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Farin Urlaub, Rodrigo González und Bela B Felsenheimer.

© Jörg Steinmetz/dpa

Geheuchelte Aufregung über Ärzte-Song „Elke“: Wie die „Bild“ Cancel-Culture-Debatten herbeifantasiert

Die Ärzte spielen ihren Song „Elke“ nicht mehr, berichtet die „Bild“ aufgeregt. Interessant ist eher, was die Zeitung alles verschweigt. Eine Einordnung.

Schon wieder ein Lied weniger! Jetzt verzichte sogar die Band „Die Ärzte“ darauf, ihren Song „Elke“ auf Konzerten zu spielen. Sänger Farin Urlaub habe „jetzt“ ein „Machtwort“ gesprochen - so berichtet es jedenfalls die „Bild“-Zeitung.

Schon wieder ein Skandal, der gar keiner ist. Eher handelt es sich um ein anschauliches Beispiel dafür, wie irreführend, unaufrichtig und interessengeleitet die Diskussion um vermeintliche „Zensur“ im Namen „politischer Korrektheit“ geführt wird.

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In Wahrheit spielen die Ärzte das Lied seit Ewigkeiten nicht. Auf keiner Tour der vergangenen Jahre gehörte es zur Setlist. Dies ist natürlich auch der „Bild“ bekannt: Gegen Ende des Artikels wird in einem Nebensatz eingeräumt, die Band habe das Lied „schon länger aus dem Programm genommen“. 

Futter fürs Empörungsbedürfnis der „Layla“-Fraktion

Die Bandmitglieder haben auch schon vor Jahren in Interviews erklärt, dass sie das Lied nicht mehr spielen. Dass es „obsolet“ und „einfach durch“ sei. Der letzte in Fanforen dokumentierte Auftritt, bei dem die Ärzte noch einmal „Elke“ spielten, fand im Dezember 2011 statt.  

Die Behauptung, Sänger Farin Urlaub habe „jetzt“ ein „Machtwort“ gesprochen, ist völliger Unsinn, befriedigt aber in Zeiten von „Layla“ und „Winnetou“ das Empörungsbedürfnis derer, die sich darüber aufregen möchten, dass man heute ja praktisch gar nichts mehr sagen dürfe.

[Lesen Sie auch: Das Problem an Winnetou – ein Psychologe über Rassismus und die deutsche Obsession mit dem Wilden Westen (T+)]

Was tatsächlich passierte: Beim letzten ihrer Konzerte Ende August auf dem Tempelhofer Feld alberten die drei Musiker mehrere Stunden lang ausgelassen herum, machten Witze über sich, ihr fortgeschrittenes Alter und misslungene Frühwerke.

In einer Ansage zwischen zwei Liedern erklärte Farin Urlaub dann auch, weshalb die Ärzte „Elke“ nicht mehr spielen: Weil das Lied nämlich, ganz offensichtlich, frauen- und dickenfeindlich sei. „Elke“ gehöre genauso ins vergangene Jahrtausend wie die Band als Ganzes, scherzte Urlaub weiter.

Worüber die „Bild“ lieber nicht berichtete

Wie konnte aus dieser flapsigen Bemerkung ein Aufreger werden, den die „Bild“-Zeitung todernst unter der Überschrift „Lied wird nicht mehr gespielt: Ärzte distanzieren sich von Kult-Song“ als Top-Meldung  auf ihrer Homepage platzierte?

An jenem Abend fielen noch weitere launige Sätze. Zum Beispiel diese hier, ebenfalls aus dem Mund von Farin Urlaub, allerdings lauthals mitgesungen von zehntausenden Konzertbesuchern: „Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der BILD. Und die besteht nun mal, wer wüsste das nicht, aus: Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht!“ Darüber berichtete die „Bild“-Zeitung nicht.

