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Mario Vargas Llosas Nobelpreisrede: Für Patricia

Maria Vargas Llosa hält in Stockholm bei der Verleihung des Literaturnobelpreises eine emotionale Dankesrede.

Es muss sehr heimelig und gefühlig zugegangen sein, als Mario Vargas Llosa am Dienstagabend im Saal des alten Stockholmer Börsenhauses seine „Nobel Lecture“ hielt. Immer wieder habe dem peruanische Schriftsteller die Stimme versagt, berichten Augenzeugen, immer wieder habe er sich Tränen der Rührung aus dem Gesicht wischen müssen. Insbesondere, als er sich nach einem ausgiebigen Loblied auf seine Heimat Peru auch bei seiner vor ihm in der ersten Reihe sitzenden Ehefrau Patricia für die vielen Jahre an seiner Seite bedankte: „Und Peru ist Patricia, die Cousine mit der Himmelfahrtsnase und dem unbezwingbaren Charakter, die ich zu meinem Glück vor 45 Jahren heiratete und die noch immer meine Manien, Neurosen und kleinen, zum Schreiben verhelfenden Zornausbrüche erträgt. Ohne sie hätte sich mein Leben vor langer Zeit in einem chaotischen Wirbel ausgelöst“, so Vargas Llosa, der dann noch verriet, wie sich die Beziehung zwischen ihm und seiner Frau gestaltet: „Sie nimmt sich der Probleme an, verwaltet die Finanzen, bringt Ordnung ins Chaos, hält Journalisten und Eindringlinge fern, verteidigt meine Zeit, legt Termine und Reisen fest, packt Koffer ein und aus und ist so großzügig, dass selbst ein vermeintlicher Tadel aus ihrem Mund zum schönsten Lob wird: ’Mario, du taugst einfach nur zum Schreiben’.“ Wohl dem Schriftsteller, der so eine selbstlose, jeglichen Emanzipationsbestrebungen abholde Ehefrau hat!

Eigentlich sollte Vargas Llosas Nobelpreisrede „Ein Lob auf das Lesen und die Fiktion“ werden, so ihr Titel. Es wurde jedoch vor allem eine gleichermaßen privatistische, an einen Erziehungsroman erinnernde und unspektakulär politische Rede, in der sich der Peruaner als Weltbürger präsentierte, dessen Bindungen an seine Heimat dennoch sehr fest sind.

Vargas Llosa erinnerte sich seiner zunächst vaterlosen Kindheit in Piura und seiner Jugend in Perus Hauptstadt Lima, wohin er im Alter von elf Jahren zog, als ihm von seiner Mutter eröffnet worden war, dass sein Vater dort lebte, „und nichts sollte mehr sein wie zuvor“. An die „staubige, heruntergekommene“ Zeitungsredaktion, bei der er als 16-Jähriger erste journalistische Erfahrungen machte. Oder an eine Straßenecke, „wo ich die kurzen Hosen gegen lange eintauschte, meine erste Zigarette rauchte und lernte, wie man tanzte, sich verliebte und Liebeserklärungen machte.“ Er erläuterte, wie er sich vom Marxisten zum „Liberaldemokraten“ wandelte, beschwor die „auf dem langen Weg der Zivilisation mühsam erkämpfte Freiheit“, kritisierte den Nationalismus gerade auch in Lateinamerika und gab sich kämpferisch: „Indem wir uns fanatischen Mördern entgegenstellen, verteidigen wir unser Recht, zu träumen und unsere Träume Wirklichkeit werden zu lassen.“

Desweiteren ließ es Vargas Llosa nicht an Lob für seinen Sehnsuchtsort Paris und für Spanien fehlen („Ich liebe Spanien so sehr wie Peru“), erinnerte aber auch daran, dass die Unabhängigkeit Lateinamerikas von Spanien vor zweihundert Jahren nicht zu einem besseren Umgang mit den Ureinwohnern geführt hätte: „Seit zwei Jahrhunderten tragen allein wir die Verantwortung für die Gleichstellung der Indios, und wir sind ihr nicht nachgekommen. Das ist in ganz Lateinamerika die Aufgabe, die wir noch erfüllen müssen. Es gibt keine einzige Ausnahme für diese Schmach und Schande.“

Nach der Liebeserklärung an seine Frau kam Vargas Llosa doch noch auf die Literatur zu sprechen, die früh „zum Sinn meines Lebens wurde“, auf das ihr gemäße Wechselspiel aus Wahrheit und Lüge: „Die Literatur ist ein Zauberwerk, das uns vorgaukelt, zu haben, was wir nicht haben, zu sein, was wir nicht sind, eine unmögliche Existenz zu führen, in der wir uns wie heidnische Götter irdisch und unsterblich zugleich fühlen, und das damit die Unangepasstheit und Rebellion in unseren Köpfen keimen lässt.“ Diese Sätze fielen jedoch schon der Rührung zum Opfer, die auch das Auditorium in Stockholms Börse ergriffen hatte. Wenn Mario Vargas Llosa am Freitag den Nobelpreis verliehen bekommt, dürfte er sich wieder gefangen haben. Gerrit Bartels

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