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Lieblingsmotiv. Georgia O’Keeffes „Orientalische Mohnblumen“ aus dem Jahr 1927.

© Georgia O’Keeffe Museum

Retrospektive der Malerin Georgia O’Keeffe in Wien: „Endlich eine Frau auf Papier!“

Tier und Tür: Wien zeigt eine Retrospektive der Grand Dame der amerikanischen Kunst – und beleuchtet ihre enge Beziehung zum Galeristen Alfred Stieglitz.

Ihre Blumenbilder sind bis zum Gehtnichtmehr auf Poster und Postkarten gedruckt worden, sie selbst ist eine Ikone des Feminismus. Merkwürdigerweise hat es bislang keine Ausstellung zum Werk von Georgia O’Keeffe nach Berlin geschafft. Im deutschsprachigen Raum wurde allein der Süden beglückt; 2004 Zürich, 2012 München und nun Wien. Dem Bank Austria Kunstforum ist es gelungen, die im Sommer in der Londoner Tate Modern gezeigte Retrospektive in die österreichische Hauptstadt zu lotsen, in verkleinerter Fassung, doch mit den wichtigsten Leihgaben, unter denen sich Überraschungen verbergen.

Für Überraschungen war bislang noch jede größere O’Keeffe-Ausstellung gut, zum einen, weil sich ein Gutteil des Gesamtwerks im Nachlass der Künstlerin befand und später in die nach ihr benannte Stiftung samt Museum Eingang fand, zum anderen, weil wichtige Arbeiten in privaten Sammlungen verborgen waren. Wie sehr ihre Werke mittlerweile Objekte von Spekulation sind, machte der Auktionsrekord deutlich, den vor zwei Jahren das Gemälde „Stechapfel / Weiße Blüte Nr. 1“ von 1932 in New York erzielte: Erst bei 44,4 Millionen Dollar wurde das Bild zugeschlagen. Nun aber hängt die Stechapfel-Blüte in kühlem Weiß-Grün-Blau-Akkord in Wien, links davon das Duo der „Orientalischen Mohnblumen“ in flammenden Rottönen um schwarze Zentren herum aus dem Jahr 1927. Es waren die Jahre, da O’Keeffe ihre neusachliche Phase hatte und wahlweise Blumen in Nahsicht malte oder Ansichten von New Yorker Gebäuden.

Stieglitz führt sie ins Zentrum der Avantgarde

Eine O’Keeffe-Retrospektive muss chronologisch aufgebaut sein, denn drei Werkgruppen lassen sich zeitlich unterscheiden. Auf die organisch-abstrakten Bilder ihrer Frühzeit folgt ihre Version der Sachlichkeit, der sich in den späteren Lebensjahren eine stark geometrische Abstraktion anschließt. Aber: Was heißt späte Jahre? Georgia O’Keeffe, geboren 1887 auf einer Farm in Wisconsin, wurde 98 Jahre alt. Während ihres langen Lebens folgten einander 18 US-Präsidenten. Sie malte bis ins hohe Alter, hatte dann einen treuen Assistenten, der nach ihren Anweisungen töpferte. Als sie 1986 in Santa Fe stirbt, dem kulturellen Mittelpunkt Neu-Mexikos, ist sie längst Grande Dame der amerikanischen Kunst.

Diesen Status hat sie sich hart erarbeitet. Als sie der Fotograf, Galerist und begnadete Kunstvermittler Alfred Stieglitz 1916 als Zeichnerin mit den Worten entdeckt, „Endlich eine Frau auf Papier!“, und ihr im Jahr darauf ihre erste Einzelausstellung in seiner Galerie „291“ ausrichtet, ist sie eine unbekannte junge Frau vom Lande. Stieglitz „macht“ sie, in seinem Umfeld lernt O’Keeffe die wichtigsten Künstler New Yorks kennen. Sie ist ins Zentrum der Avantgarde geraten.

Stiglitz wird ihr Liebhaber, Mentor und Anreger

Der 23 Jahre ältere Stieglitz wird ihr Liebhaber (und später Ehemann), ihr Mentor, Anreger und Ansprechpartner. Diese enge Beziehung bereitet den feministischen Interpretinnen der Kunst O’Keeffes Kopfschmerzen. Seit der Wiederentdeckung ihrer Kunst um 1970 nach einer langen Zeit der Missachtung unter der Vormacht erst des Abstrakten Expressionismus, dann der Pop-Art, wird Stieglitz’ Rolle kleiner geredet, als sie – nach übereinstimmenden Biografien beider Künstler – tatsächlich war.

