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Venus, Domina, Superheldin. Kylie Minogue wechselt blitzschnell ihre Outfits und Rollen.

© Britta Pedersen, dpa

Spektakel: Engel mit Bodenhaftung

Wirbelnde Leiber, jaulende Gitarren: Kylie Minogue in der Berliner O2 World.

Von Jörg Wunder

Das Fegefeuer der Eitelkeiten, das Konzerte der in scharfer Konkurrenz zueinander stehenden weiblichen Pop-Superstars fast zwangsläufig entfachen, lodert auf Kylie Minogues aktueller „Aphrodite – Les Folies“-Tour heller als anderswo. Die 42-jährige Australierin entführt die knapp 10 000 Zuschauer in der Berliner O2 World in eine fantastische Revuewelt der audiovisuellen Reizüberflutung. Vor einer konkaven Tempelfront mit Brunnenbecken und geschwungenen Freitreppen, die als Kulisse für einen in spätrömischer Dekadenz angesiedelten Sandalenfilm dienen könnte, entfaltet sich ein kinetisches Spektakel, bei dem die Musik nicht unbedingt die Hauptrolle spielt. Das ist auch gut so, denn die Songs sind es eher nicht, die aus dem zweistündigen Auftritt ein Erlebnis machen.

Anders als Madonna mit ihren zwei Dutzend Welthits gelangen Minogue im Verlauf ihrer Karriere im Grunde nur zwei ins kollektive Popbewusstsein eingesickerte Evergreens. Von denen spielt sie die Jugendsünde „I Should Be So Lucky“ gar nicht. Verständlich, denn den Status einer Marionette des britischen Produzententeams Stock-Aitken-Waterman streifte sie spätestens in den frühen Neunzigern ab. Den anderen, den eigentlich unkaputtbaren Disco-Superhit „Can’t Get You Out Of My Head“ aus dem Jahr 2001, gibt sie zum Abschuss frei und lässt ihn von ihrer vierköpfigen Band mit scheußlichem Gitarrengejaule und Schlagzeuggeholze füsilieren. Und sonst? An niederste Tanzinstinkte appellierende Großraumdisco-Beats, wenig einprägsame Melodien, dazu eine Stimme, die trotz Unterstützung durch zwei Backgroundsängerinnen kaum Volumen entwickelt. Müsste man sich das Ganze nur anhören, wäre es zum Davonlaufen.

Doch schon beim ersten Stück „Fever“ ist man einfach geplättet, wenn Minogue in einer vergoldeten Jakobsmuschel auf die Bühne gehoben und von muskulösen Tänzern und verschleierten Vestalinnen umgarnt wird. Mit majestätischer Würde schreitet sie, trotz 20 Zentimeter hoher Absätze kleiner als alle anderen, singend durch die wirbelnden Leiber. Und so geht es munter weiter: Man sieht an übergroße Harfen gebundene Jungfrauen, man delektiert sich an Minogue als Domina auf einem Ben-Hur-Streitwagen, der von vier Sklaven in Ledergeschirren gezogen wird. Bei „Illusion“ thront sie auf einem goldenen Pegasus, zu „Everything Is Beautiful“, nach zwei von sechs Kostümwechseln, kauert sie vor einer riesigen Kylie-Büste, während acht Models in bizarren, mit Pompons, Puscheln und Quasten aufgemotzten Fantasiekleidern über den Catwalk stolzieren.

Die Laufstege gehören zu der gewaltigen Bühnenarchitektur, die einen Löwenanteil von den gut 20 Millionen Euro Produktionskosten der Tour verschlungen haben dürfte. Allerdings offenbart sie einen logistischen Fehler: Die beiden Catwalks bilden mit einer vorgelagerten Bühne ein Dreieck, in dessen Inneren sich die sogenannte „Splash Zone“ befindet. Zu der hat indes nur Zutritt, wer sich eins der 250 Euro teuren Deluxe-Tickets gegönnt hat. So bleibt der fast hautnahe Kontakt mit dem Star im größten Teil der Show einem kleinen, ekstatisch feiernden Kreis vorbehalten, während die Masse auf erhebliche Distanz gehalten wird. Das ist schade, denn wie viel enthusiastischer die bisweilen etwas verhaltene Publikumsresonanz hätte sein können, wird klar, wenn sich der Aktionsschwerpunkt tatsächlich mal direkt vor die Fans verlagert: Etwa, als Kylie zu „Closer“ von einem dunkelhäutigen Engel mit weißen Flügeln durch die Lüfte getragen wird und auf der Minibühne landet, wo sie eine stürmisch bejubelte Coverversion des Eurythmics-Hits „There Must Be An Angel“ vorträgt.

Zum Schluss wird noch mal die Überwältigungmaschinerie angeworfen: Wasserfontänen schießen fast bis zur Hallendecke empor, vier Tänzerpaare rotieren an Seiltrapezen über den Köpfen der anderen Ensemblemitglieder, die am Boden wie eine riesige Blüte um Kylie herumwogen. Die steht im Zentrum dieses wirbelsturmartigen Wunderwerks präzisester Choreografie, aufwendigster Bühnentechnik, am Kulminationspunkt monatelanger Vorbereitungen – und schafft es doch, das Ganze wie einen großen, kindlichen Spaß aussehen zu lassen.

Denn das ist ja gerade das Tolle: Kylie Minogue ist kein dressiertes Zirkuspferdchen wie Britney Spears und auch keine besessene Show-Perfektionistin wie Madonna. Eher legt sie eine sympathische Mischung aus aristokratischer Gelassenheit und aufrichtiger Begeisterung an den Tag, die sich wohltuend von der kalten Professionalität ihrer Kolleginnen abhebt. Wenn ihr bei der Pianoballade „If You Don’t Love Me“ verzückte „We love you“-Schreie entgegengeschleudert werden, glaubt man glatt ein feuchtes Schimmern in ihren Augen zu erkennen.

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