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Don Gidon. Das ist der Name, den Kremer sich selber gibt.

© Attila Kisbenedek/AFP

Geiger Gidon Kremer: Gegen Windmühlenflügel

Hommage an Gidon Kremer im Konzerthaus: Der Gefeierte spielt selber und lädt Gäste ein.

Lebenden Künstlern eine Hommage auszurichten kann sich als aufreibendes Unterfangen erweisen. Das gilt umso mehr, wenn Widerstand zum Kern ihres Schaffens zählt. Man ahnt, was dies im Fall von Gidon Kremer bedeutet, wenn Intendant Sebastian Nordmann die zehntägige Reihe eröffnet, mit der das Konzerthaus den gefeierten Geiger ehrt.

Kremer hat sie sich selbst programmiert, tritt siebenmal persönlich auf und lädt dazu Freunde und Wegbegleiter an den Gendarmenmarkt ein, von Martha Argerich bis zu Lucas Debargue.

Kremer nennt sich selbst „Don Gidon“, verrät Nordmann zum Auftakt der Hommage, als Vorbild reitet Don Quijote träumend durch La Mancha und nimmt den Kampf gegen Windmühlenflügel auf. Kremer war der Klassikbetrieb immer Anlass zur Attacke, weil er in seiner Trägheit nächtliche Ideen nicht gleich aufzusaugen vermochte.

Deshalb gründete er im burgenländischen Dorf Lockenhaus ein Kammermusikfestival, das er 30 Jahre lang inspirierte. Wenn Daniel Barenboim in der begleitenden Festschrift einräumt, Kremer habe ihn mehrfach davon überzeugt, Werke aufzuführen, von denen er zunächst gar nicht begeistert war, dann ahnt man, was für ein insistierendes Schwergewicht der Geiger sein kann.

Die Hommage beginnt mit einer großen Kremer-Geste. Auf einer Taxifahrt durch den Moskauer Winter 1977/78 soll der aufstrebende Solist die Komponistin Sofia Gubaidulina um ein Violinkonzert gebeten haben. Als es fertig war, hatte Kremer den Einflussbereich der Sowjetunion bereits verlassen, die Partitur musste zuerst ihren Weg durch den Eisernen Vorhang finden, ehe sie 1981 in Wien uraufgeführt werden konnte.

Violinstimme und Sprechstimme

Für Gubaidulina wurde dieses Werk ein erster wichtiger Erfolg im Westen, Kremers unbedingtes Engagement macht es zum meistgespielten Violinkonzert der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Offertorium“ ist dem Geiger gewidmet und es beginnt in einer erstaunlich tiefen Lage seines Instruments, die an seine Sprechstimme erinnert.

Die eigene Sprache zu finden war für Kremer immer zentrales Anliegen, auch weil ihn technische Grenzen nie kümmern mussten, familiäre Traumata und die sowjetische Realität dagegen schon. Früh entwickelte er seinen charakteristischen „gebrochenen Klang“, eine besondere Durchlässigkeit für Zwischentöne.

Er kann so leise spielen, dass die Stille zum Erzähler wird. All das steckt auch in Gubaidulinas „Offertorium“. Bachs „Musikalisches Opfer“ liefert die Keimzelle, die das Werk verdaut und wieder erstehen lässt in einem Choral, der orthodoxen Glauben und protestantischen Lobpreis schwebend verschmilzt.

Bohrende Wachheit

Kremer auf diesem Weg zu folgen ist noch immer eine faszinierende Reise, seine bohrende Wachheit und insistierende Neugier wirken gänzlich harmonisch, fast ist man versucht zu sagen: entspannt. Mit der Zugabe, einer Serenade von Valentin Silvestrov aus einem neuen Schubert-Projekt, rinnen die Jahrhunderte träumerisch-melancholisch ineinander. Epochengrenzen sind letztlich auch nur Grenzen.

Das Konzerthausorchester unter Leitung von David Zinman überzeugt schon bei Gubaidulina mit luzidem, fließendem Klang durch alle Register, nach der Pause steht es vollends im Mittelpunkt. Schubert, der Lieblingskomponist Kremers, liegt auf den Pulten. Der 83-jährige Maestro waltet, an einen Stehhocker gelehnt, souverän über die Große C-Dur-Symphonie.

Das Orchester funkelt, alle Zuspitzungen entwickeln sich mit langem Atem, so wie Wellen durch einen Ozean rollen. Zinman dirigiert den Musik gewordenen Energieerhaltungssatz: In einem abgeschlossenen System mag die Energie ihre Erscheinungsform ändern, in Summe geht sie aber nie verloren. In diesem Schubert triumphiert die Freude darüber, eine neue Sprache gefunden zu haben, leuchtet das Geglückte über alle Katastrophen.

Konzerthaus, noch bis 27. 10.

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