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Bücher über Bücher. Sicher werden auf der Leipziger Buchmesse auch zweite gezeigt.

© Foto: Jan Woitas/dpa

Leipziger Buchmesse: Das zweite Buch: Fliegen für mehr als einen Tag

Das Debüt ist geschafft, der erste Ruhm geerntet, doch wie geht es dann weiter für den Literaten? Über die Schwierigkeit, das zweite Buch zu schreiben.

Debüt, wie das schon klingt! So zart und leicht und elegant, voller Versprechen. Kritiker lieben dieses Wort, schmücken Texte und Überschriften damit, verleihen jede Menge Preise für Erstlingswerke. Das erste Mal: Nicht nur beim Bücherschreiben und -veröffentlichen ist das eine meist magische Erfahrung. Erfolgsschriftsteller wie Philip Roth oder Herta Müller zu loben, ist keine Kunst. Aber einen Debütanten oder eine Debütantin zu feiern und zu verlegen, erfordert einen Riecher, vielleicht sogar Mut. Da kann sich der Kritiker, allein oder in einer Jury, auch als Entdecker auf die Schulter klopfen. Gerade angesichts der Fülle von Neuerscheinungen sehnt sich doch jeder nach einer kleinen Sensation. Und je jünger und schöner ein Wunderkind, umso besser.

Als „zuweilen recht oberflächlich“ beschreibt der Schweizer Romancier Jens Steiner den Hype um Debüts, „das Brimbamborium“, wie Ulrike Almut Sandig es nennt, bei dem es darum gehe, „schnell neue Gewinner zu definieren und den Rest ebenso schnell auszusieben.“ Die Künstlerin und Schriftstellerin Teresa Präauer, die für „Für den Herrscher aus Übersee“ mit dem Aspekte-Debütpreis ausgezeichnet wurde, amüsiert sich heute noch: Sie habe vorher gar nicht gewusst, dass es den Begriff der Debütantin auf dem Buchmarkt überhaupt gibt. Das Wort lässt die Österreicherin eher an den Wiener Opernball denken.

Mit der Veröffentlichung des ersten Manuskripts geht ein Traum in Erfüllung – und die Unschuld perdu. Präauer, mit ihrem zweiten Roman „Johnny und Jean“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, fühlte sich bei ihrem Erstling unbeobachteter. Aber auch verlorener. „Das macht es nicht einfacher.“

Mit dem zweiten Buch muss man sich bewähren

Mit einem Erstling kann man die Öffentlichkeit nur positiv überraschen, es erwartet ja niemand was. Mit dem nächsten allerdings muss man sich bewähren. Das zweite Buch, das klingt, ganz profan, nach den Mühen der Ebene. Die ziemlich bergig sein kann, möglicherweise sogar alpin. Als Daniel Kehlmann – richtig berühmt geworden mit „Die Vermessung der Welt“, seinem sechsten Buch – der „Financial Times“ verraten sollte, auf welche literarische Arbeit er am stolzesten ist, antwortete er: „My second novel, back in 1998. A second novel is the most difficult thing in the world.“

Für einige scheint es zumindest die gefürchtetste Sache der Welt zu sein, eine Krankheit, die sogar einen Namen hat: „the second book syndrom.“ Die Allgegenwärtigkeit dieser Debatte, sagt der Schweizer Schriftsteller Jens Steiner (der dieses Frühjahr seinen dritten Roman veröffentlicht), sei der Grund gewesen, warum er seinen zweiten „Carambole“ so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte, obwohl ihm das Schreiben Spaß gemacht hat. „Dem zweiten Buch wird eine schwierige Beweislast auferlegt: Kann er es nun wirklich oder ist er eine Eintagsfliege?"

