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Gentleman. Der britische Dirigent Daniel Harding.

© Stephan Rabold

Daniel Harding und die Berliner Philharmoniker: Fremdeln mit der Welt

Daniel Harding dirigiert die Berliner Philharmoniker, Dorothea Röschmann singt Bergs "Wozzeck"-Fragmente in der Philharmonie.

Anders als Schubert oder auch Brahms, vielleicht sogar anders als Beethoven macht Mahler in seiner ersten Symphonie mit selbstbewusster Geste eine Setzung: Der Stil ist hier schon ganz da, alles Spätere keimzellenhaft in diesen vier Sätzen enthalten – vor allem natürlich das gebrochene Verhältnis zur Welt, das jegliche Erfahrung nur noch als vermittelte gestattet. Da war Mahler nicht der Einzige, die Berliner Philharmoniker und Dirigent Daniel Harding stellen seinem Erstling Werke von Zeitgenossen zur Seite, die auf ähnliche Weise von verlorenem Urvertrauen künden, eher intuitiv wie bei Charles Ives oder brutal offen, für alle sicht- und hörbar, bei Alban Berg.

Mit unbestimmt schwebendem Streicherflirren, das Morgenstimmung in einem Bostoner Park evozieren soll, hebt der Abend in der Philharmonie sehr besonnen an, es ist der Beginn von Ives’ Minizyklus „Three Places in New England“. Zu mahleresken Assoziationen lädt vor allem der zweite Teil ein, in dem Ives diverse Militärmärsche, subtil rhythmisch verrutscht, parodiert. Die Philharmoniker geben sich alle Mühe, doch es bleibt der Eindruck eines Fremdelns, so ganz gehen sie nicht auf in diesem doch sehr amerikanischen Humor. Dann die typische Bergsche Sinnlichkeit, vom ersten Takt an spürbar, in den Drei Bruchstücken op. 7, mit denen Berg erfolgreich für seine Oper „Wozzeck“ warb. Sopranistin Dorothea Röschmann beherrscht als Marie die Kunst, sich von der höchsten unmittelbar in die tiefsten Lagen quasi hineinzufalten, so dass man gar nicht richtig registriert, welch enorme Sprünge sie hier bewältigt. Gegen Ende des kurzen Auftritts wird sie richtig laut – gelungener Ausdruck einer gequälten Seele oder nur noch Schreien? Die Linie zwischen beiden ist dünn und schnell überschritten.

Harding ist ein Gentleman am Pult, aber einer, der die Zügel fest in der Hand hält. Und in Mahlers Symphonie vor allem lange Spannungsbögen aufbaut. Das spukhafte Flageolettflimmern zu Beginn des ersten Satzes, der „falsche“ Kuckucksruf der Klarinette als Quart- statt Terzfall: Sie erzählen von einem beschädigten Weltverhältnis, genauso wie das zerbrechliche Basssolo in viel zu hoher Lage (Janne Saksala), das im dritten Satz die berühmte, ins Moll gewendete „Bruder Jakob“-Melodie intoniert. Und deshalb ist natürlich auch nichts an dem triumphalen Finale glaubwürdig, bestätigt vielmehr auch an diesem Abend wieder einmal Adornos griffige Erkenntnis, dass Mahler ein schlechter Jasager war.
Noch einmal diesen Freitag, 20 Uhr, Philharmonie. Das Rundfunk-Sinfonieorchester spielt Mahlers 1. Symphonie ebenfalls am Sonntag, 20 Uhr, Konzerthaus – dann in der fünfsätzigen Fassung.

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