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Kultur: Erst in die Hölle, dann zu Ikea

Von Spatzen und Tauben: Die Rockband Kettcar steht mit ihrem neuen Album vor dem Durchbruch

Ist das Arroganz? Selbstvertrauen? Marcus Wiebusch hält seine Gitarre fest in der Hand und kläfft eine Mahnung ins Publikum: „Singt nicht immer mit wie die Geistesgestörten. Das hat mein Song nicht verdient.“ Dann dreht er sich weg, schließt die Augen und singt. Allein.

Marcus Wiebusch ist zwei Meter groß, das Haar kurz und schwarz. Die Gitarre in seiner Hand hat an jenem Abend in Potsdam vor zwei Wochen genauso kümmerlich ausgesehen wie der Plastikbecher Kaffee, an dem er kurz vor Konzertbeginn noch nippte. „Wir taugen nicht zu Helden“, hat der Sänger der Popband Kettcar gesagt. „Wir sind angetreten, um intelligente deutsche Musik zu machen.“ Was er meint: Wir passen nicht ins Schema.

Das, was unter dem Etikett einer deutschen Popmusik in diesen Monaten Verbreitung findet, ist einfach und wohl deshalb so erfolgreich. Deutsche Musik kommt verdammt gut an, hat der „Spiegel“ jetzt in einer Umfrage bei den Plattenlabels erfahren können. In den Charts stehen junge Bands wie Silbermond mit mehr als 500000 verkauften Platten, dort stehen Juli oder Mia, auch Annett Louisan. Die Musikbranche bringt Monat für Monat heimische Bands hervor, die einander ziemlich ähnlich sehen. Die nächste dürfte Wunder heißen, die gerade in Berlin als Vorgruppe von Juli auftraten. Eine junge Frauenstimme, Liebeslieder, Teeniepop. Wie mit Schablone produziert.

Und dann steht plötzlich Kettcar auf der Bühne, ein Quintett aus Hamburg. Zu alt, um als Idole durchzugehen; zu erfahren, um nur talentiert zu sein. Marcus Wiebusch ist 36 Jahre alt, Chef der Band, Sänger und Gitarrist. Kettcar, dem Namen nach dem Lieblingsgefährt der Generation Pedalen-Antrieb verpflichtet, singen auch über nichts anderes als Liebe, Trauer und Alltag. Den Unterschied machen eben jene zehn, 15 Jahre, in denen die einen den echten Punk und die Neue Deutsche Welle erlebten und die anderen nur die späteren Retro-Shows. Kettcar spielen ohne Show. Vielleicht darf man sagen: wie Erwachsene.

Am Montag kommt ihr zweites Album auf den Markt. Es trägt den Titel „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“. Und wenn man so glaubt, was man liest und ahnt und fühlt, dann wird sich Kettcar in diesem Jahr durchsetzen. „Wir merken jeden Tag, dass wir den Platz in der Geheimliga verlassen haben“, sagt Wiebusch. Wenn „Amica“ anfragt oder die Sarah-Kuttner-Show, dann steht das zu befürchten.

Die Ahnung war schon einmal da, vor drei Jahren. „Kettcar machen da weiter, wo Tocotronic (resigniert?) aufgehört haben“, lobte die FAZ und erkor die Hamburger zur besten Band des Jahres aus. 30000 Platten haben Kettcar verkauft, für ein Indie-Label eine beachtliche Zahl. Es ist nämlich so: Vor vier Jahren verhandelten Kettcar mit dem englischen Label Zomba, das später von BMG aufgekauft wurde, über einen Plattenvertrag. Die Gespräche zogen sich quälend lange hin, über Wochen. Irgendwann ist die Band aufgestanden, gegangen und nicht wieder gekommen.

Seitdem gibt es das Label Grand Hotel van Cleef, das von Wiebusch und dem Bassisten Reimer Bustorff geleitet wird. Auch er ist erfahren, stand früher in der Ska-Band „Rantanplan“, Wiebusch hat bei „ ... but Alive“ gespielt, eine Größe in der Punkszene. Auf der Bühne spielen sie heute schnellen, treibenden Gitarrenpop mit trotzigen, aber ruhigen Alltags-Texten. „Gang Fünf und gleich 180/ schließe die Augen/ zähle bis Zehn/ und dann wieder auf/ hey, noch am Leben“, singt Wiebusch in „Ausfahrt zum Haus deiner Eltern“. „Erst war es Nacht, und dann kam das Meer/ erst in die Hölle und dann zu Ikea“.

Dritter beim Label Grand Hotel van Cleef ist Thees Uhlmann, Sänger und Songschreiber der Band Tomte. Mit ihm hat Wiebusch zuletzt in dem Kinofilm „Keine Lieder über Liebe“ neben Heike Makatsch und Jürgen Vogel mitgewirkt. Der Berlinale-Film handelt von einer Musikgruppe, in deren Umfeld Liebe und Misstrauen grassieren. Jürgen Vogel, der mit der Band auf Tour gegangen ist, hat sich deutsche Bands angehört und sich entschieden, so zu klingen wie Kettcar und Tomte. Wie der Alltag.

Das neue Kettcar-Album klingt ruhiger als das alte, aber nicht kraftloser. In „48 Stunden“, der ersten Single, singt Wiebusch gewohnt, ja fast schon monoton, bis es plötzlich aus ihm herausbricht: „Mach immer, was dein Herz dir sagt und begrab es an der Biegung des Flusses.“ Wenn eine Popband wie Virginia Jetzt! über den Alltag singt, klingt das ein wenig nach Pfadfinder-Lyrik, nach allzu ungetrübter Fröhlichkeit. Kettcar sind ein musikalisches Pendant zur Generation Golf, obwohl auch sie sich nach einem Statussymbol der Achtzigerjahre benannt haben. Sie wirken relaxter nach dem Hype der ersten Berufsjahre, und sie haben die Gewissheit, dass es ein Leben auch nach dem 30. Geburtstag gibt. In „Tränengas im High-Endleben“ heißt es: „Ein bisschen bitter oder wirklich schwer?/ Das Glas halbvoll oder doch halbleer?/ Und wen interessiert das bitte sehr?“

Die „taz“ hat geschrieben, dass die Welt vielleicht doch nicht so schlecht sei, wenn es Bands gebe wie Kettcar. „Wer soll uns noch was erzählen?“, sagt Wiebusch. „Wir haben so viel erlebt mit den alten Menschen in den Plattenlabels, wir wollen deren Regeln nicht, wir sind alt genug.“ Deshalb habe man sich entschieden, jüngst einen Auftritt bei Top of the Pops abzulehnen. Und dennoch gibt es diese Regeln. Das Video zu „48 Stunden“ hat Wiebusch an MTV geschickt, doch die wollten es nicht ausstrahlen. „Unsere Lieder taugen nicht für Klingeltöne zum Herunterladen“, sagt Wiebusch. Er weiß: Geld wäre leichter zu verdienen. Und dennoch singen alle mit. Wenn sie dürfen.

André Görke

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