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Christopher Plummer als Zev und Bruno Ganz (links) in einer Szene des Films "Remember" von Atom Egoyan, vorgestellt beim Filmfestival Venedig.

© Labiennale.org/dpa

Lido-Lichtspiele (8): "Remember" und "Heart of Dog": Es war einmal

Bericht aus Venedig: Christiane Peitz über die Kunst der Erinnerung bei den 72. Filmfestspielen. Mit dabei: Filme von Atom Egoyan und Laurie Anderson.

Erinnerung ist bekanntlich trügerisch. Wenn das Kino mit seinen flüchtigen Bildern zurückblickt, tut es gut daran, sich selber mit Argwohn zu begegnen. Wenn Atom Egoyan in „Remember“, einem der letzten Wettbewerbsbeiträge des am Samstag zu Ende gehenden Festivals von Venedig, Christopher Plummer als Auschwitz-Überlebenden auf Rachefeldzug durch die USA schickt, baut er diesen Argwohn zunächst ein: Zev leidet an Demenz. Dennoch will er im Auftrag seines an den Rollstuhl gefesselten Altersheim-Nachbarn Max jenen KZ-Aufseher aufspüren, der beider Familien ermordet hat. Keine leichte Mission für einen 90-Jährigen, der nach dem Aufwachen nicht einmal mehr weiß, dass seine Frau gerade gestorben ist.

„Remember“ traut seinen Bildern dann aber zu sehr, versammelt uneindeutige Figuren in einer flachen Narration, die nicht passen will zum Twist im finalen Shootdown, der die Opfer zu Tätern erklärt und dem Publikum bedeutet: Ätsch, ihr wurdet an der Nase herumgeführt. Mit dem kanadisch-armenischen Regisseur Egoyan ist es wie mit einer alten Jugendliebe. Egoyan war einmal ein Meister der Täuschung. Dass der Schöpfer so subtiler Verwirrspiele wie „Exotica“ oder „Das süße Jenseits“ seit seinem Armenien-Völkermord-Epos „Ararat“ integre, aber erschreckend plumpe Filme dreht, nimmt man schmerzlich zur Kenntnis.

Auch Laurie Anderson ist so eine alte Jugendliebe. Auch da wird einem bang, wenn die 68-jährige Multimedia-Performerin ihr Spielfilmdebüt auf der 72. Mostra zeigt. „Heart of a Dog“ entpuppt sich jedoch als bewegendes Poem über das Verschwinden geliebter Gefährten. Anderson trauert über den Tod ihres geliebten Hundes Lolabelle, den sie oft gefilmt hat. Eine Verschiebung: Der blinde, umsorgte alte Terrier, das sind zugleich jene Menschen, die die Künstlerin verloren hat, ihre Mutter und vor allem Lou Reed, die Liebe ihres Lebens. Andersons suggestive Stimme ist omnipräsent, sie imaginiert, assoziiert, erinnert sich an die weiße Asche auf New Yorks Straßen nach 9/11, an die Denunziations-Aufforderung „If you see something, say something“, an Kierkegaards Satz, dass das Leben nur rückwärts verstanden und nur vorwärts gelebt werden kann. Und an den von David Foster Wallace, dass jede Liebesgeschichte eine Geistergeschichte sei.

„Heart of a Dog“ ist ein flackerndes, mit Wirklichkeitspartikeln, Super-8-Familienfilmen und Smartphone-Videos durchsetztes Traumgebilde, ein meditativer Bewusstseinsstrom. Anderson verrät, wie sie als eines von acht Kindern ständig um Aufmerksamkeit buhlte, ihren im Eis eingebrochenen Zwillingsbruder rettete und beinahe selber ums Leben kam, als sie beim Salto vom Sprungbrett auf dem Beckenrand aufschlug. Mitten im Leben ist sie vom Tod umfangen, aber sie lässt sich das Staunen nicht nehmen und protestiert bei der Pressekonferenz gegen die Verdrängung des Sterbens in der westlichen Welt. Die Prise fernöstlicher Esoterik verzeiht man ihr gerne. Dieser Jugendliebe bleiben wir treu.

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