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Beat is Boss: JD Grace Kelly kam vor 18 Jahren aus Bahia nach Berlin.

© Thilo Rückeis

"Copa da Cultura" im Haus der Kulturen: Gemischte Platte

Von Samba über Bossa bis Baile Funk: Die „Copa da Cultura“ im Haus der Kulturen feiert die Musikkultur des WM-Gastgeberlandes Brasilien – ein Streifzug mit DJ Grace Kelly.

Zuckerhut und Christusstatue, Neymar und Ronaldo, glückliche Straßenfußballkinder, Sambatänzerinnen und viel ausgestellte Lebensfreude. Das alles ist im Clip von „We Are The One (Ole Ola)“, dem offiziellen WM-Song des amerikanisch-kubanischen Rappers Pitbull, zu sehen. Unterstützt wird er bei dem größtenteils auf Englisch und Spanisch gesungenen Stück von Jennifer Lopez und der brasilianischen Sängerin Claudia Leitte.

„Schrecklich und klischeehaft“ findet die seit 18 Jahren in Berlin lebende Brasilianerin DJ Grace Kelly das Video. „Brasilien“, sagt sie, „braucht so etwas nicht“ und fügt hinzu: „Wir haben einfach viel mehr anzubieten.“ Das Land ist zu groß und zu vielfältig, um sich auf ein paar Klischees reduzieren zu lassen, die in einen vierminütigen Pitbull-Clip passen. Was die Fußball-WM mit Brasilien anstellt, die Proteste gegen das Mega-Event sieht man darin natürlich nicht. „Die Favelas werden kontrolliert. Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben und die Strände sind sauber wie nie“, sagt Grace Kelly, „und alles nur, damit sich die Fußballtouristen wohlfühlen.“

Auch musikalisch bietet Brasilien mehr als das einschlägig Bekannte, mehr als Samba und Bossa. Grace Kelly liebt beides, sagt sie, Samba mehr als Bossa, der ihr zu verkopft ist. Aber wenn sie auflegt, elektrifiziert sie brasilianische Klänge und Rhythmen am liebsten bis zur Unkenntlichkeit. Sie benutzt brasilianische Musik nicht als Geschmacksverstärker wie Jazzanova oder ähnliche Acts. Die Eleganz des Bossa Nova, der einst selbst Frank Sinatra erlag, interessiert sie ebenfalls wenig. Bei ihr geht es nicht um die reibungslose Fusion, sondern um das Gegenteil, den hörbaren Clash der Kulturen, Tradition trifft auf Moderne – alte Sambarhythmen auf Mash- Ups und Baile Funk, eine Hip-Hop-Variante aus den Favelas von Rio de Janeiro. Jedes ihrer DJ-Sets soll genau die sterilen Klischees zerstören, die die brasilianische Tourismusindustrie und Figuren wie Pitbull immer noch verkaufen wollen.

Bixiga 70 und Sergio Mendes beim Festival "Copa da Cultura"

Zum Endspiel der Fußball-WM legt Grace Kelly im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf. Auch mit ihrer Percussion-Combo Rainhas do Norte wird sie an diesem Abend auftreten. Es ist das Finale des am heutigen Donnerstag startenden Festivals „Copa da Cultura“, das während der gesamten Weltmeisterschaft läuft. Alle Spiele werden gezeigt, dazu gibt es brasilianische Musik. Am Eröffnungsabend tritt etwa Bixiga 70 auf, eine brasilianische Jazzfunkband mit Bläsern. Ein Highlight ist das Konzert von Sergio Mendes (7. Juli).

Der 73-Jährige ist einer der ganz Großen aus der Bossa-Ära, der musikalisch nie Berührungsängste hatte. In den späten sechziger und siebziger Jahren bewegte er sich irgendwo zwischen Easy Listening und Jazz und erst jüngst hat er mit so unterschiedlichen Musikern wie den Black Eyed Peas und Stevie Wonder zusammengearbeitet. Ein mutiger Mann. Hip-Hop-Bossa-Nova, das hat er bewiesen, ist nichts, wovor er zurückschrecken würde.

Samba, Bossa, Tropicália

Diese Fähigkeit, sich Bestandteile anderer Kulturen anzueignen, sie sich regelrecht einzuverleiben, ist ein Kennzeichen der brasilianischen Kultur, meinte der 1890 in São Paulo geborene Dichter Oswald de Andrade und machte diese Theorie zum Kern seines berühmten „kannibalischen Manifests“. Die Tropicália-Bewegung Ende der Sechziger, eine extrem politisierte Musikrichtung, deren Protagonisten sich mit der damaligen Militärdiktatur in Brasilien anlegten, griffen Andrades Theorien auf und intellektualisierten mit ihnen ihre Musik.

