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Frankreichs Obama: Roschdy Zem spielt den Präsidenten Idder Chaouch.

© Arthur Farache Sauvegrain

Französische Filmwoche in Berlin: Die Politserie "Les Sauvages" kittet einen Riss in der Grande Nation

Als Idder Chaouch zum ersten algerischstämmigen Präsidenten gewählt wird, muss er um sein Leben fürchten.

Von Andreas Busche

Der neue Präsident der fünften Republik ist algerischer Herkunft. Könnte man sich eine bessere Prämisse für die französische Filmwoche vorstellen? Die sechsteilige Miniserie „Les Sauvages“ (Canal Plus) von Rebecca Zlotowski ist der stärkste Beitrag des diesjährigen, 42 Filme umfassenden Programms, ein Politthriller, der mitten ins Herz der französischen Gesellschaft abzielt. Im Rahmen der Filmwoche sind die ersten beiden Folgen zu sehen (Freitag im Cinema Paris, Samstag im Rollberg). Zlotowski, zuletzt mit dem Coming-of-Age-Film „Ein leichtes Mädchen“ in den Kinos, unterstreicht nicht nur ihren klugen feministischen Blick, sondern auch einen überzeugenden politischen Zugriff auf Genres.

„Les Sauvages“ beginnt am Tag vor der Präsidentschaftswahl. Idder Chaouch (Roschdy Zem) gilt als Hoffnungsträger der zerrütteten Nation, als Kind von Immigranten ist er Bindeglied zwischen der Generation, die den Algerienkrieg erlebt hat, und der desillusionierten Jugend in den Banlieues. Frankreichs Obama. Seine zentristische Politik wird von Teilen der arabischen Bevölkerung aber auch kritisch gesehen, ein Verrat an seiner Herkunft. Die Behörden rechnen mit einem Anschlag muslimischer Extremisten. Oder doch von fanatischen Rechten?

Chaouch wird als Obama Frankreichs gefeiert

„Les Sauvages“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Sabri Louatah (sein größter Fan ist Virginie Despentes) – ein Thriller, aber auch der hoffnungsvolle Gegenentwurf zu Houellebecqs satirischer Dystopie „Unterwerfung“ über die Islamisierung Frankreichs. Roschdy Zem besitzt tatsächlich etwas vom Charisma Obamas, Chaouch steht für ein neues französisches Gesellschaftsmodell. Tochter Jasmine (Souheila Yacoub, von Gaspar Noe entdeckt) leitet seinen Wahlkampf und ist mit dem ebenfalls arabischstämmigen Fouad (Dali Benssalah), Star einer soapigen Arztserie, verlobt. Er stammt jedoch aus einer traditionellen Familie aus dem ländlichen Saint-Étienne. Fouads Bruder Nazir, das schwarze Schaf, hat sich im Gefängnis radikalisiert.

Aus dieser Gemengelage entwickelt Zlotowski einen geradlinigen, ökonomischen Plot, ein Hybrid aus „24“ und „House of Cards“: ein ganz neuer Sound im Œuvre der Regisseurin. Auch in ihren Filmen setzt sie eine visuelle Glätte als Stilmittel ein, aber vor allem lassen die differenzierten Charakterzeichnungen, offengelegt in den familiären Konflikten zweier vollkommen gegensätzlicher Migrationsgeschichten, ihre Handschrift erkennen. Wie souverän sie auch diesen leicht mainstreamigen TV-Look beherrscht (gedreht wurde auf 35mm), macht noch einmal deutlich, dass Rebecca Zlotowski momentan zu den hoffnungsvollsten Filmemacherinnen im europäischen Kino gehört. Das Highlight der Französischen Filmwoche.
Die Französische Filmwoche läuft bis zum 4. Dezember. Info: www.franzoesische-filmwoche.de

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