zum Hauptinhalt
Rauf auf den Sockel. Der Kabarettist Wolfgang Neuss, 1959 fotografiert.

© dpa/pa

Haus am Lützowplatz Berlin: Für immer Kellerkind

Ein Denkmal für den Komiker Wolfgang Neuss: Das Haus am Lützowplatz präsentiert 33 nicht immer hundertprozentig ernst gemeinte Vorschläge.

Was dem Beuys der Filz und das Fett, ist dem Neuss der Finger. Eine vom Künstler in die Welt gesetzte Kriegslegende, die bis heute Eindruck macht. Das fehlende Glied der linken Hand, das sich Wolfgang Neuss als MG-Schütze an der Ostfront angeblich in einer Selbstverstümmelungsaktion abgeschossen hat, inspiriert in der Ausstellung „Ein Monument für Wolfgang Neuss“ gleich vier Künstlerinnen und Künstler.

Fritz Bornstück hat einen überdimensionierten Keramikfinger geschaffen und Lola Göller das Modell eines begehbaren Marmormonuments angefertigt, auf dem ein roter Finger rotiert. Zu sehen sind die beiden Arbeiten im Haus am Lützowplatz, wo mit insgesamt 33 Werken ernsthafter Jux-Kunst ein fiktiver Denkmalwettbewerb durchgespielt wird, der an Wolfgang Neuss erinnern soll.

In vier Jahren hätte der Komiker seinen 100. Geburtstag. Und wie zu hören ist, denkt die Akademie der Künste zu Berlin schon über Zeremonien nach. Ein Pech nur, dass sich das Geburtstagskind schon seit 30 Jahren die Radieschen von unten ansieht. Im Mai 1989, noch rechtzeitig vor dem Mauerfall, starb der radikalste Kabarettist, den West-Berlin hervorgebracht hat. Von Nachkriegsdeutschland gar nicht zu reden.

Als Mann mit der Pauke wird Neuss berühmt

Zwar erregte der 1923 in Breslau geborene Bühnenkünstler und Filmschauspieler zuletzt nur noch Aufsehen als linker Alt-Sponti und zahnloser Haschrebell, der Marihuana-Rauchzeichen ausstößt. Aber in den Fünfzigern und Sechzigern hat der Kultur-Anarcho dem restaurativen Eiapopeia der Ära Adenauer als „Mann mit der Pauke“ gehörig vor den Bug gehauen.

Als Sidekick in zahlreichen Kinofilmen vom „Wirtshaus im Spessart“ bis „Chapeau Claque“. Als Autor und Hauptfigur der genialen Satire „Wir Kellerkinder“, die NS-Deutschland und die „Vergangenheitsbewältigung“ der Nachkriegszeit auf die Schippe nimmt. Vor allem in seinen Kabarettprogrammen.

Knallhase und Stinkefinger. Blick in die Neuss-Schau im Haus am Lützowplatz.

© Manfred Peckl/Haus am Lützowplatz

Mehr als 700 Mal ist er allein im Keller vom Haus am Lützowplatz als „Mann mit der Pauke“ aufgetreten. Dort residierte in den Sechzigern noch nicht der Club „Trompete“, sondern das „Domizil“. Und Mitglied des Förderer-Kreises war Neuss auch. Sein Kabarettsolo „Das jüngste Gerücht“ pflegte er mit den Worten „Guten Abend, Girls und Boys, hier begrüßt sie der Thersites vom Lützowplatz, das Ungeheuer von Loch Neuss“ einzuleiten.

Das Haus am Lützowplatz erinnert an seinen Hausgeist

Überfällig also, dass mit einer Ausstellung an den dort nach Auskunft des Künstlerischen Leiters Marc Wellmann bis heute hoch geschätzten Hausgeist erinnert wird. Initiiert hat sie der Maler Jan Muche. Der ist zwar erst 44 Jahre alt, aber trotzdem seit Kindertagen Neuss-Fan. Wie das geht? „Meine Eltern haben immer seine Platten gehört.“

Rotes Tuch und Schokoladensau. Blick in die Neuss-Schau im Haus am Lützowplatz.

© Manfred Peckl/Haus am Lützowplatz

Das ausgerechnet Neuss, diesem wortwitzig-avantgardistischen Stachel im Fleische der jungen Bundesrepublik, in Berlin bis heute noch keine Straße gewidmet ist, hat Muche auf die Idee eines „Architekturwettbewerbs“ gebracht. Wobei Alt-Hippie Wolfgang Neuss die Idee, ein Denkmal zu erhalten, sicher abgelehnt hätte, glaubt der Maler. Zumindest kein handelsübliches. Wäre ja auch noch schöner. „Mittelmäßigkeit kann man Neuss nicht vorwerfen“, sagt Jan Muche und betont die ungebrochene Modernität von dessen Humor.

Der musste den an der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen allerdings erst einmal in eigens von Jan Muche veranstalteten Tutorials erklärt werden. „Viele kannten Neuss, wenn überhaupt, nur als Kifferikone“, sagt Muche.

Nur einer der Künstler hat Neuss persönlich erlebt

Nur einer, der 80-jährige Lützowplatz-Anrainer Wolfgang Petrick, hatte den Kabarettisten noch persönlich erlebt. Die bemalte Gedächtnis-Stele des Malers und Bildhauers sieht in ihrem wildem Materialmix denn auch schwer nach West-Berliner Kunst der achtziger Jahre aus. Ein ebenso knalliges Werk stammt auch von Sven Drühl, die Leuchtreklame „Anarcho Communism“. Der Landschaftsmaler, dessen eigenwillige Berg-Panoramen gerade in der St. Matthäus-Kirche am Kulturforum zu sehen sind, hat als Neuss-Monument ein mit Hammer und Sichel verquicktes Anarcho-A gebaut.

[Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 10. 11.; Di bis So 11 – 18 Uhr]
Dass die betont improvisiert, dicht gedrängt auf Europaletten platzierten Werke ausgerechnet im Souterrain, in der Studio-Galerie zu sehen sind, hätte Stadtindianer Neuss sicher amüsiert. Einmal Kellerkind, immer Kellerkind.

Umso schöner, dass die dem Sujet angemessen spaßige Schau neben Karikaturen wie dem ausgestopften Hasen mit Plastikgewehr und Lodenhütchen von Thomas Henninger und einer Hommage des Schriftstellers Joachim Lottmann auch Aphorismen des Meisters enthält. Nein, nicht Neuss’ Talkshow-Crasher „Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“, sondern der von Bettina Scholz auf eine per Teleskop-Arm unter der Decke fixierte Platte gebannte Satz „Ich hab nie aufgehört, von unten anzufangen“.
Das ist eine Drama und Demut jeden kreativen Schaffens zusammenfassende Weisheit, der allemal ein Denkmal gebührt. Am besten draußen auf dem Lützowplatz. Nur blöd, dass Platten am Berliner Himmel so schwer anzubringen sind.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false