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US-Regiessuer Todd Phillips (links) und Joker-Darsteller Joaquin Phoenix beim Filmfestival in Venedig.

© Vincenzo Pinto/AFP

Filmfestival in Venedig: Clownshorden in Gotham City

Neues vom Lido: Costa-Gavras verfilmt Varoufakis, Todd Phillips kümmert sich um Joker und Haifaa al-Mansour setzt auf einfache Botschaften.

Von Andreas Busche

Der Satz „Die Deutschen kommen“ löst südlich der Alpen keine überschwänglichen Gefühle mehr aus. Auch das wohl ein Zeichen, dass die europäische Gemeinschaft brüchiger geworden ist. Ohnehin ist auf dem Lido kaum etwas davon zu spüren, dass Italien gerade eine Regierungskrise abgewendet hat. Das könnte am Gewöhnungseffekt liegen – oder daran, dass Politik in Italien ohnehin Privatsache ist. Umso verblüffender, dass mit Costa-Gavras in diesem Jahr einer der politisch exponiertesten Filmemacher einen Ehrenpreis erhält.

„Die Deutschen kommen“ lautet der Schlachtruf in „Adults in the Room“, den der griechisch-französische Regisseur an den Lido mitgebracht hat: die Verfilmung von Yanis Varoufakis’ Erinnerungen an seinen Kurzauftritt als griechischer Finanzminister. Eine Tragikomödie, aber auch absurdes Polittheater.

Costa-Gavras sympathisiert mit dem von Alexandros Bourdoumis gespielten Polit-Renegaten, der sich testosteronhaltige Wortgefechte mit Wolfgang Schäuble (Ulrich Tukur) lieferte. Zumindest in der Varoufakis-Version, die der Regisseur nur zu gern kolportiert. Die Folgen der europäischen Austeritätspolitik bekommen heute nicht nur die Griechen zu spüren. Dass die italienische Presse Costa-Gavras am Ende beklatscht, war zu erwarten.

Warner Brothers ist diesmal dabei

Eine Nummer kleiner ist die ökonomische Krise in „Joker“ von Todd Phillips, der sich der Vorgeschichte von Batmans Widersacher annimmt. Warner Brothers lässt seine Filme gewöhnlich nicht im Wettbewerb konkurrieren, aber die Abkehr von dieser Regel könnte sich dieses Jahr als goldrichtig erweisen.

Anfang der 1980er schlägt sich der psychisch labile Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) als Clownsdarsteller in der heruntergekommenen Gotham City durch, die an Scorseses New York aus „Taxi Driver“ erinnert. In den Straßen stapelt sich der Müll, die Gewalt ist eskaliert und die Bevölkerung geht gegen die Politik und die Reichen, in Person des Bürgermeisterkandidaten Thomas Wayne, auf die Barrikaden. Während sich Arthurs Zustand verschlechtert – er halluziniert einen Auftritt bei seinem Lieblingsshowmaster Murray Franklin (Robert de Niro) – kollabiert langsam die öffentliche Ordnung.

Joaquin Phoenix spielt phänomenal

Für sein DC-Debüt tauscht „Hangover“-Regisseur Phillips die effektlastigen Schauwerte des Superheldenkinos gegen einen dreckigen, fast haptischen Realismus ein, der sichtlich vom Kino des New Hollywood inspiriert ist. Phoenix spielt wie immer phänomenal, sein Joker ist – im Gegensatz zu den Vorgängern – nie over the top, sondern immer schon jenseits von gut und böse. „Joker“ wirkt wie arretiert in einem fragilen Bewusstseinszustand, der jederzeit abrupt von einer deliranten Musicaleinlage in Gewalt umschlagen kann. Am Ende marodieren Clownshorden durch Gotham City.

Wie viel praktischer sind dagegen die Probleme in „The Perfect Candidate“ von der saudi-arabischen Regisseurin Haifaa al-Mansour. Die Niqab-tragende Ärztin Maryam (Mila Alzahrani) will eigentlich nur, dass die Stadt endlich den Weg zur Notaufnahme asphaltiert. Weil die Bürokratie aber versagt, geht sie in die Lokalpolitik. Anleitungen zum Grassrootswahlkampf findet sie auf Youtube (bei einem Redneck-Republikaner). Ihr Vater, ein traditioneller Sänger, schämt sich – wie alle Männer im Film – für die Emanzipation seiner Tochter.

Al-Mansour knüpft mit „The Perfect Candidate“ wieder an ihr Debüt „Das Mädchen Wadjda“ an. Ihre Botschaft ist einfach und klar, der Film erinnert im Konzert der großen Politdramen aber auch daran, dass gesellschaftliche Veränderung im Kleinen beginnt.

(Die Recherche wurde vom Filmfestival Venedig unterstützt.)

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