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17.10.2023, Hessen, Frankfurt/Main: Slavoj Zizek, slowenischer Philosoph, spricht während der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse. Gastland der weltgrößten Bücherschau, die bis zum 22. Oktober stattfindet, ist im Jubiläumsjahr Slowenien. Foto: Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Arne Dedert

Frankfurter Buchmesse: Slavoij Žižeks Rede, Sorge um Israel und die Relativierung des Bösen

Schon bei der Eröffnungsfeier und am ersten Messetag zeigt sich, wie die Ereignisse und Konfliktlinien im Nahen Osten auch die Frankfurter Buchmesse erschüttern.

Mittwochmorgen, kurz vor zehn Uhr. Beim Einlass am Haupteingang der Frankfurter Buchmesse ist alles wie immer: kurze Taschenkontrolle, schnelles Scannen der Tickets, überschaubarer Andrang. Man hat hier nicht den Eindruck, dass diese Messe eine schwierige, erschütternde, womöglich höhere Sicherheitsmaßnahmen erfordernde werden könnte.

Zumal nach dem Eklat vom Abend zuvor, als der slowenische Philosoph Slavoij Žižek bei der Eröffnungsfeier für Empörung und fast tumultartige Szenen sorgte. In seiner mäandernden, mitunter wirr-provokativen Rede sprach er davon, dass der Nahen Osten „nicht ohne eine Lösung der Palästinafrage“ zur Ruhe kommen könne und er sich gerade einem „Analyseverbot“ ausgesetzt sehe: „Sobald man anfängt, den komplexen Hintergrund der Situation zu analysieren, wird man verdächtigt, den Terrorismus der Hamas zu unterstützen oder zu rechtfertigen. Ist uns klar, wie merkwürdig dieses Analyseverbot ist? In welche Gesellschaft gehört so ein Verbot?“

Ich vergleiche nichts, was nicht vergleichbar ist.

Slavoij Žižek, slowenischer Philosoph

Es gab Buhrufe, ein paar Gäste verließen den Saal, aber auch einigen Beifall. Insbesondere der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker geriet in Zorn und widersprach nach weiteren Ausführungen Žižeks („man muss in beide Richtungen denken, palästinensische Rechte verteidigen und Antisemitismus bekämpfen“) diesem auf offener Bühne.

Relativiert Žižek den Hamas-Terror?

Becker warf Žižek vor, Hamas-Terror und israelische Politik zu vergleichen, den Terror der Hamas zu relativieren. Das wies dieser seinerseits empört-erregt zurück: „Ich vergleiche hier nichts, das ist kein Relativismus. Sie sehen jetzt, was Zuhören bedeutet, Diversität, Inklusion. Ist das unsere Art von Diversität? Manche Leute scheinen ausgeschlossen zu werden.“

Mehrmals noch betonte Žižek spontan - seine Rede las er ab -, dass er das Hamas-Massaker nicht relativiere, nicht rechtfertigen wolle, um doch wieder auf den „Hintergrund“ des Nahost-Konflikts zu verweisen, den man erkennen müsse, auf „die Tragödie der Palästinenser“.

Die Absage der „LiBeraturpreis“-Verleihung an die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli auf der Messe wiederum bezeichnete er als „skandalös“, „ein Paradox der Cancel-Culture“. Und der Philosoph schloss mit den Worten: „Ich vergleiche nichts, was nicht vergleichbar ist.“   

Nach der Rede Žižeks beeilte sich Buchmessendirektor Jürgen Boos auf die Bühne zu kommen und gewissermaßen zu schlichten: „Es ist die Freiheit des Wortes, und die müssen wir hier stehen lassen. Und das ist mir wichtig. (…). Slavoj, du hast uns die Abgründe aufgezeigt, und die stecken in uns allen. Für diese Abgründe, die du uns zeigst, den Spiegel, den du uns vorhältst, bin ich dir dankbar. Für die Worte, die du sprechen musstest, im Namen der Menschlichkeit, um die trauere ich. (…)

Und, so Boos weiter: „Ich bin froh, dass wir das hier so aussprechen können, auch froh, wenn eine Rede unterbrochen wird, das muss möglich sein, ich bin froh, dass wir die Rede zu Ende gehört haben. Auch wenn sie uns nicht gefallen mag, auch wenn wir sie vielleicht verurteilen - es ist wichtig, dass wir uns zuhören. Ich danke ihnen allen, ich danke der Buchwelt.“

Es ist die Freiheit des Wortes, und die müssen wir hier stehen lassen.

