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Sexuelle Befreiung. Béjarts „Sacre du Printemps“.

© Bejart Ballet Lausanne / Valerie Lacaze

Béjart Ballet: Erinnerungen an die Zeit der Ekstase

Das Béjart Ballet Lausanne astiert im Tempodrom - erstmals nach zehn Jahren in Berlin. Mit Choreografien zu Mahler und Strawinsky feiert die Compagnie Triumphe.

Von Sandra Luzina

Mehr als zehn Jahre mussten die Berliner auf ein Gastspiel des Béjart Ballet Lausanne warten. Nun strömen sie in Scharen ins Tempodrom, um ein Hochamt zu erleben. Wegen der Bauarbeiten in der Deutschen Oper ist die weltberühmte Compagnie, die sich in bestechender Form präsentiert, an den Anhalter Bahnhof ausgewichen. Die Aufführungen sind ein schweizerisch-deutsches Joint-Venture, die Lausanner Tänzer werden von Orchester und Chor der Deutschen Oper begleitet. GMD Donald Runnicles steht an den ersten beiden Abenden selbst am Pult, allerdings dirigiert er nur in der ersten Hälfte der Vorstellung.

In der Konzerthalle mit ihren Bratwurstbuden und Bierständen erklingen nun mahnend die Nietzsche-Zeilen „O Mensch! Gib acht!“ aus „Also sprach Zarathustra“, die in Mahlers dritte Sinfonie eingeflossen sind. In dem sinfonischen Ballett „Ce que l’amour me dit“ aus dem Jahr 1974 gibt Béjart eine choreografische Interpretation der Musik Gustav Mahlers in ihrer Beziehung zur Philosophie Nietzsches – der für seine eigene intellektuelle Entwicklung stets eine Schlüsselfigur war. Béjart war ein Künstler, dem es um die Vereinigung von Körper und Geist ging. „Ce que l’amour me dit“ ist vertanzte Philosophie und zeigt ihn auf der Höhe seines Schaffens. Er entwirft ein Bild vom Menschen, das von Sinnsuche und Selbststeigerung erzählt und bietet ein Pathos auf, das manchmal nicht weit vom Schwulst entfernt ist.

Nach der Pause folgt die Entfesselung der Energien, in "Sacre du Printemps"

Berückend der Anfang: Zu den geheimnisvollen Klängen des vierten Satzes und dem betörenden Gesang von Ronnita Miller hockt Julien Favreau vorn an der Rampe im Schneidersitz, während die aparte Elisabet Ros hinter ihm ihre Arme ausbreitet wie eine Hohepriesterin. Der sehnsuchtsvolle Pas de deux ist eine tastende Annäherung. Wenn sich die Hände der beiden erstmals berühren , denkt man an Michelangelos Gemälde von der Erschaffung Adams.

„Doch alle Lust will Ewigkeit“. Diese Nietzsche-Zeile scheint Béjart besonders inspiriert zu haben. Er zeigt die verschiedenen Spielarten des Eros, nicht nur das Verschmelzen von Mann und Frau in raffinierten Posen, sondern auch überaus sinnliche Duette und Körperverkettungen von Männern. Und er feiert den Elan der Jugend. Am Ende tritt ein Knabe hinzu, und das hohe Paar verwandelt sich in ein zärtlich liebendes Trio.

Nach der Pause folgt die Entfesselung der Energien in „Sacre du Printemps“. Béjarts Choreografie von 1959 ist kein düsterer Opern-Ritus, sondern ein wildes Fruchtbarkeitsritual. Fast ein Jahrzehnt vor der 68er-Revolte nahm Béjart die sexuelle Befreiung vorweg. Er trennt zunächst die Geschlechter. Die Männer bewegen sich betont animalisch. Drollig mutet es an, wenn sie wie Erdmännchen oder Kängurus über die Bühne hüpfen. Oder wie brünstige Hirsche aufeinander losgehen. Die Mädchen liegen mit gespreizten Beinen auf dem Boden und heben ihr Becken. Wenn die Männer auf die Bühne stürmen, durchläuft sie ein Schauer.

Der Fokus liegt auch hier auf dem auserwählten Paar. Kathleen Thielheim und Oscar Chacon vereinigen sich am Ende in einem stilisierten Geschlechtsakt, was in einen kollektiven Taumel mündet. Das ist ganz große Show, wie Béjart hier die Leiber von 46 Tänzern arrangiert. Zugleich wird deutlich, was für ein Ekstatiker er war.

Fast wehmütig denkt man an die großen Zeiten, als Maurice Béjart dem Tanz eine neue Bedeutung verliehen hat. Sieben Jahre nach seinem Tod ist er aber noch in bester Erinnerung. Zu verdanken ist dies der von Gil Roman geleiteten Compagnie, die das choreografische Erbe lebendig hält.

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