Um den „Elke“-Artikel einordnen zu können, muss man wissen, dass die Ärzte der „Bild“ grundsätzlich keine Interviews geben. Die Musiker haben sich früh entschieden, nie mit dieser Zeitung im Aufzug fahren zu wollen, und haben sich darin auch seit Jahrzehnten nicht beirren lassen.

Agenturmeldungen und vergiftete Plattenkritiken

Da die Ärzte nicht mit der „Bild“ reden, musste die Zeitung im Laufe der Jahre andere Weg finden, über die Band zu berichten. Einerseits veröffentlicht sie beiläufig die Namen von Lebensgefährtinnen der Bandmitglieder und bringt vergiftete Albumbesprechungen („Die neue Ärzte-Platte kann leider wenig!“). Andererseits muss sie damit Vorlieb nehmen, dpa-Meldungen über die Ärzte zu veröffentlichen oder Artikel aus Interviews zu generieren, die andere Zeitungen oder Internetplattformen mit der Band führten.

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Das liest sich dann zum Beispiel so: „Bei den Dreharbeiten war Bela, so verriet er 'laut.de', acht Stunden nackt.“ Im Fall des „Elke“-Artikels reichte der Tweet einer Konzertgängerin aus, die Farin Urlaubs Ansage wiedergab, um daraus einen Aufreger zu konstruieren.

Dieser passt allerdings prima zur sonstigen Berichterstattung der „Bild“ über vermeintliche Cancel Culture. In der aktuellen Debatte um Winnetou titelte sie etwa: „Sender zieht Schlussstrich: ARD zeigt keine Winnetou-Filme mehr“. In Wahrheit darf die ARD gar keine Winnetou-Filme zeigen, da ihre Lizenzen bereits vor zwei Jahren ausgelaufen sind. Die Rechte hat sich derzeit das ZDF gesichert, das die Filme auch weiterhin zeigen wird.

Die „NZZ“ spinnt das Märchen weiter

Tragisch ist, dass die konstruierte Geschichte der „Bild“ bei anderen Medien Anklang findet und weitergetragen wird, ja teilweise gar – ob aus Unwissenheit oder bewusster Lesertäuschung – noch zugespitzt wird. Herausragend war hierbei die  Leistung der „NZZ“, deren Autor den Song zu einem der am häufigsten live gespielten Ärzte-Stücke erklärte und dann ernsthaft behauptete: „Doch damit ist jetzt Schluss. Auf der neuen Setlist der Band fehlt das Lied – offenbar eine bewusste Entscheidung.“ Die Freiheitskämpfer der „Welt“ veranstalteten sogar ein Pro & Contra zur Frage: „Sollen die Ärzte auf ihren Song 'Elke' verzichten?“

„Die meisten Leute haben ihre Bildung aus der BILD. Und die besteht nun mal, wer wüsste das nicht, aus: Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht!“ – seit mittlerweile 14 Jahren verschweigt die „Bild“-Zeitung ihren Lesern, dass diese Liedzeilen existieren, dass diese auf Ärzte-Konzerten zu den beliebtesten überhaupt gehören und von Fans stets euphorisch mitgesungen werden. Noch viel länger verschweigt die Zeitung ihren Lesern, dass die Ärzte nichts mit ihrem Journalismus zu tun haben wollen und partout keine Interviews geben. Könnte es sein, dass Redakteure im Haus so etwas nicht schreiben dürfen – und falls ja: Was sagt das dann über die Freiheit des Wortes?

Der Radiosender Antenne Bayern, an dem die „Bild“-Mutter Springer beteiligt ist, hat von dem Lied „Lasse redn“, das diese Zeilen enthält, damals eine gekürzte Version erstellt, in dem ausgerechnet die Kritik an der „Bild“ herausgeschnitten wurde. Mit Zensur habe dies aber auf keinen Fall etwas zu tun, erklärte der Sender damals dem „Bildblog“. Auch der Manager der Ärzte reagierte: „Die Entfernung dieser Kernzeilen des Textes sieht die Band als eine sinnentstellende Verstümmelung des Songs an.“

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