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Die Altstadt von Dresden.

© Reuters/Michael Rietschel

Freya Klier über Dresden 1919: Friedliche Revolution

Die Autorin und einstige DDR-Bürgerrechtlerin Freya Klier bettet die Geschichte der Dresdner Novemberrevolution in eine politische Chronik der Epoche ein.

Nein, Dresden 1919 war nicht die Geburt einer neuen Epoche, wie die gebürtige Dresdnerin Freya Klier im Titel meint. Die ereignete sich für Deutschland in bewaffneten Kämpfen um eine parlamentarische Republik in Berlin und München – und für ganz Europa durch den Friedensschluss von Versailles. Mit falschem Zungenschlag nennt sie ihn ohne Anführungszeichen einen Schandfrieden. Dass mit diesem Schlagwort der Minister Erzberger ermordet wurde, weil er den Vertrag unterzeichnet hatte, dass damit der Weg in den Zweiten Weltkrieg gebahnt wurde, kann ihr kaum entgangen sein. Immerhin schildert sie mit Anteilnahme die Schicksale Dresdner Opfer von Nationalsozialismus und Antisemitismus und schließt mit einem Bekenntnis deutscher Soldaten von 1916 zum Frieden in ganz Europa.

Klier bettet die Geschichte der Dresdner Novemberrevolution in eine politische Chronik der Epoche ein, die fast die Hälfte des Buches ausmacht. Kernstück ist allerdings eine Revue der politischen und kulturellen Umwälzungen in Dresden. Zumindest in der Bildenden Kunst trugen sie tatsächlich zur Geburt einer neuen Epoche, des Expressionismus, bei. Als Kronzeugen zitiert Klier Otto Dix, Oskar Kokoschka und Otto Griebel, bei dessen Autobiografie „Ich war ein Mann der Straße“ sie sich ausgiebig bedient. Ihr besonderes Interesse gilt der Dresdner Frauenbewegung um Marie Stritt, die im Frauenwahlrecht der Republik eine „Weltenwende für deutsche Frauen“ sah.

Klier deckt eine Geschichtslüge auf

Politisch verlief die neue Epoche in Dresden zum Glück unblutig, wie die „Dresdner Volkszeitung“ der SPD schon am 23. November 1918 berichten konnte, eine Woche nach der Ermordung Rosa Luxemburgs in Berlin. Die letzten revolutionären Zuckungen der alten kommentiert Freya Klier mit den flapsigen Worten, sie wollte „nicht abgehängt sein wie eine alte Tante, die plötzlich weich geworden ist.“ In Dresden rief der Arbeiter- und Soldatenrat im Zirkus Sarrasani den Freistaat Sachsen aus und erklärte den Sächsischen König für abgesetzt. Immer schon weich, ließ er ließ sich abhängen wie ein alter Onkel. Die Berliner Tragödie als Dresdner Farce! Friedrich August III. letzte legendäre Worte an seine Dresdner lauteten angeblich „Machd euern Dregg alleene“.

Blutig wurde die Dresdner Revolution erst mit der Hetzjagd aufgeputschter Kriegsinvaliden auf den sächsischen Minister Gustav Neuring, die ihn wegen Kürzung ihrer Pensionen misshandelten, in die Elbe warfen und erschossen, als er sich schwimmend retten wollte. In den Geschichtsbüchern der DDR wurde daraus die Tat rechtsradikaler Demonstranten. Eine Geschichtslüge, die Freya Klier als gelernte DDR-Bürgerin aufdeckt, aber darauf besteht: „Wenigstens in Dresden kann man von einer friedlichen Revolution sprechen.“ Das gilt für 1919 wie für 1989.

Freya Klier: Dresden 1919. Die Geburt einer neuen Epoche. Herder Verlag, Freiburg 2018. 384 Seiten, 26 €.

Hannes Schwenger

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