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Kuratorin Anna Grosskopf und Sammlungsleiter Johannes Honeck im Depot unter dem Dach des Bröhan-Museums.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Ein Blick hinter die Kulissen des Bröhan-Museums: Für immer Montag

Während des Shutdowns haben die Ausstellungshäuser geschlossen. Doch der Betrieb geht auch ohne Publikum weiter. Ein Besuch im Berliner Landesmuseum.

Die kleine Statue steht auf Zehenspitzen, die Beine zusammengedrückt, die Arme geweitet, den Kopf nach oben gereckt, die Finger zart wie Bleistiftminen. „Man kriegt Gänsehaut, wenn so ein Objekt vor einem steht“, sagt Anna Grosskopf und schaut auf die kleine Elfenbeinfigur des Art-déco-Künstlers Ferdinand Preiss. Grosskopf ist Kuratorin am Bröhan-Museum.

Das Berliner Landesmuseum für Jugendstil, Art déco und Funktionalismus – benannt nach seinem Gründer, dem Kunstsammler Karl H. Bröhan – residiert in einem klassizistischen Gebäude nahe dem Charlottenburger Schloss. Es zeigt Möbel, Kunst und Design aus der Zeit von 1889 bis 1939.

Seit November steht der Betrieb zum zweiten Mal still

Normalerweise plant Grosskopf Ausstellungen. Doch seit Anfang November steht der Betrieb still, zum zweiten Mal. „Ich glaube nicht, dass wir so schnell wieder aufmachen“, sagt die 40-Jährige unglücklich. Trotzdem laufen die Vorbereitungen für kommende Projekte weiter. Das Haus plant für eine Zukunft, von der niemand weiß, wann sie kommt.

Wie fühlt sich das an? Und was bleibt dem Museum ohne Besucher:innen?

Ein Satz ist immer wieder von Grosskopf zu hören: „Es ist so traurig.“ Er fällt, wenn sie aus dem Fenster ihres Büros in den ausgestorbenen Garten des benachbarten Berggruen-Museums blickt, durch die verwaiste Ausstellung geht oder vor dem leeren Workshop-Raum steht: „Es fühlt sich an wie ein permanenter Montag.“ Montags ist das Museum immer geschlossen.

Die Besucher vermissen ihr Bröhan-Museum

Als Kuratorin ist sie eher hinter den Kulissen beschäftigt. Trotzdem sind die Besucher:innen wichtig für ihre Arbeit, die umgekehrt ebenfalls das Museum vermissen. Viele rufen an oder schreiben, erzählt sie. Anfang November standen welche vor der verschlossenen Tür. Dahinter geht die Arbeit weiter. Im ersten Stock stehen Stative, Studioleuchten und Lichtverteiler. Hier entsteht ein digitales Archiv.

Johannes Honeck, der Sammlungsmanager, gesellt sich hinzu. Der 35-Jährige gehört seit April zum Team, damals war der Betrieb gerade zum ersten Mal eingestellt worden. „Für mich war es nicht schlecht, dass ich nicht ins kalte Wasser geworfen wurde“, sagt er. Trotzdem vermisst auch er die Besucher:innen: „Es macht mehr Spaß, wenn man weiß, wozu die Dinge alle hier sind.“

Die Ausstellungen wandern als Video auf Instagram oder Youtube

Als der Lockdown kam, tat das Museum, wozu plötzlich alle Zeit hatten: digital werden, aufräumen, anpacken, was sonst liegen bleibt. Die Ausstellung über den Designer Luigi Colani, die einsam im Erdgeschoss steht, wanderte in Videoschnipseln auf Instagram, die Arbeiterfotografie aus den 1920er Jahren, die im zweiten Stock hängt, findet sich jetzt auf Youtube. Das digitale Archiv stand schon lange auf dem Plan. „Ich weiß nicht, ob wir das im normalen Ausstellungsbetrieb geschafft hätten“, sagt Grosskopf.

