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Gegen die Gringos. Rapayet (José Acosta) und Zaida (Natalia Reyes) gehören zum Wayuu-Volk.

© Ciudad Lunar Blond Indian-Mateo Contreras

Drogendrama „Birds of Passage“: Geld kränkt die Geister

Kolumbiens Weite: Das Drogendrama „Birds of Passage“ von Ciro Guerra und Cristina Gallego über die Bedrohung der Spiritualität durch das Kapital.

Von Andreas Busche

Die stolze Wayuu-Tochter hat ihren Preis. Dreißig Ziegen, zwanzig Kühe, fünf Halsketten und zwei Maultiere fordert Familienoberhaupt Úrsula als Brautgeld von dem jungen Rapayet. Sie hat bei dem Bewerber um die Hand ihrer Tochter Zaida von Beginn an ein ungutes Gefühl. Die Yoluja, die Seelen der Toten, die in der imposanten Guajira-Wüste auf der gleichnamigen Halbinsel an der nördlichsten Spitze Kolumbiens herumgeistern, haben es ihr verraten. Die Matriarchin (Carmiña Martínez) pflegt eine innige Verbindung zu den Geistern und Tieren, Überbleibsel der indigenen Traditionen, die an den entlegenen Rändern des Kontinents überdauert haben. „Solange es die Familie gibt, gibt es Respekt“, erklärt sie Zaida (Natalia Reyes). „Wenn es Respekt gibt, gibt es auch Ehre. Solange es Ehre gibt, gibt es das Wort. Wenn es das Wort gibt, gibt es Frieden.“

Dieser Frieden wird in „Birds of Passage“, der ersten gemeinsamen Regiearbeit des kolumbianischen Filmemachers Ciro Guerra (2016 mit „Der Schamane und die Schlange“ für den Oscar nominiert) und seiner langjährigen Produzentin Cristina Gallego, gestört. Was oberflächlich betrachtet wie die Neuauflage des Konflikts zwischen Tradition und Moderne aussieht, erweist sich bei genauerem Hinsehen als eine Bedrohung der Spiritualität durch das Kapital. In den Sechzigern bekämpft die CIA in Südamerika an vorderster Front den Kommunismus, finanziert mit Geld aus dem Drogenhandel.

„Birds of Passage“ beruht auf historischen Begebenheiten

Rapayet (José Acosta) hat im Gegensatz zu den Familienältesten kein Problem damit, mit Alijunas wie Moisés (Jhon Narváez), einem nicht-indigenen Kolumbianer, und den Gringos Geschäfte zu machen. Irgendwie muss er das Brautgeld ja auftreiben. In den Bergen von Santa Marta, wo die familiären Werte der Wayuu schon organisierten Clanstrukturen mit losen Kontakten nach Medellín gewichen sind, macht Rapayet einen Deal mit seinem Cousin Aníbal (Juan Martínez): Kaffee für Marihuana, das „Santa-Marta-Gold“, welches er an die Amerikaner weiterverkauft. Schon bald kommen Rapayet und Moisés mit dem Nachschub kaum noch hinterher. Geld und Gewalt sickern in die Gemeinschaft ein – die Geister sind gekränkt. „Wir haben unsere Seele verloren“, erkennt Rapayet zu spät.

„Birds of Passage“ beruht auf historischen Begebenheiten. „Die Amerikaner kamen schon während der Prohibition nach Kolumbien“, erklärt Cristina Gallego beim Treffen in Berlin die Hintergründe des Films. „Während des Zweiten Weltkriegs war der Opiumhandel eine richtige Schattenwirtschaft. Das US-Friedenskorps begann sich dann für den Marihuana-Anbau zu interessieren, sie brachten sogar ihre eigenen Samen mit. Aber erst mit den Kartellen in Medellín und Kali eskalierte in den Achtzigern die Gewalt.“ Auch der Drogenkrieg in Südamerika ist eine Kolonialerzählung.

