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Oliver Haffners politischer Heimatfilm "Wackersdorf".

© Filmfest München

Filmfest München: Atemlos durch die Nacht

Ein politischer Heimatfilm, eine Auseinandersetzung mit der MeToo-Debatte und eine hinreißende Liebesgeschichte: Die deutschen Premieren beim Filmfest München.

Ein weißes Auto in Pontonform fährt durch eine leere dunkle Hügellandschaft, zuhause wartet auf den Fahrer ein Drohbrief in Schreibmaschinenschrift: „Heimatverräter!“. Oliver Haffners Film „Wackersdorf“ wirkt mit seinen klaren, ruhigen Bildern aus der Oberpfalz wie ein Detox-Mittel, wenn beim 36. Filmfest München mit seinen 185 Produktionen aus knapp 50 Ländern die optische Verkaterung droht: Etwa, wenn in einem trotz hervorragender Besetzung recht infantilen Dating-App-Film („Safari – Match Me If You Can“ von Rudi Gaul) unentwegt gelb-blaue Schilder mit Tiersymbolen in den Münchner Himmel schießen, um digitale Treffer zu symbolisieren. Oder wenn drogensüchtige junge Frauen mitten auf der Straße in die Hocke gehen, um sich zu erleichtern. Das findet Klaus-Lemke-Schüler Henning Gronkowski als Regisseur des Berliner Sex-and-Drug-Films „Yung“ offenbar besonders abgefahren.

Gronkowski, Jahrgang 1988, drehte mit Laiendarstellerinnen, was seinen Film umso trostloser macht, außer für Voyeuristen. Klaus Lemkes neues Werk „Bad Girl Avenue“, das der 77-Jährige ebenfalls in München präsentierte, hat dagegen den von ihm gewohnten holprigen Anarcho-Witz: Er: „Kann ich deine Tasche tragen?“ Sie darauf: „Lass mal, die ist zu schwer für dich.“

Oliver Haffners politischer Heimatfilm „Wackersdorf“ wurde bei der Premiere umjubelt. Das wirkte wie ein Kommentar zu der Verwirrung, die CSU- Politiker derzeit stiften, auch mit großspurigen Ankündigungen zur Zukunft des Münchner Filmfests. Atmosphärisch exakt, mit originalem Bildmaterial und humorvollen Untertönen rekonstruiert „Wackersdorf“ die Vorgänge um die atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in den 80er Jahren. Die bayerische Staatsregierung unter Franz Josef Strauß wollte das megalomane Projekt in der strukturschwächsten Region des Freistaats mit aller Macht durchdrücken, bis hin zur Rechtsbeugung. Sie hatte dabei nicht mit dem Widerstandswillen der Oberpfälzer gerechnet. „Zeitgeschichtliche Stoffe kommen im Kino jenseits von Nazi, Stasi und RAF praktisch nicht vor, schon gar nicht im Bayerischen“, erklärt Produzent Ingo Fließ, der wie der Regisseur selbst aus der Region stammt.

Eine differenzierte Reflexion der MeToo-Debatte

Bei der Verleihung der Förderpreise Neues Deutsches Kino in der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), mit insgesamt 70 000 Euro Preisgeld hierzulande eine der wichtigsten Auszeichnungen für den filmischen Nachwuchs, ging „Wackersdorf“ allerdings leer aus. Die mit der Produzentin Jamila Wenske, der Regisseurin Uisenma Borchu und der Schauspielerin Vicky Krieps rein weiblich besetzte Jury schien eher der Maxime zu folgen, wonach das Private politisch ist. Sie prämierte Eva Trobischs HFF-Abschlussarbeit „Alles ist gut“ in den Kategorien Regie (30 000 Euro) und Schauspiel (10 000 Euro) für die Hauptdarstellerin Aenne Schwarz. Das Ensemblemitglied des Burgtheaters überzeugt in einem intensiven Drama, das weitgehend auf Musik verzichtet und dafür auf treffsichere Dialoge und ein spannendes Erzählen mit Leerstellen setzt. Die rationale Lektorin Janne glaubt, alles im Griff zu haben, selbst als sie der Schwager ihres Chefs vergewaltigt. Doch dann trifft sie ihn unvermutet im Verlag wieder – die klaustrophobische Atmosphäre im Kopierraum mit dem stattlichen Martin (Hans Löw) überträgt sich unmittelbar auf das Publikum. „Alles ist gut“ reflektiert auf angenehm differenzierte Weise die MeToo-Debatte, der das Filmfest eine sehr gut besuchte Diskussion widmete. Als großer Fortschritt wurde dabei begrüßt, dass der Bundesverband Schauspiel eine Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung eingerichtet hat.

