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Lescaut (Roman Trekel) und seine Schwester Manon (Anna Nechaeva)

© imago/DRAMA-Berlin.de

"Manon Lescaut" an der Berliner Staatsoper: Flucht aus der Traumfabrik

Langeweile im glitzernden Hollywood: Jürgen Flimm holt seine Petersburger „Manon Lescaut“-Inszenierung an die Berliner Staatsoper.

Während der Student Renato des Grieux in blitzartigem Entschluss sein eben entdecktes Mädchen besingt, „Donna non vidi mai“ – eine Frau wie sie sah ich noch nie –, verraten jede Menge Filmküsse per Video seine Träume. Video wird groß geschrieben in dieser Inszenierung von Jürgen Flimm. Giacomo Puccinis 1893 uraufgeführte Oper „Manon Lescaut“ ereignet sich im Charlottenburger Schillertheater als „Hollywood-Tragödie“, beginnend in den Studios der Sunset Motion Pictures.

Versteht sich, dass die junge Manon sich beim Casting als Anwärterin auf die Hauptrolle spreizt. Da allerdings der reiche Filmproduzent Geronte ebenfalls ein Auge auf die Schöne geworfen hat, überredet Des Grieux Manon zur Flucht aus der Traumfabrik. Ihr leichtfertiger Bruder Lescaut aber schafft es dann doch, sie mit dem Alten zu verbinden. Das macht Flimm bereits am Ende des ersten Akts deutlich und signalisiert damit den Zwiespalt der Titelheldin.

Sechs Librettisten hat Puccini einst für seine Version von Antoine-François Prévosts Romanklassiker „Manon Lescaut“ aus dem 18. Jahrhundert arbeiten lassen. Bei Jürgen Flimm wird die Handlung mit ihren Unebenheiten nun gleich aus Frankreich nach Amerika verlegt. Das würde wenig schaden, wenn es gelungen wäre, das Interesse des Zuschauers auf die Rollencharaktere zu lenken. Flimm aber tut sich mit der Personenführung, besonders auffällig in den Liebesszenen, diesmal erstaunlich schwer.

Die Figuren versinken im Einerlei des Belcanto

In langen Filmsequenzen fährt das Paar überlebensgroß im Kabrio an Landschaften und Städten vorbei, weitere Ablichtungen erträumend. Der Bühnenbildner George Tsypin kennt sich am Broadway aus, und Ursula Kudrna zieht aus der Filmszenerie den Gewinn, bunte Märchenkostüme aller Art einzupassen.

Unmotiviert, wie Manons Deportation und Tod in der amerikanischen Wüste vom Stück her angelegt sind, darf sich filmisch auch die Wallstreet einmischen. Flimms Inszenierung steigert ihre Atmosphäre ganz zum Schluss, der Berliner Staatsopern-Intendant nennt es einen „teuren Augenblick“, wenn Manon die Sonne nicht mehr sieht und unter der Kameraführung ihres geheimnisvoll stumm anwesenden Bruders Lescaut stirbt.

Hollywood glitzert und man wundert sich auf die Dauer darüber, wie langweilig es dort unter den Komparsen und Revuegirls zugeht. Die Figuren, die der Abbé Prévost in seinem Roman fein gezeichnet hat, versinken im Einerlei des Belcanto.

Ins Kloster soll die junge Frau auf Befehl ihrer Eltern gehen, weil sie sich zu viel an Unterhaltung und Vergnügen hält, eine „femme légère“ und zugleich tragisch Liebende, sprunghaft, untreu. Auf der Bühne des Schillertheaters steht die hübsche Anna Nechaeva, zeigt sich mit Hilfe der Regie übermütig verliebt in Ketten und Juwelen, singt verlässlich, aber wenig differenziert. Das erotische Fluidum der leidenden Frau geht ihr ab.

Roman Trekel als Lescaut lenkt die Aufmerksamkeit auf sich

Da die Staatskapelle Berlin – mit wohlklingenden Bläsersoli – unter der Leitung des 38-jähirgen russischen Dirigenten Mikhail Tatarnikov den Salonton des Puccini-Werkes üppig aufdreht, kommt mehr füllige Instrumentation als historisierende Farbe auf, etwa im Menuett. Tatarnikov ist Musikdirektor des Mikhailovsky-Theaters in St. Petersburg, aus dem die Koproduktion auch an Flimms Staatsoper gelangt ist. Am Sonntag bei der Deutschland-Premiere stimmt der fabelhafte Staatsopernchor mit den Tempovorstellungen Tatarnikovs nicht immer gänzlich überein.

Riccardo Massi singt, dem Orchester angepasst, überwiegend laut, während die Melancholie des fühlenden Herzens in seiner Wehrlosigkeit, der Schmerz des lebensuntüchtigen Des Grieux, seiner Darstellung fehlen. Wenig punkten kann auch Franz Hawlata in der undankbaren Rolle des alten Liebhabers Geronte. Stephan Rügamer macht das Beste aus seiner Rolle als Student (hier: betagter Komparse) Edmondo. Unter dem zahlreichen Nachwuchs aus dem Opernstudio fällt David Ostrek als Kapitän auf.

Roman Trekel aber, dieser Wolfram- Typ und Schubert-Sänger, spielt als verworfener Bruder Lescaut einen Dandy, wie er im Buche steht, und lenkt die Aufmerksamkeit auf sich.

Indessen bleibt die Frage, warum der Intendant Flimm diese schwache Arbeit des Regisseurs Flimm nach Berlin geholt hat.

Weitere Aufführungen am 8., 11., 16., 19. und 22. Dezember

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