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Szene aus "Bevor der Winter kommt".

© dpa

„Bevor der Winter kommt“ von Philippe Claudel: Gemälde einer erfrorenen Ehe

Erkaltete Liebe: Philippe Claudels kühles Kino-Drama „Bevor der Winter kommt“ erzählt vom Stillstand einer Ehe - mit Kristin Scott Thomas und Daniel Auteuil.

Dieser Film ist extrem ungemütlich. Er kriecht einem unter die Haut wie ein nasskalter, sonneloser Novembertag. Er geht einem nach wie ein hässlicher Traum, der sich kurz vorm Aufwachen in einer Endlosschleife verfängt. Er ächzt unter dramaturgischen Absonderlichkeiten und fesselt zugleich mit unwiderstehlich widerlichen Augenblicken. Er versammelt mit großer Geste Schauspieler von beeindruckendem Können, nur um ihnen scheinbar nichts von ihren Möglichkeiten abzuverlangen. Ja, vielleicht ist „Bevor der Winter kommt“ gar kein Film, sondern eine nature morte, wie man im Französischen für „Stillleben“ sagt.

Zum Beispiel einer dieser bösen Momente, eine Standardsituation. Die Ehefrau (Kristin Scott Thomas spielt die Figur so dauerfreundlich wie total erloschen) stellt ihren Mann, einen vielbeschäftigten, irgendwie maximalevasiven Neurochirurgen, mit dem gefürchteten Eheszenen-Eingangssatz: „Wir müssen reden.“ Und dann Daniel Auteuils leichte Oberkörperdrehung vom Edelsofa her, seine Entgegnung mit ausgesucht leerem Blick: „Und worüber?“

Sie haben sich tatsächlich das Reden miteinander abgewöhnt, in Jahren und Jahrzehnten, diese zwei, die da so offenkundig harmonisch in ihrem superschönen modernen Haus mit gewaltiger Glasfront zum Privatpark und Waldrand wohnen. Sie leben dieses sehr französische Leben mit ein paar guten Freunden, die man zum guten Essen nebst irgendwie dahinperlenden Gesprächen einlädt, guter Wein darf natürlich nicht fehlen. Ansonsten aber geht Paul, so heißt der Chirurg, seiner Wege der alltäglichen Hirnaufschneiderei, und seine Frau Lucie schneidet derweil das Buschwerk im heimischen Garten nach. Beider Sohn, erst um die dreißig und schon ein öder Banker, lebt selber in bereits deutlich sich einödender Ehe, und Lucies psychisch labile Schwester findet Pauls und Lucies Ehe nicht besonders prickelnd, womit sie nun auch wieder Recht hat.

Das Affärchen läuft nicht so

Ein Claude-Sautet-Ambiente also, wenn man’s ins Melancholische wendet; oder eines nach der Art des Claude Chabrol, sofern fortan Sarkasmus gefragt ist. Regisseur Philippe Claudel („So viele Jahre liebe ich dich“, 2008) probiert beides, ohne sich simpel irgendwohin zu entscheiden. Dann kommt Lou (Leila Bekhti gibt sie als maskenhafte Schöne) ins Spiel; sie arbeitet in einem Bistro, in dem Paul tagsüber für den Zwischendurchkaffee einkehrt – und nun könnte, womit man in einem gerade vom französischen Kino reichlich zernutzten Genre angekommen wäre, ein Affärchen beginnen. Aber auch das läuft hier nicht so.

Wird Paul plötzlich gestalkt, und von wem? Rosen stehen auf seinem Klinikschreibtisch, Rosen werden nach Hause geliefert, Lucie reagiert gelassen verwundert, Paul lässt eine harmlose Klärung aus, Missverständnisse häufen sich, Zwischenfälle, Kleinigkeiten, aber in der Summe, wenn ansonsten das Schweigen regiert, werden sie groß. Und plötzlich ist Paul ausgezogen, wohnt im Hotel. Und hat doch nur sein tumbes, leeres Leben getauscht gegen ein Drama von der Stange.

In „Bevor der Winter kommt“: Implosion und Stillstand

Nun könnte die dunkle Rätselspannung, die sich bleiern über alles Geschehen legt, auch in einen Thriller münden. Oder doch in ein fettes Melodram. Wieder spielt Philippe Claudel mit diesem und jenem, ohne sich ernstlich ins eine oder andere zu werfen. Auch die Lou-Geschichte bleibt nur der dramaturgische Lockvogel für das Ehe-Panorama, das sich peinigend präzis in den spärlich möblierten Riesenräumen der Arztvilla entfaltet. Nur dass dann dort weder bergmaneske „Szenen einer Ehe“-Selbstzerfleischungsorgien steigen noch sadistisch angerührte Seelenzappelhysterien à la Lars von Trier. Nein, es geht um Implosion. Um Stillstand. Um das Gemälde einer erfrorenen Ehe.

Tatsächlich lässt sich dieses durchaus reizvoll ungreifbare Stück Kino noch am besten einkreisen durch das, was es nicht ist. Als ahnte sein Regisseur dies selbst, zieht er, präfinal und dramatisch, die Notbremse, womit er allerdings bloß überrumpelt, statt zu überzeugen. Immerhin schafft der Befreiungsakt Raum für eine Pointe. Die liest sich böse oder auch traurig, aber vor allem hübsch.

Filmkunst 66, Intimes, Kulturbrauerei, Tonino; OmU im  fsk und Hackesche Höfe

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