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Das Renaissance Theater.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Vier Stern Stunden" am Renaissance Theater: Gefühle für Millionen

Melancholische Serenade: Torsten Fischer inszeniert „Vier Stern Stunden“ von Daniel Glattauer am Renaissance Theater.

So ungefähr sieht der perfekte Albtraum des Erfolgsschriftstellers aus: zu Gast sein in der Reihe „Sternstunden“ des angejahrten Kur- und Kulturhotels Reichenshoffer, vor einem Publikum, das größtenteils noch schnell vom nahen Bridge-Turnier herbeigekarrt wurde, befragt von einer fleißbienchenhaften Journalistin, die in umständlichen Fünf-Minuten-Windungen mehr oder weniger wissen möchte, wie man bloß auf so tolle Ideen kommt? Was für eine Zumutung.

Wenn einen dann obendrein die junge Geliebte schon an der Rezeption mit der Frage nach getrennten Betten blamiert hat, ist das auch nicht die beste Voraussetzung für einen geglückten Abend mit Literatur und Degustationsmenü. Also: Frederic Trömerbusch (Rufus Beck), diese graumelierte Legende der deutschen Gefühlsliteratur mit Millionenauflage, hat richtig miese Laune. Und die lässt er gnadenlos an der beflissenen Mariella Brem (Nadine Schori) aus, die doch sein größter Fan ist!

Die Konfrontation auf offener Hotelbühne zwischen der Groupie-Journalistin und dem selbstgerechten Ekel-Romanciers ist ein komischer Höhepunkt im Stück „Vier Stern Stunden“ des Österreichers Daniel Glattauer („Gut gegen Nordwind“, „Alle sieben Wellen“), der dafür höchstvermutlich aus eigener Podien-Erfahrung schöpfen konnte. „In Ihrem atemberaubenden dritten Roman ‚Gestern war ein Tag zu spät‘ lassen Sie Ihre Hauptfigur Antonius auf Seite 177 zu seiner Tochter sagen: ‚Mit der Liebe ist es wie mit einer Brille. Wenn man sie einmal verlegt hat, fehlt sie einem auf der Suche nach ihr‘“, wanzt sich die Kulturjournalistin an den Verehrten heran, der allerdings in nur ins Publikum gurrt: „Das ist von mir? Das habe ich geschrieben?“

Hölle aus Schweiß und Verzweiflung

Regisseur Torsten Fischer, der Glattauers Komödie am Renaissance Theater zur Premiere bringt, hätte das Horrorpotenzial dieser Begegnung unter falschen Vorzeichen ruhig noch gnadenloser ausschöpfen können. Wer je bei einem Interview aufgelaufen ist, der weiß, welche Hölle aus Schweiß und Verzweiflung das bedeutet. Da bewahrt Nadine Schori in ihrer Rolle doch sehr die Fassung.

Insgesamt aber ist es eine gute Inszenierung, auch wenn sie anfänglich falsche Erwartungen weckt. Auf der Hotellobbytreppe mit bedenklich gewellter Auslegeware (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) werden die Protagonisten zu beschwingter Musik ziemlich slapstickmäßig eingeführt: eine geheimnisvolle Burka-Frau huscht herum (mit deren Geheimnis es allerdings nicht viel auf sich hat, wie sich herausstellen wird). Der Hotelerbe David-Christian Reichenshoffer, von Markus Gertken schön linkisch gespielt, verheddert sich in Mikrofonkabeln wie später auch in seinen verdrucksten „Sternstunden“-Ansagen. Der Mann hätte sich was Besseres vorstellen können als die Gefangenschaft im Familienunternehmen, in dieser Vier-Sterne-Herberge, der man, wie’s im Text einmal heißt, einen Stern besonders ansieht: den fehlenden fünften.

Und darum geht es hier: Um das Festhalten an der Vergangenheit zulasten der Gegenwart. Glattauers Komödie ist weniger pointenselig, als es zunächst scheinen soll, sondern hat eher den Touch einer melancholischen Serenade. Was erwarten wir vom Leben, welche Wege schlagen wir ein – und wie gerade sollen die verlaufen? Das sind ja durchaus zeitlose Fragen. Überhaupt hat der Großschriftsteller nicht mal unrecht, wenn er bei seinem unwirschen Auftritt raunzt, die Frage, weshalb man morgens überhaupt aufstehe, sei doch allemal interessanter als das Bohren in literarischen Metaphern.

Mit Sarkasmus gepanzert

Rufus Beck gibt sehr fein den erfolgsüberdrüssigen, mit Sarkasmus gepanzerten Trömerbusch, der seiner jungen Freundin Lisa (zum Nachnamen hat’s bei ihr nicht gereicht) in keiner Hinsicht gerecht wird, zumal er die Einnahme von Potenzpillen verweigert – Annemarie Brüntjen spielt diese „Outdoor-Bloggerin“ als unbekümmerte, pathosresistente Experimentierfrau, die sehr viel besser als Trömerbusch selbst dessen überstrapaziertes Credo umzusetzen weiß: „Mache nie das Erwartbare“.

Okay, das Stück ist ein bisschen oldschool in seinen Rollenbildern, nicht ganz kitschfrei in seiner Anbahnung des Zusammenkommens von Schriftsteller und Kulturjournalistin, die sich obendrein als wahre Muse erweist – wobei Beck und Schori die Untiefen dieses Plot-Twists klasse überspielen. Sie ist entlassen, er verlassen worden, das verbindet schon mal und liefert die Vorlage für eine sprachmuntere Diskussion darüber, ob „ver“ immer übler sei als „ent“? Trömberbusch jedenfalls beharrt darauf: vergiften, entgiften, verspannen, entspannen, verkommen, entkommen. Gut, Mariella Brem kann das immerhin mit einem Gegenbeispiel kontern: verzaubern, entzaubern. Je stiller das Stück wird, desto mehr findet es zu sich. Insgesamt ist „Vier Stern Stunden“ ein angenehm unprätentiöser Abend über die Notwendigkeit, sich ab und zu mal selbst zu überraschen.
nächste Vorstellungen: 2. und 3. sowie 9. und 10. Februar, weitere Termine bis Mai

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