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Eingesperrt im eigenen Hinterhof: Carolin (Anne Ratte-Polle), Henrike (Luise Heyer) und Eli (Jonathan Berlin) versuchen, mit der Polizei zu reden.

© Emre Erkmen

Gentrifizierungsdrama „Black Box“ im Kino : Ausnahmezustand im Hinterhof

Gentrifizierung, Terrorangst, Rassismus, Pandemie: Die Regisseurin Aslı Özge entwirft in „Black Box“ das beklemmende Porträt einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft.

Von Andreas Busche

Der Eindringling kommt von oben. Eines Morgens steht der Glaskubus in dem Weddinger Hinterhof; die Aufschrift „East West Management“ prangt auf dem Büro-Container, der die Mülltonnen im Hof verdrängt. Zur Begrüßung wird Johannes Horn (Felix Kramer), der neue Verwalter des Altbau-Ensembles, erst mal aus den oberen Stockwerken mit einem Ei beworfen. Feindliches Territorium. „Das sind die Gewinner der Pandemie“, meint der Anwohner Thibaut (Marc Zinga) nach einem Blick auf den Flyer des Immobilienkonzerns. Worauf der Lehrer Erik Behr (Christian Berkel) den Zettel im Hof anzündet, wo dieser weiter vor sich hinkokelt.   

Seit 23 Jahren pendelt die in Istanbul geborene Regisseurin Aslı Özge zwischen ihrer Geburtsstadt und Berlin, sie verfügt damit über eine Perspektive auf Deutschland, die man in der Systemtheorie „teilnehmende Beobachtung“ nennt. In ihrem fünften Spielfilm „Black Box“ steht der Glaskasten, ein modernes Panopticon, symbolisch für diese Betrachterinposition.

Blick von außen auf Deutschland

Für den britischen Philosophen Jeremy Bentham war diese räumliche Anordnung ein typisches Modell westlich-liberaler Disziplinargesellschaften. Die Blicke gehen in beide Richtungen: Horn sitzt überwachend in seinem Büro, gleichzeitig können die Anwohner stets sehen, mit wem von ihnen der Neuankömmling gerade spricht. Die ultimative Machtgeste in einem fragilen sozialen Konstrukt wie einem Mietshaus.

Blicke verfassen gewissermaßen das Erzählprinzip von „Black Box“, eine Reminiszenz an Hitchcocks „Fenster zum Hof“. Wenn Henrike (Luise Heyer) nachts angespannt am Fenster raucht, kann sie in die Wohnung von Ismail (Timur Magomedgadzhiev) gegenüber gucken, der eine Affäre mit der aus dem Libanon stammenden Madonna (Manal Issa) hat. Die Nachbarin aus der Wohnung drüber wird im Haus nur „die Iranerin“ genannt.

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Der ebenfalls als nahöstlich gelesene Ismail stammt eigentlich aus der Kaukasusrepublik Dagestan, in seiner Wohnung bereitet er Protestplakate gegen die russische Invasion in der Ukraine vor. Aber die äußerlich liberale Hausgemeinschaft (Ärzte, Lehrer, Latte-Macchiato-Trinker und Pilates-Fans) hat das Urteil über die beiden lange gefällt, bevor die Polizei in einer Großrazzia den Hof absperrt.   

Der Ausnahmezustand ist der Modus von Özges Paranoia-Film, ohne dass sich die Gefahr manifestiert. Die Polizei hat eine Terrorwarnung erhalten, niemand darf den Hof verlassen. So bleibt die Bedrohung in „Black Box“ diffus, in der politischen wie sozialen Rhetorik dennoch konkret genug, dass die Absicht allzu durchschaubar ist.

„Warum kann es nicht wieder so schön wie früher sein?“, verteidigt Horn seine Gentrifizierungspläne (die Familienbäckerei im Haus soll einer Kunstgalerie weichen) – ausgerechnet gegenüber Thibaut, der einzigen Person of Color, die von der Hausgemeinschaft als einer der Ihren akzeptiert wird. Zu Ismail sagt Horn, als die Polizei vor dessen Wohnungstür steht: „Wir verhandeln nicht mit Terroristen!“ Auf Russisch.

Ähnlich wie  Ilker Çataks „Das Lehrerzimmer“ ist „Black Box“ die Parabel auf eine zutiefst verunsicherte Gesellschaft, deren Brüchigkeit schon durch eine kleine Störung in der Konstellation zutage tritt. Wo bei Çatak die Zuspitzungen im Mikrokosmos Schule aber ein Scheitern der sozialen Kommunikation beschreiben, versucht sich Özge – an der Schnittstelle von Gentrifizierung, Terrorangst, Rassismus und Pandemie – an einem größeren gesellschaftlichen Stimmungsbild, mit starken politischen Untertönen.

Doch die Dichte an Themen überstrapaziert das Drehbuch von „Black Box“ auch, je weiter die Situation im Hinterhof eskaliert. Für eine einzelne Hausgemeinschaft steckt zu viel politische Brisanz in der Geschichte, die Dramaturgie erstarrt im Parabelhaften. Als Chronistin des Zerfalls des bürgerlichen Subjekts in der deutschen Gesellschaft steht Özge in der Tradition des iranischen Filmemachers Sohrab Shahid Saless. Vielleicht muss man sich vorerst aber mit der Erkenntnis begnügen, dass unsere aktuellen Krisen so komplex sind, dass das Kino gerade nicht über die bloße Beschreibung der Symptome hinauskommt.

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