Es ist doch gerade das Faszinierende an dieser Künstlerbeziehung, dass beide sich gleichgewichtig entwickelten, ohne den wechselseitigen Einfluss je zu leugnen. Die Mühe, die O’Keeffe nach dem Tod ihres Mannes 1946 auf sich nahm, dessen große, ungeordnete Sammlung zu sichten und auf diverse Museen zu verteilen, um seine Leistung dauerhaft ins Bewusstsein zu rücken, spricht in ihrer Noblesse für die Qualität dieser Beziehung. Darum kommt die Wiener Ausstellung denn auch nicht herum. Sie zeigt eine erkleckliche Anzahl Fotografien von Stieglitz parallel zu den gleichzeitigen Gemälden O’Keeffes. Am Sommersitz der deutsch-amerikanischen Familie Stieglitz am Lake George nördlich von New York fotografiert Stieglitz Wolken, aber auch die ortstypischen Gebäude – und O’Keeffe malt sie.

In den Jahren, da das Ehepaar ultramodern im 30. Stockwerk eines New Yorker Hochhaushotels wohnt, macht er sachliche Aufnahmen von Neubauten, während sie die Skyscraper in Untersicht wortwörtlich als „Himmelskratzer“ malt. Auch die Neu-Mexiko-Motive, die das Spätwerk der Malerin dominieren, hat sie anfangs am Lake George gemalt: Dorthin ließ sie sich per Post sonnengebleichte Knochen schicken, die sie bei ihren ersten Besuchen im Südwesten ab 1929 gefunden hatte. Aufsehen erregte 1928 der angekündigte Verkauf von sechs ihrer Blumenbilder für zusammen 25 000 Dollar – zu einer Zeit, da John Marin, eines der engsten Mitglieder des Stieglitz Circle, von einer monatlichen Unterstützung von 100 Dollar leben musste.

O’Keeffe bleibt souverän als Persönlichkeit und in der Kunst

In Neu-Mexiko ließ sich O’Keeffe nach Stieglitz’ Tod auf Dauer nieder. Die farbenreichen Gebirgsformationen – weiße, schwarze oder rot-grün-braune Berge und Täler – malte sie abwechselnd in Nah- und Fernsicht. Für die Darstellung der Indianerbauten im malerischen Ort Taos griff sie auf den neusachlichen Stil der 20er zurück. Mehr und mehr werden ihre Bilder symbolistisch, wenn sie Tierschädel über der Wüstenlandschaft schweben lässt oder einen abgestorbenen Baum vor frisches Grün setzt, als Inbegriff des Kreislaufes des Lebens.

Spät unternimmt O’Keeffe Reisen in die weite Welt. Der Blick aus dem Flugzeugfenster inspiriert sie zu Wolkenbildern, Wolken von oben wie Schafe einer Herde. Solche Abstraktionen nimmt sie auch in ihrem Umfeld vor, hauptsächlich mit der Tür im Hof ihres Adobe-Hauses, zwei Autostunden von Sante Fe entfernt. Die Tür kann schwarz sein oder grün, sie reduziert sich auf ein Farbrechteck inmitten einer andersfarbigen Fläche. Das erinnert an Josef Albers’ Untersuchungen der Wechselwirkung der Farben in seiner Endlosserie „Hommage an das Quadrat“, der Künstler lehrte in den 50ern am Black Mountain College in den USA.

Georgia O’Keeffe lebte die letzten vier Jahrzehnte ihres Lebens weit weg von New York, das sich als Gravitationszentrum der Weltkunst just zu dem Zeitpunkt etablierte, als sie wegzog. Aber sie war keine Einsiedlerin. Sie nahm sehr genau wahr, was in der Kunst vor sich ging, und fand ihre eigenen Antworten. Sie war souverän, als Persönlichkeit wie in ihrer Kunst, dass sie Einflüsse, Wechselwirkungen überhaupt nicht leugnen musste. Ihr Werk steht für sich. Das hat sie erreicht, wie nur wenige Künstler des 20. Jahrhunderts.

Zu den freudianisch angehauchten Interpretationen, die O’Keeffes Werk schon seit den 20ern begleiten, hat sie in ihrer nüchternen Art einmal bemerkt: „Wenn die Leute erotische Symbole in meine Bilder hineinlesen, dann sprechen sie eigentlich von ihren eigenen Angelegenheiten.“

Wien, Bank Austria Kunstforum, bis 26. 3.; Katalog (Prestel-Verlag) 32 €.

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