Tropicália verband das Volkstümliche der Samba mit dem Elitismus des Bossa, dazu „kannibalisierte“ sie englische und amerikanische Psychedelic Music, die Beatles und Jimi Hendrix. Das war ein großer Kraftakt, wie der Tropicália-Musiker Caetano Veloso in seiner lesenswerten Autobiografie „Tropical Truth“ beschreibt. Sich für die Musik der imperialistischen USA zu begeistern und damit die eigene Musikkultur zu befruchten, so sagt er, kam in dem lateinamerikanischen Land nicht nur gut an.

Kurt Cobain, Beck und viele anderen erwiesen der Tropicália ihre Referenz.

Beat ist Boss. DJ Grace Kelly kam vor 18 Jahren aus Bahia nach Berlin.

© Thilo Rückeis

Schon seit einer Weile wird dieser Ära wiederentdeckt. So bezeichnete bereits Kurt Cobain die eher obskure Tropicália-Combo Os Mutantes als eine seiner Lieblingsbands, David Byrne, Beck und viele andere eklektisch arbeitende Popmusiker erweisen diesem Genre ihre Referenz. Soul Jazz, ein hippes Wiederveröffentlichungslabel aus London, ist gerade dabei, Platten aus dieser Zeit, von Tom Zé bis Elis Regina, neu zugänglich zu machen.

Die wachsende Faszination dieser Epoche Brasiliens hängt nicht nur damit zusammen, dass es mit Tropicália eine Popmusikbewegung tatsächlich schaffte, sich mit einem Regime anzulegen. Spannend ist sie vor allem, weil die Einverleibungsidee in Zeiten der Remix- und-Sample- Kultur aktueller ist denn je – nicht zuletzt für die aktuelle Musikszene in Brasilien selbst. So sind die Aneignung und Einverleibung fremden Materials zentral für den in den letzten Jahren auch außerhalb Brasiliens immer populärer gewordenen Baile Funk sowie für Tecno Brega, den jüngsten musikalischen Trend des Landes. Baile Funk ist eine Adaption des amerikanischen Miami Bass: Fetten Beats werden brasilianische Percussion-Rhythmen beigefügt und dazu über das Leben in den Favelas, über Drogen, Sex und Gewalt gerappt. Jogi Löw würde wohl niemals einem seiner Kicker erlauben, eine Baile-Funk-Party zu besuchen.

Fatboy Slim entdeckt den Baile Funk

Einer der Ersten außerhalb Brasiliens, die sich für Baile Funk interessierten, war Fatboy Slim. Das demonstriert er jetzt auf seinem eben erschienenen Doppelalbum „BEM Brasil“ (Decca/Universal), das ein Sound-Clash zwischen Techno und Baile Funk ist. Zudem werden Bossa- und Tropicália-Größen wie Gilberto Gil und Elis Regina geremixt. Bossa, Samba, Baile Funk, Techno, alles wird zusammengewürfelt auf dieser Platte, an der auch junge brasilianische Acts wie Bonde do Rolé, Felguk und DJ Marky beteiligt sind.

Fatboy Slim nähert sich den Remixen meist bekannter Stücke mit der Arbeitsweise des Tecno Brega an. Verächter sehen in diesem Stil lediglich eine Art billig produzierten Trashtechno. Das trifft sicher zu, dennoch ist Tecno Brega ein faszinierener und letztlich typisch brasilianischer Versuch, aus bereits Bestehendem etwas völlig Neues zu machen. Copyright spielt bei diesem Genre keine Rolle mehr. Stattdessen werden bevorzugt Hits des Achtziger-Jahre-Pop etwa von Michael Jackson und Konsorten in Wohnzimmerstudios neu eingesungen oder gesampelt, technofiziert und eben auch wieder: kannibalisiert. Alben verkaufen will in dieser Szene niemand. Die kostenlos oder extrem billig verbreiteten Stücke dienen in erster Linie dazu, Produzent und DJ bekannt genug zu machen, um bei der nächsten Party gebucht zu werden.

Eine Brasilianerin für Urugay

DJ Grace Kelly sagt, sie wisse vor dem Auflegen nie genau, was sie spielen werde. Sie lasse sich von den Bedürfnissen ihres Publikums leiten. Ob die Tänzerinnen und Tänzer in Berlin schon für Tecno-Brega-Tracks bereit sind, muss sich zeigen. Man wird auch sehen müssen, wie die Weltmeisterschaft läuft. Das Abschneiden Brasiliens und Deutschlands wird die Stimmung bei ihrem DJ-Set nach dem Finale sicher beeinflussen.

Ihre eigene Laune hängt übrigens nicht davon ab, ob Brasilien Weltmeister wird oder nicht. „Ich bin für Uruguay. Das Land ist gerade sehr spannend. Der blumenzüchtende Präsident ist super und Marihuana ist dort legal“, sagt sie. Eine Brasilianerin, die nicht unbedingt Brasilien den Titel wünscht. Auch das gibt es.

Haus der Kulturen der Welt: „Copa da Cultura“, 12. Juni bis 13. Juli

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