Ab wann ist jemand überhaupt ein Schriftsteller. Ab dem zweiten Buch? Dem dritten oder vierten? Vom ersten Literaturpreis an? Oder der ersten Veröffentlichung? Ab dem Moment, wo er allein vom (literarischen) Schreiben leben kann? Oder jenem, wo er zu schreiben beginnt, weil er gar nicht anders als schreibend leben kann. Ein Debütant hat nichts zu verlieren. Außer Zeit, Schweiß und Hoffnungen, vielleicht auch ein paar Freunden, je nach Besessenheitsgrad.

Es geht nicht nur ums Schreiben, sondern um Marktmechanismen

Beim zweiten Buch dagegen scheint der Druck für viele enorm zu sein. Das hat auch Thorsten Dönges vom Literarischen Colloquium Berlin (LCB) im Laufe vieler Autoren-Workshops beobachtet. Wer wenig Resonanz findet, ob im Verlag oder in der Öffentlichkeit, „der fragt sich: In welche Trompete muss ich jetzt blasen?“ Da geht es nicht mehr allein ums Schreiben, sondern um Marktmechanismen und das Desinteresse und die Aufmerksamkeit des Literaturbetriebs. Vorher war all das Theorie, inzwischen hat man es selbst erlebt. Was, wenn sich der erste Verlag enttäuscht abwendet, sich aber auch kein anderer für das neue Manuskript interessiert? Auch der Zeitdruck wächst. Denn zu lange darf sich der Debütant nicht Zeit lassen mit seinem nächsten Werk, egal, ob das erste gelobt, gehypt, kritisiert oder ignoriert wurde, ob es ein Verkaufserfolg oder Flop war. Den Erstlingswerken dagegen, so Dönges, merkt man oft an, wie viel Zeit die Schriftsteller in sie gesteckt haben.

Mit der Schriftstellerin Ulrike Draesner hat Dönges 2013/2014 einen Workshop „Das zweite Buch“ am LCB geleitet. Die Idee war nicht ganz neu. Ein Stipendium für das zweite Buch hatte es schon von der Stiftung Niedersachsen gegeben, von 1993 bis 2008, auch wenn es nur intern so genannt wurde, nach außen schlicht „Autorenförderung“ hieß. Bewerben konnte man sich nicht. Eine Jury suchte Prosa-Autoren, Lyriker und Essayisten aus, die sich mit ihren Debüts hervorgetan hatten. Mit dem üppig dotierten Stipendium (9000 Euro für drei Monate) sollten die Schriftsteller in einem geschützten Raum herausfinden, so Gesa Schönermark von der Stiftung, wie ernst ihnen die Schriftstellerei ist – oder ob die Sache sich vielleicht mit einem (nicht selten stark autobiografischen) einmaligen großen Wurf erledigt hatte.

Als Ulrike Almut Sandig von dem Workshop im LCB erfuhr, dachte sie: „Das ist genau mein Ding. Da kannst du dich mit Kollegen und Kolleginnen über die Erwartungen des eigenen Egos und die des Literaturbetriebs unterhalten, über die Stimmen im Kopf, die dir sagen: Das kannst du so aber nicht schreiben, das kommt nicht gut im Feuilleton an.“ Aber vor allem wollte sie mit Kollegen „in konzentrierter Abgeschlossenheit“ am Text arbeiten. Wobei ihr zweites Buch tatsächlich schon ihr fünftes war – nur ihr zweites Prosabuch.

Oder ist das Gerede nur ein Medienhype?