Milena Tscharntke in „Ende neu“ von Leonel Dietsche.
Milena Tscharntke in „Ende neu“ von Leonel Dietsche.

© Filmfest München

Anna de Paoli wurde als unabhängige Produzentin des verunglückten transeuropäischen Nerd-Horrorfilms „A Young Man with High Potential“ ausgezeichnet (20 000 Euro), außerdem Damian John Harper für sein unkonventionelles Drehbuch für das ebenfalls englischsprachige, vom Kleinen Fernsehspiel des ZDF koproduzierte Familiendrama „In the Middle of The River“. Dieses spielt in New Mexico, und wurde weitgehend mit ganzkörpertätowierten und bewaffneten Laien gedreht, deren Vokabular weitgehend aus dem F-Wort besteht. Dennoch ist der mit der Handkamera gedrehte Film über eine vereitelte Rache intensiv und wagemutig.

Diese Attribute erfüllte nur die Minderheit jener 16 Filme, die Kurator Christoph Gröner diesmal in die Reihe Neues Deutsches Kino aufnahm. Leonel Dietsche wagte sich mit „Ende neu“, zu einem aufregenden Elektronik-Soundtrack von Antimo Sorgente und dem stets sehenswerten Sylvester Groth in einer der Hauptrollen an eine bemerkenswerte, wenn auch unmotiviert brutale männerskeptische Dystopie in Graubraun. Michael Kliers Berliner Drama „Idioten der Familie“ über das schwierige Verhältnis von vier erwachsenen Geschwistern zur geistig behinderten Jüngsten (eindringlich: Lilith Stangenberg) enttäuscht, weil es sich komplett in Andeutungen verliert. Auch Katinka Narjes’ fluide in Primärfarben gefilmte „Nixen“ verplätschert in Belanglosigkeiten.

Zum siebten Mal leitete Diana Iljine das Festival

Dass für die Liebe in Berlin dennoch Hoffnung besteht, bewiesen der absurd komödiantische „Liebesfilm“ von Robert Bohrer und seiner Partnerin Emma Rosa Simon sowie „Kim hat einen Penis“ von Philipp Eichholtz. „Wir wollten ein Kontrast zum Muschibubu, das wir in Kreuzberg haben“, erklärte Bohrer den Umstand, dass in seinem Film Protagonisten aus den Nachrichten wie der italienische Unglücks-Kapitän Schettino in die Handlung eingreifen. Das wirkt recht albern, wohingegen sich der titelgebende Penis nicht aufs Metaphorische beschränkt: Kim hat ihn sich in einer Schweizer Klinik spontan anbringen lassen, sehr zur Überraschung ihres duldsamen, leicht überforderten Freundes Andreas: „Bitte vorsichtig, der ist noch frisch!“. Martina Schöne-Radunski und Christian Ehrich spielen ein hinreißendes Liebespaar, das versucht, jenseits aller Gender-Aufgeregtheiten mit der neuen Situation zurecht zu kommen. Vier Monate lang sei die Operation reversibel, beruhigt der Schweizer Professor Kim am Telefon.

Ein schöner surrealer Moment zum Ende des Münchner Filmfests, das zum siebten Mal von Diana Iljine geleitet wurde und bis Samstagabend mehr als 80 000 Besucher anzog. Allein die 30 Veranstaltungen der Reihe „Filmmakers Live“ unterstreichen seinen Charakter als Publikumsfestival. Das bleibt hoffentlich irreversibel.

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