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Ljubljana, einer der Hauptschauplätze von Vojnovics Roman

© REUTERS/Srdjan Zivulovic

Familiengeschichte aus Slowenien: Zorn als Lebenselixier

Der Slowene Goran Vojnovic entfaltet in seinem vierten Roman „Unter dem Feigenbaum“ ein balkanisches Jahrhundertdrama.

Der slowenische Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur Goran Vojnovic kreist wie viele Autoren immer wieder um dasselbe Thema. Schon in drei Romanen hat er dem schwierigen Zusammenleben in der postjugoslawischen Gesellschaft nachgespürt. Ljubljana, die Geburtsstadt des 1980 geborenen Autors, ist einer der Hauptschauplätze in Vojnovics viertem Roman „Unter dem Feigenbaum“. Er erzählt eine über vier Generationen angelegte Familiengeschichte, die im Zweiten Weltkrieg ihren Ausgang nimmt und bis in die unmittelbare Gegenwart reicht: In ihr laufen viele der ethnischen Fäden des einstigen Vielvölkerstaats zusammen.

Ausgangspunkt ist der Tod des alten Aleksandar Dordevic, eines Serben mit jüdisch-ukrainischen Wurzeln, der 1955 aus Ljubljana als Forstverwalter nach Istrien geschickt wurde und sich mit seiner schwangeren Frau Jana in Momjan, einem Weiler fünf Kilometer von Buje an der Grenze zu Kroatien, niedergelassen hat. Es ist die Aufgabe des Enkels, den Großvater, der zuletzt seine demente Frau pflegte, zu beerdigen.

Umwerfend komisch, wunderbar zart

Für Jadran, einen gescheiterten Journalisten, der seinen Lebensunterhalt mit Sportwetten verdient, wird dies zum Anlass, der Herkunft seiner Familie nachzuforschen. Warum ist Jadrans Vater Safet, einer „von da unten“ aus Bosnien, 1992 ohne ein Wort aus Ljubljana verschwunden? Welche Rolle spielten dabei Aleksandar und Jadrans Onkel Dane?

Und was hat es mit Aleksandars Jahr in Kairo auf sich, von dem er so verändert zurückkehrt? Außerdem gibt es da noch die wohlhabende Familie seiner Frau Anja, in der sich Jadran fremd fühlt. Während sich die Eheleute immer weiter auseinanderleben, bis Anja eines Tages wortlos verschwindet, lässt Jadran seine Erinnerungen Revue passieren, füllt die blinden Flecken mit seiner Fantasie. „Du brauchst nicht allein sein, um einsam zu sein“, hatte ihm der Großvater mit auf den Weg gegeben, und so ist, wie schon in Vojnovics Debüt „Vaters Land“, die innere Verlassenheit ein großes Thema.

Jadran ist auf der Suche nach seinem Vater, diesem primitiven „Cefurij“, dem „Balkanesen“, den er vermisst, der aber, als er ihn findet, ganz anders ist, als er sich diesen „bosnischen Vater“ vorgestellt hat: „Ich wollte ihn nicht zum Vater. Ich wünschte mir, dass er verschwände.“ Doch eben dieser Vater, der nach Bosnien zurückkehrt und unfreiwillig in den kurzen Krieg gegen seine Wahlheimat Slowenien verwickelt wird, ist die eigentlich tragische Figur des Romans.

Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur Goran Vojnovic
Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur Goran Vojnovic

© Matej Pusnik / Folio Verlag

Vojnovics Entdeckungsdrama, abwechselnd aus Jadrans Ich-Perspektive und auktorial erzählt, wird sichtlich gelenkt vom Blick des Drehbuchautors und Filmregisseurs. Szenisch umwerfend komisch, wenn Jadran eine Luftmatratze erwirbt, die er ins Haus seines künftigen Schwiegervaters trägt, um Anjas Bequemlichkeitsansprüche beim ersten Sex zu bedienen. Wunderbar zart, wenn Aleksandar mit seiner erinnerungslosen Jana zurechtkommen muss. Das aggressive Auseinanderdriften des alten Paares ist beklemmend. Im Unterschied zu „Vaters Land“ erspart der Autor dem Leser diesmal ellenlange Sätze – vielleicht wurden sie auch vom Übersetzer Klaus Detlev Olof aufgelöst.

Pathologische Erinnerungskultur

Bemerkenswert ist jedenfalls Olofs Geschick, das von Safet und Dane im Suff benutzte und verhunzte „naski“, das in Slowenien obsolet gewordene „Serbokratisch“, zu übertragen und die feindlichen Schwingungen zwischen den beiden Protagonisten zu vermitteln.

Auf einer Metaebene kreist der Roman um die pathologische Erinnerungskultur in einem zerrütteten Land. „Ich will nicht, dass etwas meine Erinnerung bestimmt“, sagt Vesna zu Beginn bei der Durchsicht der Familienfotos. „Du hast im Kopf eine große Geschichte aus deinem Leben geknüpft, einen großen dicken Roman, einen roten Faden“, wirft Anja Jadran in einem von der erzählten Zeit her mehrere Tage währenden Schlussdialog vor. Und er räumt ein: „Nur in dieser schön geordneten Welt“, in der sein Großvater möglicherweise Selbstmord begangen hat, „verstehe ich mich.“

Denn, setzt er hinzu, was würde von ihm bleiben, wenn er diese Geschichte jetzt verwerfe, wo wären sein Zorn und sein Hass? Es ist vielleicht der gültigste Satz über die Balkan-Staaten nach dem Krieg.

Goran Vojnovic: Unter dem Feigenbaum. Roman. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlev Olof. Folio Verlag, Bozen 2018. 335 Seiten, 25 €.

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