Es gibt Schriftsteller, die das Gerede über das schwierige zweite Buch nur für einen Medienhype halten, eine Erfindung des Literaturbetriebs, die es in den achtziger Jahren nach Meinung von F.C.Delius noch nicht gab, da hätte niemand Wind um „solche harmlosen Kinderkrankheiten gemacht. Autoren sollten sich (und solche Wehwehchen) nicht so wichtig nehmen“, findet der 72-Jährige. Er selbst sei viel zu beschäftigt gewesen mit den vielen Fragen, die sich ihm formal und inhaltlich mit seinem Zweitling „Adenauerplatz“ stellten. Auch Ingo Schulze hat andere Erfahrungen gemacht: Er empfand die Arbeit an „Simple Stories“ (1998), dem Roman, den er ein paar Wochen vor Erscheinen seines Debüts „33 Augenblicke des Glücks“ begann, sogar als Luxus: weil er, nachdem das erste Manuskript tatsächlich ein Buch geworden war, „befreit war von der Unsicherheit, ob sich da auch jemand fände, der es will. Man weiß, da gibt es ein paar Leute, die sich dafür interessieren werden, man kennt ein paar Kollegen, Verlagsleute, Kritiker“. Für Schulze war das dritte Buch das schwerste. „Da brauchte ich drei Jahre, bis ich mit dem eigentlichen Schreiben beginnen konnte.“

Schlimmstenfalls kann der Mythos des schwierigen zweiten Buchs gar zur self fulfilling prophecy werden. Klaus Modick etwa glaubte, dass „nach einem Debüt das angeblich besonders wichtige und angeblich besonders schwer gelingende zweite Werk her muss“, und so hatte er mit einem umfangreichen Roman begonnen. „Eine ambitionierte Sache, die mich vor lauter Recherchen, Gliederungen, Skizzen, Handlungs- und Personengerüsten immer energischer auf der Stelle treten ließ, bis die Stelle zu einer Art schwarzem Loch wurde, in dem die Ambitionen rettungslos versanken. Anders gesagt: ich kam nicht weiter.“

Harper Lee war ein One-Hit-Wonder

Bis er schließlich einen früher begonnen Text umarbeitete, mit Vergnügen und Erfolg. Nur: Was, wenn es sich doch nicht um ein Wehwehchen, sondern eine existenzielle Krankheit handelt? Vor allem die US-Literaturgeschichte kennt einige legendäre „one hit wonder“. Ralph Ellison zum Beispiel, dessen Roman „The Invisible Man“ praktisch mit Erscheinen 1952 zum monumentalen Klassiker der afro-amerikanischen Literatur wurde. Erst posthum erschien Ellisons zweiter Roman, „Juneteenth“, den er aber gar nicht selbst vollendet hatte: Sein literarischer Nachlassverwalter hatte die 2000 Seiten, an denen Ellison 40 Jahre schrieb, auf weniger als 400 eingedampft. Oder, aktuelles Beispiel: Harper Lee. Ihr autobiografischer Roman „Wer die Nachtigall stört“ (1960), ein Longseller mit über 40 Millionen verkauften Exemplaren. Und danach: nichts. Lee zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Jetzt aber wurde plötzlich eine Fortsetzung angekündigt, die im Juli mit einer Millionen-Startauflage erscheinen soll. Oder ist es doch kein zweiter Roman, sondern die Vorstufe des ersten? Vor allem in der angelsächsischen Welt wird heftig diskutiert und spekuliert. Der Fall wirft eine Frage auf, die nicht nur die inzwischen 88-jährige Harper Lee betrifft: Wo fängt man überhaupt zu zählen an? Rechnet man Manuskripte, die in der Schublade oder im Abfalleimer landeten, mit? Nicht selten ist der zweite in Wirklichkeit ja der dritte, vierte oder fünfte Roman.

Bei allem Hype um Neuentdeckungen vergisst man leicht: Schreiben erfordert Mut. Die Gefahr, nicht zu schaffen, was man sich vorgenommen hat, ist stets gleich groß, findet Ulrike Almut Sandig. „Man wird von Buch zu Buch ja nicht talentierter, nur etwas erfahrener.“ F.C. Delius’ Rat: „vor Erscheinen eines neuen Buches schon entscheiden, welches das nächste werden soll“. Und wieder von vorne beginnen, bloß keine Wiederholungen, einen anderen Ton finden. „Immer damit rechnen, scheitern zu können.“

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