Es läuft ganz gut, könnte man meinen. Auch um Geld müssen sich Grosskopf und ihre Kollegen keine Sorgen machen: Als Landesmuseum ist die Finanzierung gesichert. Zwar brechen Einnahmen durch den Einlass weg, dafür spart das Haus Ausgaben ein, die sonst anfallen. Die freie Szene habe es schwerer, sagt Grosskopf: „Wir haben wir keinen Grund zu klagen.“ Trotzdem gab es Ärger, denn in den Plänen für den November-Lockdown kamen die Museen zunächst nicht vor. Nachdem die Regierung den „Lockdown light“ im Herbst verkündet hatte, wussten viele nicht, ob sie offenbleiben dürfen oder nicht: Man hatte vergessen, sie zu erwähnen.

Kuratorin Anna Grosskopf ist froh über den harten Lockdown

Sie sei sich darüber klar, dass ein Museum nicht so wichtig sei wie ein Krankenhaus oder eine Kita, betont Grosskopf. Lässt sie das an ihrer Arbeit zweifeln? Die Kuratorin verneint. „Mich stellt der Lockdown nicht vor die Sinnfrage, nicht mehr als sonst“, sagt sie. Über den harten Lockdown sei sie erleichtert. Aber dass sich die Politik zunächst für Kirchen und Kaufhäuser, aber gegen Museen, Theater und Kinos entschied, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Im obersten Stockwerk des Hauses sperrt Johannes Honeck eine Tür auf. Den Dachboden des Museums bekommen die Besucher:innen sonst nicht zu sehen. Dort befindet sich das Depot für Keramiken und Metall, eines der vier Lager im Haus. In Holzregalen stehen Vasen, Teller, Tassen, Schüsseln, Kannen, Nachttischlampen.

Im Depot hat jedes Teil seinen festen Platz

Alles hier hat seinen Platz, das Teeservice mit den bunten Punkten, die riesige Vase mit der feinen gold-weißen Musterung und die dicken Keramikteller unten im Regal. Das Depot ist Honecks Gebiet. Als Sammlungschef muss er den Überblick über rund 20.000 Objekte behalten. Sein Lieblingsobjekt? Der Kunsthisoriker antwortet zögerlich: „Ich finde die Netzvasen super.“ Dutzende stehen in einer Vitrine. Ein Funkeln huscht über ihre Oberflächen, als Honeck den Schrank öffnet. Sie sind tiefblau und schwarz, darauf verlaufen Silberstreifen in glänzenden Bahnen. Böhmische Glasbläser formten um 1900 die zerbrechlichen Objekte über dem Feuer, dabei entstanden die Muster.

Der Besuch im Depot hebt beim Sammlungsleiter stets die Stimmung

Honeck hält eine Vase ans Licht: „Wenn ich schlechte Laune habe, komme ich hierher.“ Mit Grosskopf betrachtet er andächtig das Exponat. „Es ringt mir Ehrfurcht ab“, sagt Großkopf, „die sind 120 Jahre alt, aber es gibt niemanden mehr, der so etwas noch herstellen könnte.“ Streift man mit den beiden durch die leeren Räume, wird eines deutlich: Das Museum ohne Besucher:innen mag traurig sein. Grund zur Sorge gibt es nicht.
Die Sammlung besteht längst aus mehr als dem, was der Museumsgründer zu Lebzeiten zusammentrug. Ankäufe und Schenkungen kamen hinzu.

Plötzlich gibt es mehr Schenkungen. Die Leute räumen zuhause auf

„Wir merken, dass die Leute aufräumen,“ erzählt Großkopf. So kam auch die Elfenbeinstatue ins Depot, die zarte Frauenfigur mit den ausgebreiteten Armen. „Frühlingssonne“ heißt das fragile Objekt. Ein Ehepaar übergab es dem Museum. Damit fand auch dessen Geschichte ihren Weg ins Haus. Grosskopf erzählt von den Eltern der Schenkerin, die im Krieg mit der Elfenbeinfigur im Schutzkeller saßen, ihrem Hochzeitsgeschenk.

Das Museum sammelt Objekte - und ihre Geschichte

„Diese Objekte haben eine zwischenmenschliche Dimension“, erzählt sie. Honeck holt solche Schenkungen persönlich ab – „damit die Geschichten nicht verlorengehen.“ Die letzten 100 Jahre überstand die „Frühlingssonne“ ohne Kratzer. Jetzt wartet sie auf dem Dachboden des Bröhan-Museums. Wie so viele, auf die Tage nach der Pandemie.

Rebekka Wiese

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