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Am Anfang ist die Beziehung von Asli (Canan Kir) und Saeed (Roger Azar) noch ganz unbeschwert.

© Neue Visionen

Filmdrama über 9/11: Liebe im Blindflug

"Die Welt wird eine andere sein" handelt von einem Beziehungsdrama in Zeiten des Terrors. Regisseurin Anne Zohra Berrached spricht über toxische Gefühle und Komplizenschaft.

Von Andreas Busche

Das Gefühl des Verliebtseins befindet sich auf der emotionalen Skala irgendwo zwischen Euphorie und Kontrollverlust. Es zieht den Boden unter Füßen weg, reißt einen hinweg. Vielleicht wird die Liebe darum manchmal mit einer Karussellfahrt verglichen, einem Jahrmarkt der Gefühle.

Die Berliner Regisseurin Anne Zohra Berrached benutzt das Bild dieses Gefühlsrauschs in ihrem dritten Film „Die Welt wird eine andere sein“ ganz wörtlich. Als die Medizinstudentin Asli (Canan Kir in ihrer ersten großen Rolle – und was für eine Entdeckung sie ist) das erste Mal Saeed sieht, gespielt vom libanesischen Darsteller Roger Azar, ist sie kurz vorm Abheben: Sie sitzt in einer Karussellgondel in einer deutschen Provinzstadt irgendwann Mitte der Neunziger. Es ist Liebe auf den ersten Blick.

In fünf Kapiteln über fünf Jahre begleitet „Die Welt wird eine andere sein“ die wechselhafte Beziehung von Asli und Saeed, fünf Kapitel, in denen die Liebe in einen deutschen Kleinstadt zunehmend geopolitische Dimensionen annimmt, die deutlich machen, dass die Ereignisse, die der Filmtitel andeutet, nicht nur die Leben von Asli und Saeed von Grund auf verändern werden. Anne Zohra Berrached muss selbst lachen, als sie sagt: „Ich wollte eine Liebesgeschichte vor dem größtmöglichen historischen Ereignis erzählen. Das war schon ein bisschen größenwahnsinnig.“

Das Treffen findet in einem Café statt, das der Einfachheit halber im Nachbarhaus von Berracheds Kreuzberger Wohnung liegt. Die Sommer-Berlinale, auf der ihr Film seine Premiere hatte, liegt einige Wochen zurück, die Kinotour steht kurz bevor. Die Regisseurin ist erleichtert, endlich wieder mit einem Publikum kommunizieren zu können. Und es gibt viel zu bereden, wobei das gar nicht mal so leicht ist. Denn im Zentrum von „Die Welt wird eine andere sein“ steht ein Geheimnis, dessen Tragweite Asli nur langsam, genau genommen frustrierend langsam, realisiert.

Frauen von Schwerverbrechern und Mördern

Berrached, die mit Stefanie Misrahi das Drehbuch geschrieben hat, streut lediglich ein paar Hinweise ein. Dass Saeed Pilot werden möchte (obwohl seine Eltern, Beiruter Oberschicht, lieber einen Arztsohn hätten) und er sich zunehmend radikalisiert, sind Informationen, die sich rückblickend natürlich viel leichter einordnen lassen. Vor dem 11. September 2001 war das, worauf „Die Welt wird eine andere sein“ schicksalhaft zusteuert, noch undenkbar.

Eigentlich wollte Berrached ja keinen 9/11-Film machen. Sie erzählte, dass sie sich während ihrer Recherchen viele Biografien der Frauen von Schwerverbrechern und Mördern angesehen habe. Aber sie wollte das ganz große Drama, lacht sie. Und dann so dicht an ihre Figur heranzoomen, dass die Weltpolitik völlig außen vor bleibt. Wie schon in ihrem Langfilmdebüt „Zwei Mütter“ und dem Abtreibungsdrama „24 Wochen“, 2017 mit der silbernen Lola ausgezeichnet, steht im Mittelpunkt von „Die Welt wird eine andere sein“ eine Frau – nur dass ihre Protagonistin diesmal kein selbstbestimmtes Subjekt ist.

