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Der dänische Schauspieler Mads Mikkelsen erhält für seine Rolle in Thomas Vinterbergs "Der Rausch" den Darstellerpreis.

© Weltkino

Europäischer Filmpreis 2020: Thomas Vinterbergs "Der Rausch" gewinnt vier Auszeichnungen

Die dänische Säufer-Tragikomödie ist der beste europäische Film im Corona-Jahr. Paula Beer gewinnt für ihre Hauptrolle in "Undine".

Von Andreas Busche

Das Kinojahr endet mit einer Botschaft aus der Zukunft. Die isländische Schauspielerin Halldóra Geirharðsdóttir, bekannt geworden als Umweltkriegerin in “Gegen den Strom”, meldet sich am Samstagabend per Live-Schalte von der Verleihung des Europäischen Filmpreises 2021 in Reykjavík. Doch was als selbstironischer Sketch gedacht ist, um zu Beginn der diesjährigen Online-Zeremonie, die passenderweise im Berliner Futurium (statt wie geplant in Reykjavík) stattfindet, die Stimmung aufzulockern, nimmt sich im Grunde wie ein Schreckensszenario aus. Ein Filmjahr ganz im Zeichen von Corona, in der Liebe wie im Krieg, von Suzanne Blier bis Paolo Sorrentino.

Ganz so schlimm wird es wohl nicht kommen, die Laudatorin Vicky Krieps erzählt, sie habe gerade in der Dominikanischen Republik gedreht. Noch kann nemand sagen, was uns das kommende Kinojahr bringt, aber es dürfte ähnlich aussehen, wie das Setting im Studio, wo die künftige Präsidentin der Filmakademie Agnieszka Holland, Wim Wenders, Marion Döring und Mike Downey in höflichem Sicherheitsabstand aufgereiht sitzen. Geht das Kino nun also an die frische Luft – oder droht uns eine Inflation an Zwei-Personen-Kammerdramen?

Wie seltsam dieses Jahr zu Ende geht, zeigt sich schon daran, dass mit “Der Rausch” vom dänischen Dogma-Mitbegründer Thomas Vinterberg, der im Mai das Cannes-Siegel erhielt, ein Film zum Sieger des Abends wird, der in Deutschland dank geschlossener Kinos bislang noch gar nicht zu sehen war. Es ist ein Déjà-vu aus dem Frühjahrs-Lockdown, als mit Christian Petzolds “Undine” und “Berlin Alexanderplatz” von Burhan Qurbani zwei Filme aus dem engeren Favoritenkreis für den Deutschen Filmpreis gerade noch so ihre Berlinale-Premiere erlebt hatten.

Ein versöhnlicher Jahresabschluss für den deutschen Film

Beiden ist man auch am Samstag wiederbegegnet, an dem die Europäische Filmakademie ihren viertägigen Verleihmarathon mit der Vergabe in den Hauptkategorien ausklingen lässt. Sie sind als bester europäischer Film nominiert, haben gegen Vinterbergs Crowdpleaser aber keine Chance. Einzig Paula Beer wird für ihre Rolle als moderne Mythenbezwingerin in “Undine” ausgezeichnet, sie setzt sich unter anderem gegen Nina Hoss durch.

Am Mittwoch war Dascha Dauenhauer bereits für ihre Musik in “Berlin Alexanderplatz” ausgezeichnet worden. Angesichts eines mageren Kinojahres immerhin ein versöhnlicher Abschluss für den deutschen Film.

Die deutsche Schauspielerin Paula Beer gewann schon im Februar auf der Berlinale den Silbernen Bären für "Undine".
Die deutsche Schauspielerin Paula Beer gewann schon im Februar auf der Berlinale den Silbernen Bären für "Undine".

© Michael Kappeler/dpa

Bleibt die Frage, ob man im Corona-Jahr überhaupt einen Europäischen Filmpreis gebraucht hätte. Oder vielleicht: gerade jetzt!? Das europäische Kino hat wieder eine überzeugende Bandbreite aufgezeigt, von den beiden deutschen Beiträgen über Pietro Marcellos bravouröse Jack-London-Adaption “Martin Eden” mit einem umwerfenden Luca Marinelli, Jan Komasas Priester-Tragikomödie ”Corpus Christi”, Maria Sødahls Drama “Hoffnung” und François Ozons Coming-of-Age-Film “Sommer 85”.

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Am Ende stehen dann aber doch vier Hauptpreise (Film, Regie, Darsteller, Drehbuch) für Vinterbergs bittersüße Säufertragikomödie “Der Rausch” zu Buche, die, wäre es nicht so ein Männerfilm, wahrscheinlich noch in der Kategorie der besten Hauptdarstellerin gewonnen hätte.

Der europäische Film hat die Kinos 2020 unterstützt

Der Konsens ist eine demokratische Errungenschaft; und die Europäische Filmakademie hatte zuletzt wahrlich genug Gründe, die Demokratie immer wieder vehement zu verteidigen. Aber in der Kunst fungiert der Konsens oft als unschöner Gleichmacher, er nivelliert den Nuancenreichtum des Kinos. Wer hat schon Lust auf Konsenskino?

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Diesen Reichtum hätte man gerade in diesem Jahr ja mal feiern können, in dem der europäische Film tapfer die Kinos unterstützte, nachdem die Hollywood-Studios diese weitgehend im Regen stehen gelassen haben. Und solange sich das europäische Kino – um mal zur Oscar-Verleihung 2021 vorauszuschauen, wo Netflix einen Preisregen erwarten dürfte – noch nicht gegen die Streamingindustrie behaupten muss.

Die Filmakademie setzt hingegen ihre jüngste Tradition fort, das Blickfeld auf den einen, alles überragenden Film zu verengen: Im vergangenen Jahr war es “The Favourite”, davor “Cold War” und “The Square”, nun “Der Rausch”. Wieder eine vertane Chance.

Tradition schlägt Virus

Dass der Europäische Filmpreis tatsächlich ein Politikum ist, zeigte sich dann fast am Ende der Verleihung, als ein unerwarteter Gast dazugeschaltet wird. Angela Merkel dankt den scheidenden Wim Wenders, langjähriger Akademie-Präsident, und Marion Döhring, als Geschäftsführerin, für ihre Verdienste für das europäische Kino.

Beide sind der Europäischen Filmakademie seit ihrer Gründung 1988 eng verbunden, woran auch der ungarische Regisseur István Szabó, wie Wenders ein Gründungsmitglied, in seiner bewegenden Dankesrede erinnert. Ein eingeblendetes Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Granden des europäischen Kinos bei ihrer Gründungssitzung im Hotel Kempinski: Ingmar Bergman, Richard Attenborough, Bernardo Bertulocci, Eric Rohmer, Andrzej Wajda. Kinogeschichte. Sie alle haben in ihren Filmen überlebt. Unsere Prognose für 2021: Diese Kinotradition wird auch Corona schadlos überstehen.

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