der Bebauungsplan, mit dem zum Beispiel erreicht wurde, dass ein 100 Meter hoher Büroturm im Gegenzug die Freihaltung weiterer Flächen ermöglicht. Und in dem das „Soziokulturelle L“ ausgewiesen ist, eine L-förmige Fläche von Bestandsbauten mit einer 30-jährigen Bestandsgarantie und niedrig bleibenden Mieten.

Die informellen Nutzungen werden verschwinden

Aber auch in den Neubaubereichen geht es um „weichere“ Ziele und einen „Wertekatalog“, der mit den Eigentümern (mehrheitlich die Göttinger Kurth Gruppe) vereinbart wurde: um Überzeugungsarbeit also. Aber wenn Lauritz Kurth davon spricht, dass das Areal organisch entwickelt werden und seiner Geschichte treu bleiben solle, dann bleibt das weitgehend auf interpretatorischer Ebene.

Man wird jede Menge Sachzwänge vorschieben, um das Bauvorhaben Richtung Rendite zu trimmen und es gibt wenig Handhabe dagegen, zumal die behördlichen Auflagen (s.o.) in ähnliche Richtung gehen.

Verschwinden werden demnach die oft informellen Nutzungen, der Trödler zum Beispiel, der in der ruinösen Halle seine Kundschaft empfing, der Suicide Club, die Urban Spree Galerie oder der Drumtrainer für Schlagzeugfans.

Wie soll man dieses Fluidum erhalten, wenn alles weggeräumt, neu und perfekt geplant und eingerichtet und als kommerziell aufgestellter Betrieb wieder eröffnet werden soll? „Der Geschichte treu bleiben“, „den Charakter erhalten“, das ist schlicht unmöglich, das bleiben leere Worte der Protagonisten, die damit ihre Projekte verbrämen und ihre Ziele durchsetzen wollen und werden.

Das RAW-Gelände im Jahr 2020.

© Kitty Kleist-Heinrich, TSP

Der Konflikt ist im Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans beschrieben: „Neben den öffentlichen Belangen, wie z.B. der Erhalt soziokulturell genutzter Flächen und Angeboten, die öffentliche Zugänglichkeit des Geländes und von urbanem Grün sowie ein breites Angebot an Freizeit- und Bildungsangeboten müssen auch die privaten Belange in die Abwägung eingestellt werden, dazu gehört, dass dem Eigentümer eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht werden soll.“ Das verheißt angesichts der gegenwärtigen Finanzierungs- und Baupreisentwicklung überhaupt nichts Gutes.

Laut Masterplan sollen einige Gebäude erhalten bleiben

Immerhin, ein städtebauliches Desaster wie die Europacity am Hauptbahnhof ist nicht zu befürchten. Es gab eine „Dialogwerkstatt“ 2018 und eine „Werkstatt Masterplan“ 2021 mit vier konkurrierenden Teams, nach der das Konzept des Büros Holzer Kobler Architekturen (Zürich/Berlin) in Zusammenarbeit mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten (Berlin) als Zielkonzept zur Ausfertigung eines Masterplans einstimmig ausgewählt wurde (Tsp vom 5. 4.2022).

Der Masterplan sieht die Erhaltung einer Reihe von denkmalgeschützten Gebäuden vor sowie der Umfassungsmauern mehrerer historischer Werkshallen. Erhalten bleibt auch der Kletterpark „Der Kegel“, benannt nach einem alten kegelförmigen Hochbunker, an dem Kletterwege montiert sind. Ringsum kamen in älteren Bauteilen und Hallen weitere, bis zu 18 Meter hohe Kletter- und Boulderwege hinzu, insgesamt 72 Routen, dazu die nötige Infrastruktur, Shop, Ausrüstungsausleihe, Café usw. Das Ganze hat den Charme des Provisorischen, Gewachsenen, und wird von Leuten in familiärer Atmosphäre betrieben, denen die Anlage sichtlich ans Herz gewachsen ist.

Das Kulturhaus Astra bekommt eine neue Veranstaltungshalle. Beim „Haubentaucher“ wird innerhalb der historischen Fassade eine neue Markthalle errichtet. Im rückwärtigen Bereich soll auf einer größeren zusammenhängenden Fläche ein bis zu siebengeschossiges Büroensemble entstehen, das „Berlin Forest“ genannt wird und üppig begrünt sein soll. Wie übrigens die Simulation des gesamten Geländes auf Dächern und Freiflächen viel Grün verspricht. Blickfang ist das Hochhaus im vorderen Bereich, mit einem sehr differenzierten Baukörper. Ob es sich freilich, kleinteilig und begrünt, dem übrigen Gelände anpassen wird, bleibt dem Ergebnis eines Architektenwettbewerbs vorbehalten. Da kann man nur der Jury höhere Einsicht wünschen.

Es braucht starken Willen von Seiten der Bauverwaltung

Kritiker erwarten einen offenkundigen Bruch zwischen den konservierten Nutzungen des „Soziokulturellen L“ und den das „L“ bedrängenden, höheren und dichteren, extrem kommerzialisierten Neubauten. Es ist ein Spiel mit offenem Ende. Werden die jungen Berlintouristen auch künftig kommen, um hier in die Szene einzutauchen? Oder lässt das höhere kommerzielle Level spontane Aktivitäten, liebenswerte Provisorien und nonchalante Partybetriebe mit der Zeit ausdörren?

Mit dem differenzierten Holzer Kobler-Entwurf ist die Chance einer gewissen Kontinuität gegeben. Nun kommt es darauf an, dass die Bauverwaltungen standhaft bleiben und ihn in allen wesentlichen Punkten auch durchsetzen. Es kommt darauf an, dass der bislang ausgeklammerte Ostteil des Geländes im selben Geist entwickelt wird, damit der Hotspot der Privatbrauerei Schalander als Zielpunkt der „RAW-Mainstreet“ weiterlebt.

Letztlich liegt es am guten Willen der Bauherren, bei Planung und Betrieb des RAW Areals mit synergetischen Mietern die Idee des „Modellprojekts in Sachen Gemeinwohlorientierung“ und die Erhaltung des etwas rauen Charmes ernst zu nehmen. Damit das RAW im Ganzen als strahlkräftige Marke wirksam und erhalten bleibt. Das ist nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse.

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