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Insekten und Insignien. Ernst Jüngers Zikadensammlung, sein Stahlhelm aus dem Ersten Weltkrieg und eines seiner Notizbücher in der Marbacher Ausstellung. Fotos: Chris Korner/DLA

© DLA-Marbach, www.dla-marbach.de

Blut, Schweiß und Käfer: Ernst-Jünger-Ausstellung startet in Marbach

Die Ausstellung "Ernst Jünger. Arbeiter am Abgrund" im Literaturmuseum der Moderne in Marbach gibt von Sonntag an Einblick in das Leben des Autors.

Zuerst ist da der bunte Sonnenschirm, mit dem Ernst Jünger einst auf Käferjagd ging. Und der von einem Einschuss durchlöcherte Stahlhelm, den er als Leutnant im Ersten Weltkrieg trug. Beide Objekte finden sich gleich zu Beginn der Ernst-Jünger-Ausstellung im Marbacher Literaturarchiv. Als Schutzvorrichtungen und Abwehr-Utensil vor den Gefahren der Welt versinnbildlichen sie die Ambivalenzen von Jüngers Werk.

Was dann in drei großen Räumen folgt, löst die Ouvertüre von „Ernst Jünger. Arbeiter am Abgrund“ jedoch eher nicht ein: Den Besucher erwarten Papiere, Papiere, Papiere. „Ich bin kein Mann der Feder“, schreibt Jünger in seinem Kriegstagebuch im September 1918, das von Klett-Cotta nun erstmals publiziert wurde. Als Freiwilliger war er aus Abenteuerlust in den Krieg gezogen, weil er wie einst Schillers „Räuber“ das tintenklecksende Säkulum und die bürgerliche Sekurität des Friedenszeitalters verachtete. Die Ausstellung zeigt bis zur Ermüdung, dass das Gegenteil aus ihm wurde: ein Papiertiger.

Man könnte diesen Widerspruch als Jüngers wahre Größe auslegen, und die von Heike Gfrereis, Ellen Strittmatter und Stephan Schlak gestaltete Schau verfolgt genau diese Absicht. Das Gespräch über Jünger habe sich entspannt, konstatiert der Historiker Schlak; das festgefrorene Jünger-Bild sei aufgetaut. Dennoch setzt er auch kritische Akzente: Für Jünger sei der Krieg 1918 nicht zu Ende gewesen; er habe ihn fortgesetzt im „Schlachtfeld der Manuskripte“. Am Nullpunkt stehe die Urerfahrung des Krieges.

„Die Geburt des Schriftstellers aus den Aufzeichnungen im Graben“: Da Jüngers „Kriegstagebuch 1914–1918“ nun erschienen ist, lässt sich die These im Detail überprüfen. Ist damit doch die Keimzelle seiner Literatur zugänglich, vor allem seines Hauptwerks „In Stahlgewittern“. Bekanntlich hatte sich der 19-jährige Oberprimaner im August 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet und damit elegant seine Schulprobleme gelöst. Mit dem „Kriegsabitur“ in der Tasche, stürzte er sich nach der militärischen Grundausbildung in Nordfrankreich ins Kampfgetümmel. Bereits im November 1915 war er zum Leutnant avanciert und wurde in Flandern und Frankreich sieben Mal verwundet.

Während seines Einsatzes hatte sich Jünger in 15 brusttaschengroßen Notizheften Aufzeichnungen gemacht. Aus den Notizen entstand „In Stahlgewittern“, im Laufe seines langen Lebens hat Jünger das Buch immer wieder umgearbeitet. 1920 trug es den Untertitel: „Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“, in der siebten und letzten Fassung kam es 1978 heraus. Die ersten Sätze lauteten nun: „Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren … zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen. Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg musste es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche.“

Wer nun die frühen Eintragungen liest, stellt schnell fest, dass Jünger nicht als Schriftsteller geboren ist. In den Tagebüchern wimmelt es von Rechtschreib- und Grammatikfehlern, der Satzbau ist simpel, das Vokabular entstammt dem Pennälerjargon: pennen, ballern, Scheißfraß, Sauferei … Auch das wiederkehrende Allerweltswort „interessant“ verrät nicht gerade Stilwillen. Der große Stilist und Ästhet ist hier noch nirgends zu erkennen – was dem Leser allerdings die späteren metaphorischen Überhöhungen erspart.

„Ich … registrierte diese Vorgänge mit Sachlichkeit“, heißt es einmal, als Jünger das Verröcheln eines erschossenen Kameraden beschreibt. Ungeschminkt ist nicht nur von den Gräueln des Krieges die Rede, sondern auch von den „kolossalen Saufereien“, den Orgien in den Bordellen und den Geschlechtskrankheiten, die sich die Krieger einfangen, wenn sie mal nicht auf „Tommys“ und „Franzmänner“ schießen.

