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Genesis live in Berlin: Last Man Sitting

Sie wurden die unwahrscheinlichsten Stars des Pop. Wie Genesis die Tiefe ihres Werks beleuchten - mit einem Sänger, der zur Demut verdammt ist.

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Vielleicht sollte man mit dem Ende beginnen. Denn dass es ein Ende ist, steht außer Frage.

Zwar hat Phil Collins schon öfter seinen Abschied von der Band verkündet, mit der er berühmt geworden ist, bevor er als Solokünstler zum Superstar wurde. 1996 kehrte er Genesis erstmals den Rücken, um es dann knapp 15 Jahre später doch nicht ganz so kategorische gemeint zu haben. Und 2007 erklärte er beim Abschlusskonzert einer Tour, die Tour nicht genannt werden durfte, weil er zu touren aufgehört habe, dass er seine beiden Bandgefährten Mike Rutherford und Tony Banks liebe, nun jedoch für ihn vorbei sei. Er verließ die Band abermals.

Um sich nicht dran zu halten.

Diesmal sagt er nichts. Aber jeder kann sehen bei dem ersten von zwei Berliner Konzerten, die wegen der erzwungenen Corona-Unterbrechung ins neue Jahr verlegt worden sind, dass Collins Abgang ein erzwungener ist. Wegen eines schweren Rückenleidens geht der Sänger am Stock, ein schlecht gealterter Greis von etwas über 70 Jahren, der das Konzert sitzend auf einem Drehstuhl bestreitet. Die Beine wollen nicht mehr, ein Arm auch nicht. Er ist zum schmalen Männlein mit verkniffener Visage geworden. Ein Schatten seiner selbst. Und als er von der Bühne geht nach 23 Songs und weit über zwei Stunden Spielzeit, da ist das ein letzter Akt.

Setz dich und hör' mir zu

Trotzdem liegt nichts Bedrückendes über dem Abend. Man fühlt sich nicht zum Zeuge des kläglichen Schauspiels einer weit über das Verfallsdatum hinaus sich abmühenden Dinosaurier-Band gemacht. Genesis waren immer größer, raumgreifender, machtvoller als die einzelnen Musiker. Und das beweist auch die „The Last Domino“-Tour.

„Sit down, sit down“, singt Collins, nun selber sitzend versöhnlich an ein Publikum gewandt, das ebenso wenig davonkommen wird wie er. „‘Cos you won’t get away / Let us relieve our lives in what we tell you.“ Ja, in Geschichten wird das Leben erträglicher. Oder, wie es am Ende heißen wird: „We’ve got to get in to get out.“ Collins streckt die Hand aus, um uns durch eine existenzielle Verstörung zu führen. Dasein ist ohne die Hinfälligkeit der „fading lights“ nicht zu haben.

Glanz ist was anderes. Phil Collins (Mitte) bringt eine Tiefe und Demut in die Musik von Genesis zurück, die ihre Hits hatten vergessen lassen.
Glanz ist was anderes. Phil Collins (Mitte) bringt eine Tiefe und Demut in die Musik von Genesis zurück, die ihre Hits hatten vergessen lassen.

© IMAGO/Votos-Roland Owsnitzki

Für die Journalisten beginnt das Konzert mit einer etwas ungewöhnlichen Geste. Sie werden in einer Lounge in den Katakomben der Mercedes-Benz-Arena versammelt, wo der langjährige Genesis-Agent John Giddings mögliche Fehler der Band damit entschuldigt, dass sie nur fünf Tage Zeit zum Proben gehabt habe. Bis zuletzt war unklar, ob die Corona-Regeln ein Konzert dieser Größenordnung überhaupt möglich machen würden.

Giddings Sorgen sind unberechtigt. Zumal der weiße Elefant nicht zu übersehen ist.

Genesis ist eine routinierte Maschine, das neueste Stück „I Can’t Dance“ stammt von 1991. Gitarre spielt seit 45 Jahren Daryl Stuermer. Allerdings fehlt der langjährige Tour-Schlagzeuger Chester Thompson. Und da Collins, der sich mit ihm früher ausgiebig donnernde Drum-Duelle lieferte, keine Sticks mehr halten kann, hat die Aufgabe nun Sohn Nicholas übernommen.

Der 20-Jährige ist der Grund, warum es Genesis überhaupt noch einmal auf die Bühne schaffen. In Energie und Stil seinem Vater durchaus ähnlich, konnten sich Rutherford und Banks mit ihm als Ersatz anfreunden, nachdem sich abzeichnete, dass Phil Collins gesundheitliche Probleme chronischer Natur sein würden. Es ist eine undankbare Rolle für den Sohn, aber er absolviert sie mit Bravour. Und für den Alten scheint es das Beste zu sein, seinem Gram nicht allein überlassen zu bleiben. Wie zerstörerisch er mit sich umgeht, ist in Boulevardblättern hinlänglich beschrieben.

