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Innig. Adèle Haenel und Noémie Merlant in „Portrait of a Lady on Fire“.

© Festival

Filmfestival in Cannes: Gefangene des Begehrens

Wunder der Sinnlichkeit: Mit dem historischen Drama „Portrait of a Lady on Fire“ von Céline Sciamma hat der Cannes-Wettbewerb seinen ersten Favoriten.

Von Andreas Busche

Cannes-Besuchern klingen noch die Worte Jessica Chastains, vor zwei Jahren Mitglied der Jury, in den Ohren, die sich auf der Abschlusskonferenz erschüttert zeigte über das negative Frauenbild im Wettbewerb. Einiges hat sich seitdem an der Croisette verbessert, auch unter Druck von außen. Vergangene Woche veröffentlichte das Festival erstmals Zahlen, die die Bemühungen um mehr Geschlechtergleichheit transparent machen. 26 Prozent aller eingereichten Filme waren von Regisseurinnen, ihr Anteil im Wettbewerb beträgt allerdings nur 19 Prozent. In der „A Certain Regard“-Reihe liegt der Anteil mit 42 Prozent deutlich höher. Doch Festivalleiter Thierry Frémaux muss sich letztlich daran messen lassen, was auf der Leinwand zu sehen ist. Auch hier überzeugt Cannes bislang quer durch alle Sektionen.

Die französische Filmemacherin Céline Sciamma („Tomboy“) gehört an der Croisette schon länger zu den Publikumslieblingen. Mit ihrem Wettbewerbsdebüt „Portrait of a Lady on Fire“ hat sie sich nun im Cannes-Pantheon unvergesslich gemacht. Ihre vierte Regiearbeit ist ihr erstes historisches Drama, und sie nähert sich dem späten 18. Jahrhundert mit für ihre Verhältnisse fast klassizistischer Diskretion an. Die Malerin Marianne (Noémie Merlant) wird einer verwitweten Landadligen (Valeria Golino) mit einem Porträt ihrer Tochter Héloïse (Adèle Haenel) beauftragt, das – Tinder lässt grüßen! – als Bewerbungsfoto für einen männlichen Aspiranten fungieren soll. Héloïse hat allerdings keine Lust aufs Heiraten, was Mariannes Aufgabe erschwert. Sie gibt sich als Gesellschaftsdame für die renitente junge Frau aus, das Gemälde muss sie aus ihrer Erinnerung malen.

Magische Verführungskünste

Sciamma stellt zwischen den beiden Frauen eine zurückhaltende, sinnliche Intimität her, die sich anfangs lediglich aus Gesten und Blicken erschließt. In ihren Gesprächen wird deutlich, dass sie nicht nur in ihren gesellschaftlichen Rollen, sondern auch mit ihren Begehren Gefangene ihrer Epoche sind. Frauen ist es weder erlaubt, als Künstlerinnen zu reüssieren, noch haben sie die Freiheit, sich als eigenständige Subjekte zu behaupten. Die gemeinsame Arbeit an dem Porträt, dem Héloïse schließlich zustimmt, gehört zu den schönsten Verführungskünsten, die das queere Kino seit Langem gesehen hat.

Marianne und Héloïse beschließen, nicht das Bild zu erfüllen, das die Gesellschaft für sie bereithält – sie schaffen ihr eigenes. Dabei geht Sciamma historisch akkurat vor, sie verzichtet in ihrer Emanzipationsgeschichte auf jegliches modernistisches Ornament. In einer idealen Welt wäre „Portrait of a Lady on Fire“ ein haushoher Palmenfavorit, aber bekanntlich gelten in Cannes für Filmemacherinnen noch immer eigene Gesetze.

Auch in den Nebenreihen finden sich in diesem Jahr starke Filme von Regisseurinnen. Die Französin Rebecca Zlotkowski erzählt in „An Easy Girl“, der in der „Quinzaine des Réalisateurs“ läuft, die Coming-of-Age-Geschichte der 16-jährigen Naïma (Mina Farid), die über die Sommerferien in den Bann ihrer freizügigen Cousine Sofia (Instagram-Star Zahia Denar, die 2009 in den Sexskandal um Franck Ribéry verwickelt war) gerät.

Zlotkowskis Interpretation klassischer Eric-Rohmer-Themen verleiht dem Klischee des „leichten“ Mädchens einen interessanten Dreh: Die Regisseurin entlarvt die Bigotterie des „männlichen Blicks“, während sie gleichzeitig von sexuellen Begehren und Macht erzählt – und dies an der monetären Macht eines neureichen Verehrers mit Luxusyacht spiegelt. „An Easy Girl“ ist auch eine schöne Hommage an Cannes, das Zlotkowski geschmackvoll in Szene setzt. Für eine narzisstische Veranstaltung wie ein Filmfestival ist diese Form der Eigenwerbung natürlich vollkommen angemessen.

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