Sie sieht eine klare Linie von „Der Schamane und die Schlange“, der von der Reise des deutschen Anthropologen Theodor von Martius in Begleitung des jungen Indios Manduca in den südamerikanischen Dschungel handelt, zu „Birds of Passage“. Ausgangspunkt war die Idee, einen Genrefilm zu machen. „Die Geschichte Kolumbiens“, sagt Gallego, „ist von der herrschenden Klasse geschrieben worden. In ,Der Schamane‘ haben wir die Geschichte der Verlierer erzählt, die Traditionen der indigenen Kulturen sind heute noch in der Gesellschaft zu spüren. Mit ,Birds‘ spiegeln wir diese in den Codes des Gangsterfilms.“

Der Erfolg der Netflix-Serie „Narcos“, die eine folkloristische Faszination für Pablo Escobar auslöste, hat vielen Mythen Vorschub geleistet. „Im Grunde fing es mit ‚Miami Vice‘ an“, erzählt Gallego. „,Narcos‘ vermittelt ein sehr einseitiges Bild von Kolumbien, in Wirklichkeit ist die Drogenkriminalität eine Wunde in unserer Gesellschaft. Die Tragödie kommt im Genre des Gangsterfilms zu kurz.“

Drogen und Geld zersetzen die Gemeinschaft

Der kulturelle Transfer gelingt den beiden Regisseuren kongenial. Guerra, der gerade die Coetzee-Verfilmung „Waiting for the Barbarians“ mit Johnny Depp und Robert Pattinson abgedreht hat, hat sich mit vier Filmen als herausragender Regisseur des Weltkinos etabliert. Für ihn und Gallego bedeutet „Birds of Passage“ nach dem preisgekrönten Vorgänger einen gewaltigen Schritt. Sie begeben sich von der wimmelnden Dichte des Dschungels in die windumtoste Guajira-Ebene, wo sich die bewaffneten Milizen schon von Weitem ankündigen. In der Isolation residiert Rapayet mit seiner Familie zur Blüte seines Imperiums in den siebziger Jahren in einer modernistischen Villa, die sich strahlend vor dem Horizont abzeichnet.

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Doch auch wenn sich „Birds of Passage“ bei Vorbildern wie „Der Pate“ bedient: Guerras und Gallegos Film existiert in einer eigenen, halb durchlässigen Realität, die dennoch nicht gegen die tödlichen Kugeln gewappnet ist. Elemente eines besonders in der lateinamerikanischen Literatur verbreiteten magischen Realismus öffnen den Plot für eine übersinnliche Wahrnehmung, der titelgebende Reiher fungiert als Botschafter aus der Geisterwelt. Drogen und Geld zersetzen die Gemeinschaft der Wayuu-Familien, doch es ist ein spiritueller Konflikt, der schließlich zum materiellen führt.

Mehr noch als der tragische Rapayet, der sich mit moderater Vernunft gegen die Fliehkräfte der Gewalt stemmt, entwickelt sich die Matriarchin zur komplexesten Figur. Úrsula, gespielt von der aus einer Wayuu-Familie stammenden Carmiña Martínez, hat Gallego am meisten interessiert: „Meist sprechen die Männer über die Blütezeit des Drogenhandels, darum kommt die weibliche Sicht oft zu kurz. Die Wayuus leben in einer Macho-Gesellschaft, in der die Frauen sich behaupten müssen.“ Sie konnte eine dieser Frauen ausfindig machen, auf ihren Geschichten basiert Úrsula. Gallego: „Ich wollte das Genre durch die matriarchale Perspektive brechen.“

Das Beharren auf Traditionen lässt die Gewalt eskalieren

Der Widerspruch in „Birds of Passage“ besteht am Ende darin, dass erst das Beharren Úrsulas auf den Wayuu-Traditionen die Gewalt eskalieren lässt. Wie in „Der Schamane und die Schlange“ vermeiden Guerra und Gallego das koloniale Klischee vom „edlen Wilden“. Die Stimmen aus der Geisterwelt verhelfen vielleicht zu einer geschärften Wahrnehmung, aber nicht zwangsläufig zu besseren Entscheidungen.

Rapayet hingegen ist ein Überlebender, seine Familie wurde in einer blutigen Stammesfehde ausgelöscht. Er versteht, dass Gewalt im Kern immer eine rituelle Struktur besitzt, ob im Kampf um Ehre oder im Drogenkrieg. „Rituale“, sagt Gallego, „ersetzen Verhaltensregeln und Glaubensgrundsätze.“ Gegen diese Symbolhandlungen können die Bindekräfte der Familie nichts mehr ausrichten. Ohne Worte kein Frieden.

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