Jürgen Boos, Direktor der Buchmesse, nach der Rede des Philosophen

Boos‘ Stimme war bei diesen unvorbereiteten Worten nicht ganz fest. Da wirkte er anderntags schon wieder gefasster, als er abermals eine ihm „enorm wichtige“ Veranstaltung eröffnete: die von der Buchmesse und dem PEN Berlin organisierte und kurzfristig ins Programm genommene Diskussionsrunde „Sorge um Israel“ im Pavillon auf dem großen Platz des Messegeländes, der Agora.

Moderiert von der Journalistin und Filmemacherin Esther Shapira versuchten hier die Schriftsteller Doron Rabinovici und Tomer Dotan-Dreyfus sowie Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, darüber nachzudenken, was sich mit dem 7. Oktober und dem Hamas-Massaker politisch und für die drei auch ganz persönlich verändert hat: „Welche Hoffnungen sind erloschen, welche Ängste sind erwacht?“, so Shapira.

Alle drei sind sich einig darüber, dass die Terrorattacke eine Zäsur in der Geschichte Israels darstelle. Dass es jetzt wieder eine „existentielle Angst“ (Dotan-Dreyfuß) gebe, dass nun auch für in der Diaspora lebende Menschen jüdischer Herkunft so wie Rabinovici, Dotan-Dreyfuß und Mendel Israel kein sicherer Ort mehr sei, kein Zufluchtsort, angesichts des zunehmenden Antisemitismus beispielsweise in Berlin oder Wien, angesichts der pro-palästinensischen Demonstrationen.

Ich fühle eine Bedrohung.

Doron Rabinovici, Wiener Schriftsteller, der in Tel Aviv geboren wurde

Und, so Rabinovici: „Auch wenn das ein bisschen obszön klingt und nicht zu vergleichen ist mit der Lage der Israelis im Land, mit meinen Verwandten: Ich fühle eine Bedrohung.“   

Be´eri als Synonym für das absolut Böse

Natürlich wurde auch auf Slavoij Žižeks Rede Bezug genommen, überhaupt das Schweigen und die zögerliche Solidarität von Teilen der Linken diskutiert, ihre pro-palästinensichen Sympathien.

So sagte Meron Mendel: „Mir fehlt bei vielen Linken gerade die Grundlage dafür, dass Wort ,Be´eri‘ als Synonym für das absolut Böse zu betrachten, das, was da passiert ist, so wie es bei Sabra und Shatila der Fall ist, bei Srebrenica, dass das ein Wort für sich ist, und zwar ohne dass mir ein Slavoij Žižek erklärt, das müsse kontextualisiert werden. Erst wenn wir diese gemeinsame Grundlage haben, können wir über alles reden, über die politischen Zusammenhänge, auch über die Fehler Israels. Über Be´eri, Nir Oz und die anderen Orte: Darüber kann man nicht diskutieren.“

Rabinovici ergänzte, dass sich 2015 bei Charlie Hebdo die Zivilgesellschaft einig gewesen sei und nicht diskutiert habe, ob das Magazin die Karikaturen hätte veröffentlichen sollen oder nicht.“

Mendel hatte zu Beginn gesagt, angesichts des Leids in Israel, der Nähe zu den Opfern, der Bilder, die er gesehen hat, überhaupt noch gar nicht über eine „Kontextualisierung“ nachdenken zu können. Rat- und Verständnislosigkeit herrschte in der Runde darüber, dass es im Moment trotzdem immer wieder ein „Wenn“ und ein „Aber“ gäbe. Ja, dass sie in Gesprächen immer wieder ausdrücklich betonen und wiederholen müssten, die Hamas-Attacken seien das Böse schlechthin.

„Was wir immer wieder hören“, so Mendel über den mangelnden Konsens in der Verurteilung des Hamas-Massakers: „,Was erwartet ihr? Wenn ihr das Land kolonisiert, ist das jetzt ein Dekolonisierungskampf‘.

Alle Israelis würden von der postkolonialen Linken als Siedler gesehen, so Mendel weiter, ganz Israel sei für diese ein besetztes Land, nicht nur die besetzten Gebiete, „und die Befreiung Palästinas bedeutet dann die Befreiung ganz Israels, auch von Jaffa, Tel Aviv, Haifa etc. Ich aber will, dass das Existenzrecht Israels anerkannt wird, dass anerkannt wird, dass ich eine Existenz habe, eine Identität. Das steht vor jeder Diskussion“  

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