Die Berlinerin Anne Zohra Berrached gewann mit dem Abtreibungsdrama "24 Wochen" die Silberne Lola beim Deutschen Filmpreis 2019.
Die Berlinerin Anne Zohra Berrached gewann mit dem Abtreibungsdrama "24 Wochen" die Silberne Lola beim Deutschen Filmpreis 2019.

© Michael Hübner

Asli hat eine Karriere und sich von ihrer traditionellen türkischen Mutter emanzipiert; doch emotional bleibt sie ein Kind. Als Saeed im zweiten Jahr ihrer Beziehung mit Verletzungen aus Jemen, wie er behauptet, zurückkehrt, stellt sie keine Fragen. Canan Kir spielt diese schwankenden Gefühlszustände mit einer Mischung aus mädchenhafter Verzweiflung und trotziger Härte. Sie möchte Saeed nicht verlieren, weiß aber auch nicht zu kämpfen.

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Berrached spricht vom „Makel der Passivität“, das Asli anhaftet – doch sie vermeidet das Wort Stigma. Die schwierigste Aufgabe im Schneideraum mit ihrem Editor Denys Darahan habe darin bestanden, den Punkt zu finden, an dem Aslis Zögerlichkeit zu frustrieren beginnt. „Ich will ja nicht, dass sich das Publikum gegen die Figur wendet. Man muss bei Asli bleiben.” Dass dieses high concept, wie es in Hollywood heißt, funktioniert, verdankt „Die Welt wird eine andere sein“ nicht zuletzt der Natürlichkeit seiner beiden Hauptdarsteller:innen.

Berrached hat bewusst ein "Angeberthema" gewählt

„Canan vergisst beim Spiel alles um sie herum“, erzählt Berrached, „sie kann sich beim Dreh nicht schützen. Sie lässt den Konflikt der Szene unmittelbar an sich heran, man kann das in ihren Augen, in ihrem Gesicht sehen.“ Roger Azar zog vor den Dreharbeiten zunächst ein Jahr nach Berlin, um für seine Rolle Deutsch zu lernen. Zwölf Monate Vorbereitung seien ein unglaublicher Luxus, gibt sie zu. „Wir haben uns alle zwei Wochen zum Proben in meiner Wohnung getroffen. So konnte ich Canan und Roger so ,erziehen‘, wie ich sie brauchte.“

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Im Gespräch legt Anne Zohra Berrached ein gesundes Selbstbewusstsein an den Tag. Sie kokettiert mit solchen Sätzen, meint es aber todernst. Immerhin kennt die 39-Jährige beide Seiten des Geschäfts, die Effizienz einer „Tatort“-Produktion und die ausgeruhte Arbeit fürs Kino. Bloß nicht in die Routinen des Fernsehens verfallen. „Mir wird beim Dreh inzwischen schnell langweilig“, meint sie nur achselzuckend. „Manchmal sag ich meinen Schauspielerinnen beim dritten Take, dass wir die Szene jetzt mit Dialogen drehen, die nicht im Buch stehen. Was spontan vor der Kamera passiert, ist oft einfach interessanter.“

Dazu passt die Entscheidung für ein „Angeberthema“ (Berrached) wie 9/11. Doch durch seinen Fokus umgeht „Die Welt wird eine andere sein“ ein übliches Problem des Themenfilms: Er will sich nie über die Figuren erheben. Berrached legte auch keinen Wert auf das Label „Inspiriert von einer wahren Geschichte“. Die Figuren des 9/11-Piloten Ziad Jarrah und seiner damaligen Freundin seien nur der Ausgangspunkt gewesen, erklärt sie, „aber wenn man das psychologische Muster erst begriffen hat, ähneln sich die Fälle doch sehr. Darum war irgendwann klar, dass wir unsere eigene  Geschichte erzählen müssen.“

Zwanzig Jahre später sieht man die Rollen von Asli und Saeed klarer. Berrached erkundet aber noch ein anderes Motiv von Komplizenschaft in dieser Liebesgeschichte. Sie hätte den Film gerne „Kopilotin“ genannt; so nennt Saeed in seinem Abschiedsbrief Asli. Als Extrembeispiel einer toxischen Beziehung mutet „Die Welt wird eine andere sein“ wirklich etwas größenwahnsinnig an. Umso schöner, dass die Regie auch den kleinen Beobachtungen Raum gibt. (In sieben Berliner Kinos)

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