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Kana (38), Iva (57) und Tume (62), Brasilien: „Wir hören weiße Menschen immer sagen: mi amor, mi amor, aber bei uns sagen wir sowas nicht. Wir wissen nicht, was Liebe ist. So etwas gibt es hier nicht.“

© Davor und Anđela Rostuhar

Für die Kunst um den Globus: Wie Liebe aussehen kann – Porträtfotos aus der ganzen Welt

Davor und Anđela Rostuhar haben Verliebte in 30 Ländern auf fünf Kontinenten fotografiert. Ihre Ausstellung in Berlin zeigt Beziehungen in all ihren Facetten. Eine Auswahl.

Alles begann auf einem Schiff Richtung Antarktis. Der kroatische Fotograf Davor Rostuhar erblickte die Bucht, an der sie ankern sollten. Eisschollen trieben auf dem Meer, mitten in der Nacht war es taghell.

Dann rief er seine damalige Freundin und Reisegefährtin Anđela aufs Deck. Davor machte ihr einen Heiratsantrag, und sie sagte ja. Das frische verlobte Paar feierte mit dem besten Wein im Speisesaal unter Deck.

„Vielleicht können unsere Flitterwochen ein ganzes Jahr lang dauern und wir können gehen, wohin auch immer wir wollen!“, sagte Davor zu Anđela – so zumindest beschreibt der Fotograf die Erinnerung im Rückblick auf seine Ausstellung „Love Around The World“.

Davor machte Anđela einen Vorschlag für das Flitterjahr: „Ich wollte schon immer das Wesen der Liebe auf der ganzen Welt ergründen.“ Er stelle sich vor, mit Menschen aus diversen Kulturen darüber zu reden, was Liebe und Beziehungen ihnen bedeuten

„Klar!“, soll Anđela gesagt haben, nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hat. „Liebe auf der ganzen Welt, ich mag die Idee.“ Von Januar bis Dezember 2019 reisten die beiden um die Welt, porträtierten fotografisch Paare und andere Beziehungsformen und befragten zahlreiche Menschen.

Ein weites Spektrum von Liebe ist dargestellt

Angefangen in Kroatien reisten sie in 30 Länder, darunter Kirgisistan, Saudi Arabien und die Salomonen im Südpazifik. Insgesamt führten sie 120 Interviews. Das Ergebnis lässt sich ab Samstag in einer Fotoausstellung der Berliner Galerie „f³ - freiraum für fotografie“ in Kreuzberg begutachten.

!ui (40) und !ao (36) aus Namibia gehören zu einem der ältesten Völker der Erde, den !Kung-Buschmännern. Noch vor zehn Jahren lebten sie als Jäger und Sammler in der Kalahari-Wüste.
!ui (40) und !ao (36) aus Namibia gehören zu einem der ältesten Völker der Erde, den !Kung-Buschmännern. Noch vor zehn Jahren lebten sie als Jäger und Sammler in der Kalahari-Wüste.

© Davor und Anđela Rostuhar

Mit ihrer Ausstellung haben die Rostuhars die „Liebe“ in ihrer gesamten Spannbreite erkundet: von tragisch, platonisch, archaisch und widerständig bis hin zu toxisch ist fast alles dabei. Eines dieser Porträtfotos zeigt zum Beispiel Nahid (34) und Nazanin (27), ein lesbisches Paar aus dem Iran. 

Nahid (34) und Nazanin (27) aus dem Iran sind lesbisch und leben in einem der letzten Länder weltweit, in dem auch heute noch die Todesstrafe für Homosexuelle gilt.
Nahid (34) und Nazanin (27) aus dem Iran sind lesbisch und leben in einem der letzten Länder weltweit, in dem auch heute noch die Todesstrafe für Homosexuelle gilt.

© Davor und Anđela Rostuhar

In dem Land gilt bis heute die Todesstrafe für Homosexuelle. Das Paar, eng aneinander angeschmiegt, Händchen haltend, blickt mit einem unbekümmerten Lächeln in die Kamera. „Man kann sich nicht einfach aussuchen, in wen man sich verliebt“, sagte Nazanin dem Fotografen-Paar im Interview. „Die Liebe brennt sich in dich hinein wie ein Funke und setzt dein ganzes Wesen in Brand.“

Marcelo (53) aus Chile und Jose (27) aus Brasilien haben sich im Internet kennengelernt. Jose war davor immer nur mit Frauen zusammen gewesen und hatte gehofft, eines Tages mit einer Frau eine Familie zu gründen.
Marcelo (53) aus Chile und Jose (27) aus Brasilien haben sich im Internet kennengelernt. Jose war davor immer nur mit Frauen zusammen gewesen und hatte gehofft, eines Tages mit einer Frau eine Familie zu gründen.

© Davor und Anđela Rostuhar

Dann wiederum gibt es Beziehungen, in der die Liebe nicht einmal über die Lippen der Paare kommt. Wie bei Teuro (92) und Michiko (88) aus Japan. „Er wohnte in meiner Nähe und sah gut aus, also habe ich seinen Heiratsantrag angenommen“, erklärte Michiko. In ihren 67 gemeinsamen Ehejahren sollen sie nie darüber nachgedacht haben, was das eigentlich ist – die Liebe.

Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte Davor Rostuhar: „Liebe ist universell und jeder Mensch ist dazu fähig, egal in welche Kultur und Gesellschaft er geboren ist. In welcher Form die Liebe daherkommt und welche Rolle Gefühle dabei spielen, kann jedoch völlig unterschiedlich sein.“ 

Davor (37) und Anđela (33) aus Kroatien verlobten sich in der Antarktis. Sie beschlossen, statt nach ihrer Hochzeit Flitterwochen zu machen, ein Jahr lang um die Welt zu reisen und zu erforschen, was Liebe ist und ob sie universell ist.
Davor (37) und Anđela (33) aus Kroatien verlobten sich in der Antarktis. Sie beschlossen, statt nach ihrer Hochzeit Flitterwochen zu machen, ein Jahr lang um die Welt zu reisen und zu erforschen, was Liebe ist und ob sie universell ist.

© Davor und Anđela Rostuhar

Ausgewählt wurden die porträtierten Menschen dem 39-Jährigen zufolge danach, dass sie eine der vielen Beziehungsformen repräsentieren – also zum Beispiel monogam, queer, polyamorös oder auch die arrangierte Ehe.

Ghasiram (60) und Kamla (50) aus Indien gehören zum Nomadenvolk der Bopa, welches mit seinen Kamelen durch die Wüsten Rajasthans zieht und eine der extremsten Form der Zwangsverheiratung praktiziert. 
Ghasiram (60) und Kamla (50) aus Indien gehören zum Nomadenvolk der Bopa, welches mit seinen Kamelen durch die Wüsten Rajasthans zieht und eine der extremsten Form der Zwangsverheiratung praktiziert. 

© Davor und Anđela Rostuhar

„Am meisten waren wir über Menschen überrascht, die in einer Beziehung mit Puppen leben, zum Beispiel wie in Japan oder in den USA. Diese Puppen besaßen zum Teil eine künstliche Intelligenz, die Liebhaber konnten mit ihnen sprechen.“ 

Fahad (60) und Tamadur (55) aus Saudi-Arabien sagen, sie sprechen erst seit kurzem, nachdem ihr Land sich allmählich dem Rest der Welt gegenüber zu öffnen begann, über Gefühle. „Unsere Eltern waren nicht gebildet, sie haben uns auch nichts über Gefühle beigebracht.“
Fahad (60) und Tamadur (55) aus Saudi-Arabien sagen, sie sprechen erst seit kurzem, nachdem ihr Land sich allmählich dem Rest der Welt gegenüber zu öffnen begann, über Gefühle. „Unsere Eltern waren nicht gebildet, sie haben uns auch nichts über Gefühle beigebracht.“

© Davor und Anđela Rostuhar

Die männlichen Puppen haben die Bezeichung Android, die weiblichen werden als Gynoid bezeichnet. „In 30 bis 40 Jahren könnte es so weit sein, dass diese Puppen nicht mehr von Menschen zu unterscheiden sind, haben uns die Liebhaber gesagt.“

Jitendra (40), Rattna (38) und Sadnam (38) aus Indien leben im Kinnaur Valley, einem abgelegenen Tal im Himalaya. Es ist einer der letzten Orte auf der Welt wo noch die Polyandrie praktiziert wird – der Brauch, bei dem eine Frau mehrere Ehemänner hat.
Jitendra (40), Rattna (38) und Sadnam (38) aus Indien leben im Kinnaur Valley, einem abgelegenen Tal im Himalaya. Es ist einer der letzten Orte auf der Welt wo noch die Polyandrie praktiziert wird – der Brauch, bei dem eine Frau mehrere Ehemänner hat.

© Davor und Anđela Rostuhar

Ob mit oder ohne Puppen: Das Fotografenpaar Davor und Anđela Rostuhar hat mit seiner Ausstellung und der bestechend einfachen Frage – Was ist Liebe? – ein Werk geschaffen, an das so gut wie alle Menschen anknüpfen können. 

Don (69) und Sara (70) aus den Vereinigten Staaten verbrachten die ersten 20 Jahre ihres gemeinsamen Lebens – ganz auf sich gestellt – in einem Tipi in der Wildnis, wo sie fünf Kinder bekamen. „Sara hat sich um unsere Beziehung immer stärker bemüht als ich“, sagt Don.
Don (69) und Sara (70) aus den Vereinigten Staaten verbrachten die ersten 20 Jahre ihres gemeinsamen Lebens – ganz auf sich gestellt – in einem Tipi in der Wildnis, wo sie fünf Kinder bekamen. „Sara hat sich um unsere Beziehung immer stärker bemüht als ich“, sagt Don.

© Davor und Anđela Rostuhar

Zwar positionieren die Rostuhars die Paare und anderen Beziehungskonstellationen auf den Porträtfotos immer auf dieselbe Art und Weise. Mangels Abwechslung kann das Interesse an den Fotos mit der Zeit deshalb abnehmen.

Frederick (34) und Ann (30) aus Kenia gehören zu dem schnell wachsenden Teil der städtischen Bevölkerung Afrikas, der sich zunehmend von patriarchalischen Traditionen löst.
Frederick (34) und Ann (30) aus Kenia gehören zu dem schnell wachsenden Teil der städtischen Bevölkerung Afrikas, der sich zunehmend von patriarchalischen Traditionen löst.

© Davor und Anđela Rostuhar

Doch die Liebes- und Nicht-Liebesgeschichten hinter den Fotos bleiben allesamt auf ihre eigene Art und Weise herzergreifend. Die vorbehaltlose Darstellung von Liebe und die Vielfalt des weltumspannenden Werks machen die Ausstellung des Fotografenpaars zu einem niedrigschwelligen und bereichernden Kulturerlebnis.

Die Ausstellung „Love Around The World“ ist vom 04. Dezember 2021 bis zum 20. Februar 2022 im „f³ - freiraum für fotografie“ zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 13 bis 19 Uhr.

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