Der Schatz der frühen Jahre

Bei ihrer ersten Reunion Mitte der nuller Jahre, Nicholas war vier Jahre alt, hatten Genesis ihren Frontmann mit der Idee zurückgelockt, das legendäre Album „Lamb Lies Down On Broadway“ von 1974 aufzuführen. Es handelt übrigens wie „Saturday Night Fever“ ein paar Jahre später von den Konflikten eines puerto-ricanischen Jugendlichen in New Yorks Disco-Szene. Da es in weiten Teilen vom damaligen Sänger Peter Gabriel konzipiert und geschrieben worden war, hofften Rutherford, Banks und Collins, auch ihn für die Sache zu gewinnen. Doch Gabriel zierte sich.

Immerhin war ein Anfang gemacht. Zu dritt baute man ein Programm zusammen, das bis heute unverändert ist und den Sinn der Band fürs Übernatürliche, Irre mit der Kraft großer Popmelodien kombiniert. Neben den Hits der 80er Jahre „Mama“, „Land of Confusion“, „Tonight, Tonight, Tonight“, „Invisible Touch“ und „Home By The Sea“ nimmt der Anteil des Absurden, der weit in die 70er zurückreicht, erstaunlich viel Raum ein. Das reicht von „The Cinema Show“ über das barocke  „Firth of Fifth“ bis zu weiteren vertrackten Endloskompositionen der „Lamb“-Phase, die mit Tempowechseln, 7/8- und 13/16-Metren zum Kulturgut des britischen Progrock gehören. Anhören kann man sich dien narrativen Bombast heute nur, weil die Band ihn in energische Spannungsbögen presst. Zum emotionalen Zentrum gerät dabei das Übergangsalbum „Duke“ von 1980, von dem sie sich die Euphorie erhalten.

Aus dem vitalen Kraftpaket Phil Collins ist ein schmales Männchen geworden, dessen Beine ihm zu schaffen machen.
Aus dem vitalen Kraftpaket Phil Collins ist ein schmales Männchen geworden, dessen Beine ihm zu schaffen machen.

© IMAGO/Votos-Roland Owsnitzki

Es ist kein Geheimnis, dass Genesis für Phil Collins Mitte der 90er Jahre an Bedeutung verlor, weil er glaubte, seine Beziehungsprobleme künstlerisch besser verarbeiten zu können, wenn er das alleine täte. Die Hitparade gab ihm Recht. Doch wie das Männlein heute auf der Bühne sitzt, umgeben von seinen Gefährten, dem feingliederigen Ironiker Rutherford und dem stillen General in seiner Keyboard-Festung Banks, und in „That’s All“ von der Scham singt, die ihn sprachlos machte und niederdrückte, da versteht man: Was bleibt von all den Obsessionen und Kämpfen eines Lebens, ist Musik. Wenn man Glück hat.

Und Genesis hatten Glück. Ihr Aufstieg in den 70er Jahren fiel mit dem ausgebrannten Ende der Rock-Ära zusammen. Viele große Bands hatten aufgehört, als die Briten selbst plötzlich nur noch zu dritt waren. Keiner von ihnen mit der Aura eines Popstars gesegnet. Aber immerhin hatte Collins mit den Folgen einer Scheidung umzugehen. Sein hartes Selbstmitleid lieferte Stoff für Hits.

Ich könnte, aber ich tu's nicht

„Genesis könnte eine so fantastische Band sein, wenn wir nur mehr Talent hätten“, hat Collins einmal in einer Doku gesagt. Er meinte das nicht kokett. Tatsächlich bilden Disziplin, Kontrolle, Hartnäckigkeit den Kern des Genesis-Erfolges. Es setzt den Rahmen, um sich in bester britischer Tradition mit den Folgen kultureller Gefühlskälte auseinanderzusetzen.

Wie oft singt Collins davon, nicht alleine sein zu können? „I could leave, but I don’t go.“ So ist er. Er bleibt – mit brüchiger Stimme, die krächzend an Zeilen entlangschrappt, für die er kaum noch schnell genug artikulieren kann. Er fällt auf die Rolle eines gebrechlichen Soul-Sängers zurück, der noch einmal, bevor es zu spät ist, in den Melodien einer 50-jährigen Popkarriere aufgeht. Bei hohen Tönen unterstützen ihn zwei Backgroundsänger. Für das – ihm selbst peinliche – Gehampel früherer Tage fehlt ihm der Körper. Collins ist zu einer Art Yoda geworden. Seine Defizite werden aufgewogen durch die Größe, sie zu zeigen.

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