In der Marbacher Ausstellung, die am heutigen Sonntag von Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Martin Walser eröffnet wird, finden sich Fotos aus dem Krieg. Sie bestätigen, was man seit Klaus Theweleits Studie „Männerfantasien“ über den „soldatischen Mann“ und seine latente Homosexualität weiß. Eines zeigt eine fröhlich zechende Männerrunde, ein anderes einen Ernst Jünger, der nur mit Leutnantsmütze und einem um die Lenden geschlungenen Handtuch bekleidet ist. Kein Zufall, dass Jünger unter schwulen Schriftstellern beliebt war, wie die ebenfalls präsentierten Briefe an den Autor zeigen: Hubert Fichte, Golo Mann und Julien Green outen sich als Jünger-Verehrer; aber auch Fanpost von Hitlers Privatsekretär Rudolf Heß, Max Bense, René Magritte, Heiner Müller ( „Ihre Arbeiten gehören für mich zu den Wegmarken des Jahrhunderts.“ ) und sogar von Paul Celan erreicht ihn.

Wollte man allein von den frühen Tagebüchern her eine Prognose für die literarische Entwicklung des Autors wagen, so ginge sie jedoch eher in Richtung der „Neuen Sachlichkeit“ der zwanziger Jahre als in eine aus schwarzer Romantik, Fin-de-Siècle-Ästhetizismus und Surrealismus destillierte „Ästhetik des Schreckens“ (Karl Heinz Bohrer). Tatsächlich hat Jünger aber den Weg eben dieser Ästhetisierung eingeschlagen, mit Werken wie „Der Kampf als inneres Erlebnis“ (1922), „Sturm“ (1923), „Feuer und Blut“, „Das Wäldchen 125“ ( beide 1925) oder „Das abenteuerliche Herz“ (1929). Wobei die Ästhetisierung womöglich schon im Postulat der Sachlichkeit angelegt ist. Die Flaubert’sche „impassibilité“, die Jünger sich zu Eigen macht, die kaltblütige Darstellung, „wie es war“ (so der Tagebuchschreiber 1918), ist zweideutig, schwingt darin doch die Selbststilisierung, der heroische Nihilismus mit. Sicher: Eine religiöse oder nationalistische Sinngebung des Krieges, wie sie Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ versucht hat, wird man vergebens suchen. Als passionierter Karl-May- Leser begreift Jünger den Krieg vor allem als Abenteuerurlaub und Nervenkitzel, als aufregendes Spiel unter Männern, das „richtigen Spaß“ macht.

Foto: dpa

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Warum soll sich der heutige Leser, warum sollen sich Schulklassen, die das Stammpublikum in Marbach bilden, für sein Werk interessieren? Möglicherweise gefällt es den Kids ja, dass ein Schulversager wie Jünger Karriere gemacht hat. Oder sie werden neidisch registrieren, dass das Landgericht Ravensburg 1971 ein Verfahren gegen den Autor wegen „Vergehen gegen das Opiumgesetz“ eingestellt hat – prominent muss man eben sein.

Aber sie werden auch erkennen, dass dieser Krieger und Insektenjäger nie wirklich erwachsen geworden ist. Wie ein Zwölfjähriger klebt er getrocknete Blüten in die Tagebücher, wie ein Pennäler benutzt er noch als reifer Mann Schulhefte für seine Notizen, wie ein Junge sammelt er Käfer und Muscheln, Sanduhren und „letzte Worte“. Der Krieger, der die Bürger verachtet und mit Drogen experimentiert, ist zugleich ein Pedant, der manisch Papier um Papier beschreibt, über 250 Tagebücher hinterlassen hat und konsequenterweise in zweiter Ehe eine ehemalige Marbacher Archivarin geheiratet hat.

Die Ausstellungskuratorinnen Gfrereis und Strittmatter haben sich von dieser Materialfülle verführen lassen. Jüngers Hinterlassenschaft war, einschließlich der Kriegstagebücher, noch zu seinen Lebzeiten 1994/95 nach Marbach gekommen, als einer der umfangreichsten der dort gehorteten Nachlässe. Weil außerdem Jüngers Wohnhaus in Wilflingen renoviert wird, befindet sich derzeit auch noch ein Großteil seiner Bibliothek und seiner Sammlungen zur Zwischenlagerung in Marbach.

Woher kommt das, was Literaturwissenschaftler Helmut Lethen „Verhaltenslehre der Kälte“ nennt? Dem Jünger’schen Blick zeigt sich Leben immer schon als totes, als im Kampf, in der Jagd oder im Schreibakt zu erledigende Aufgabe, als „nature morte“. Das gilt für seine kühle Beobachtung der verwesenden Leichen im Krieg genauso wie für seine präparierten Käfer, die auf den unbefangenen Beobachter wie seltsam perverse Lustobjekte wirken.

Deutsches Literaturarchiv Marbach, bis 27.3., Katalog (284 Seiten, 26 €). – Ernst Jünger: Kriegstagebuch 1914 -1918. Helmuth Kiesel (Hg.). Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2010. 656 Seiten, 32,95 €.

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