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Dionysische Rituale. Ausschnitt aus einem Fresko der Villa dei Misteri im italienischen Pompeji. Abgebildet in einem 1940 im Berliner Verlag Günther & Co. erschienenen Band des Archäologen Pirro Marconi über große Zyklen der Malerei.

© Hatje Cant/DNB

Europa, eine Bildergeschichte: Geheimfrequenz mit Störgeräuschen

Die Deutsche Nationalbibliothek versammelt zum Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ihre Schätze in einem Buch.

Von Gregor Dotzauer

Was für ein Bildergewitter, erst recht, wenn man es als Daumenkino an sich vorbeiziehen lässt. Rund 400 Jahre europäischer Geschichte in Landkarten, Gemälden, Stichen, Zeichnungen, Mosaiken, Fotos und Grafiken, die wenigsten davon wegen des stark vergrößerten Ausschnitts als Teil der Bücher zu erkennen, denen sie zumeist entstammen.

Ein unkommentiertes, Zeiten und Räume Seite um Seite aufs Neue durcheinanderwirbelnder Strom der Kontraste, dem nur hin und wieder Texttafeln Einhalt gebieten. „Vier Fünftel unserer inneren Habe sind europäisches Gemeingut“, sagt da der spanische Philosoph José Ortega y Gasset. Oder der kroatische Schriftsteller Slobodan Novak: „Europa hat keine Ränder, es ist überall Mittelpunkt.“

Man muss schon bis ganz zum Ende dieses szenischen Tohuwabohus blättern, um sich die Herkunft der einzelnen Fundstücke in einer illustrierten Legende aufschlüsseln zu lassen. Die steinernen Schädel von Goethe und Gutenberg sind da nah am struppigen Gesicht des Riesengebirgsriesen Rübezahl.

Auswahl aus 40 Millionen Medien

Die Gewänder finnischer Bauern aus einer „Vollständigen Völker-Gallerie“, 1843 im sächsischen Meißen erschienen, treten neben das Faksimile eines Frankfurter Buchs aus dem Jahr 1585, das „von allerley schönen Kleidungen und Trachten der Weiber“ berichtet. Und eine Bilderbogenprobe, die von der imperialistischen Sicht auf den Pekinger Boxeraufstand 1900 zeugt, wird über 100 Seiten später von einer Ansicht der potemkinschen „German Town“ in der chinesischen Stadt Anting ergänzt.

Zum Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat die Deutsche Nationalbibliothek mit ihren beiden Dependancen in Frankfurt am Main und Leipzig aus ihren 40 Millionen Medien eine Auswahl getroffen, die einen Blick in den multikulturellen Ideenraum Europa und darüber hinaus öffnet.

„Nichts, was wir sind, denken und träumen, gehört uns allein“, schreibt Simon Strauß in einem der begleitenden Essays. „Alles ist Erbe. Alles ist Übertragung. Europa ist eine einzige große Sendeanstalt. Es gibt so viele geheime Frequenzen, so viele Stimmen und Stimmungen. Wir müssen nur auf Empfang schalten. Dann sind wir gerettet.“ Ob dies als Rezept für den künftigen Zusammenhalt schon ausreicht, kann man angesichts der politischen Spannungen, die in den Dokumenten aufscheinen, bezweifeln. Ohne kulturelles Miteinander braucht man ihn aber auch gar nicht erst anzuvisieren.

Stephanie Jacobs (Hrsg.): House of Europe. Europäische Zeugnisse in der Deutschen Nationalbibliothek. Hatje Cantz, Berlin 2020. 320 Seiten, 22 €

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