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Kristine de Loup erblickt als "Kübelkind" das Licht der Welt.

© Edgar Reitz Filmstiftung

„Geschichten vom Kübelkind“ im Forum: Cleopatra streift durch München

Filmische Experimente: Die Kurzfilmserie "Geschichten vom Kübelkind" von Ula Stöckl und Edgar Reitz kommt in neuer Frische auf die Kinoleinwand.

Filme wandern aus dem Kino aus, das gilt nicht erst seit dem digitalen Zeitalter. Ein lange als Geheimtipp kursierendes Beispiel für experimentierfreudige Guerilla- Methoden kommt nach 50 Jahren nun frisch restauriert sogar auf die Leinwand zurück. 1970/71 drehten Edgar Reitz und Ula Stöckl in rund um München mit Freunden, Verwandten und Freiwilligen die „Geschichten vom Kübelkind“, eine Serie von 16mm-Film-Moritaten um ein wider Willen anstößiges Mädchen. Kristine de Loup, Ula Stöckls Entdeckung in „Neun Leben hat die Katze“, macht sich da als bedürftiges Findelkind, anmutiges Girlie und schräger Filmstar mit Cleopatra-Perücke auf den Weg, die Münchener Kleinbürgerwelt aus sturen Verboten und saftigen Gemeinheiten zu durchstreifen.

22 Episoden lang narrt die naive Überlebenskünstlerin säuselnde Jugendamtshelferinnen, Pflegefamilien, dümmliche Freier und andere übergriffige Typen aus dem bayrischen Normalo-Kosmos. Sie bleibt dabei stets friedfertig und ganz bei sich und reagiert im Zeitraffer mit pittoreskem Fluchtinstinkt. Und kann doch immer weniger Gut und Böse auseinanderhalten. Ausgerechnet Werner Herzog in der Rolle eines charismatischen Perversen erwürgt das Kübelkind in furchterregend realistischer Manier, bis es sich als unzerstörbarer Comicvampir ins Reich der cineastischen Spukgeister entlässt.

Kneipenkino aus der Not heraus

Ein Dokumentarfilm von Robert Fischer wird am Donnerstag noch einmal in die verdrängte Geschichte des Flirts deutscher Filmemacher mit dem Undergroundkino zurückblättern. Ula Stöckls Festivalerfolg „Neun Leben hat die Katze“ verschwand 1969 vom Radar, als ihr Verleih kurz vor dem Kinostart bankrott ging. Edgar Reitz’ Ehegeschichte „Strohfeuer“ lief damals zwar gut und gewann Festivalpreise, wurde dann aber aus den Kinos zurückgezogen. Verleihfirmen sattelten auf die profitable Auswertung von Softpornos um, manche stiegen sogar als Koproduzenten ins Geschäft ein. Notwehr war, was Edgar Reitz und Ula Stöckl dazu brachte, „Geschichten vom Kübelkind“ in einem Münchener Kneipenkino aufzuführen. Auf einer „Speisekarte“ konnten die attraktivsten Episoden angekreuzt werden, die dann von Abend zu Abend neu das Überraschungsprogramm bestimmten.

„Kübelkind“ wirkt manchmal idealistisch und ist ein wunderbar subversives Spiegelbild deutscher Mentalitäten. Die Wiederentdeckung lohnt sich, vor allem, wenn sie – wie Edgar Reitz in Aussicht stellt – in Zukunft öfter in Kneipenkinos möglich wird.

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