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Die österreichische Schriftstellerin Anna Baar am Mittwochabend in Klagenfurt bei der Eröffnung des Bachmann-Preises

© ORF

46. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb: Elefanten im Studio

Zurück in den Charts und im Bachmannpreis-ORF-Gärtlein: Die sehr österreichische Klagenfurter Rede zur Literatur von Anna Baar - und der erste Lesetag.

Das neue Ambiente, das die Bachmannpreis-Verantwortlichen für die Lesungen der 46. Tage der deutschsprachigen Literatur geschaffen haben, ist ein wirklich schönes. Eine Bühne im Garten des Klagenfurter ORF-Studios, die Autoren und Autorinnen stehen auf einem Perserteppich und lesen vor sommerlich prächtig grünen Bäumen und Pflanzungen, durch die hin und wieder ein Windhauch weht, und vor ihnen das Publikum in Liegestühlen.

Sommer am Wörther See, Sommer der Literatur.

Und die Jury? Die sitzt wie immer drinnen, im kühl-durchgestylten Studio. Das passt, weil Literaturkritik nichts Sommerliches hat, haben soll. Beinhart geht sie zur Sache: Text, Text, Text. Der ist hier die Party und das Bild kein Messer.

Das Ganze wirkt merkwürdig auseinandergerissen, gerade weil in den letzten zwei Jahren der Wettbewerb coronabedingt digital und dezentral durchgeführt wurde. Was aber eben auch funktioniert hat. Vielleicht also ist diese Zweiteilung eine Lehre aus der Pandemie. Vor dem Bildschirm jedenfalls ist es perfekt: steter Setting-Wechsel! Vor Ort können es nur die Beteiligten sagen.

Die Popliteratur: Banal? Oder Literatur?

Was man am ersten Tag zu hören bekommt, sind typische Klagenfurter Prosa und Diskussionen: Hannes Stein liest einen betulich-biederen, von der Jury in seinen seltsam verdrehten identitätspolitischen Dimensionen zurückgewiesenen Text über einen emeritierten schwarzen Professor in New York, der mit „Die königliche Republik“ einst eine Geschichte der polnisch-litauischen Union schrieb und damit einen Skandal entfachte: „Andererseits konnte ich nicht abstreiten, dass ich Propaganda für ein Land betrieben hatte, das vorwiegend von weißen Europäern bewohnt wurde.“

Eva Sichelschmidt wagt sich formaler weiter aus dem Fenster mit einer Geschichte über den „Körper meiner Großmutter“, die die Jury eher akzpetiert als den Stein-Text. Und nach den ICE-Reiseimpressionen von Leon Engler mit dem Titel „Liste der Dinge, die nicht so sind, wie sie sein sollten“ ist man sich wieder einmal nicht einig – ein Klassiker beim Bachmannwettbewerb – wo Popliteratur anfängt und aufhört, wo sie zur Literatur zählt und wo nicht.

Kastberger wirft Englers Text vor, zu banal zu sein, was Philipp Tingler, der ihn ausgewählt hat, beleidigt auf die Barrikaden bringt: „Sie werfen den von mir ausgewählten Texten immer Banalität vor, Herr Kastberger!“ Um dann empathisch auszurufen: „Das ist Literatur!“.

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Also: Klagenfurter Business as usual. Das schien auch am Abend der Eröffnung so gewesen zu sein, zumindest nach der ersten Lektüre der traditionellen „ Klagenfurter Rede zur Literatur“. Die wurde dieses Mal von der 1973 in Zagreb geborenen österreichischen Schriftstellerin Anna Baar gehalten. Ihr Titel: „Die Wahrheit ist eine Zumutung“.

Als Baar mit Ingeborg Bachmann anhob, mit „Kindern in Strümpfen“, als also die Rede immer österreichischer, um nicht zu sagen: Klagenfurterischer wurde, als Baar von Bachmann zu der 1991 beim Bachmann-Preis ausgezeichneten „Babyficker“-Erzählung des Schweizer Dichters Urs Allemann kam, dann über einen Jörg-Haider-Umweg vom fiktiven zum wahren, ebenfalls mit Preisen ausgezeichneten österreichischen Kinderschänder Franz Wurst, dann vom Euthanasie-Arzt Franz Palla, nach dem in Klagenfurt immer noch eine Gasse benannt ist, zum ersten Bachmann-Preisträger Gert Jonke, dessen Elternhaus in eben jener Gasse stand – ja, da fragte man sich schon: Und sonst ist in der Welt gerade nichts los nach vier Monaten Krieg in der Ukraine?

Auch Handke kommt in Baars Rede vor

Andererseits versteckte Baar in ihrer Rede auch den Hinweis, dass man eben „nicht zum ersten Mal in Zeiten wie diesen versammelt“ sei: „Daran sei erinnert, weil manche die Ära des europäischen Friedens mit bald achtzig Jahren beziffern.“

Und sie fragte, als eben der „echte Krieg“ in Jugoslawien tobte, als „ein großer Dichter Lageberichterstattern gleichsam den Krieg erklärte“ (worüber man bekanntlich sehr geteilter Meinung war), worüber man sich eigentlich beim Bachmann-Wettbewerb 1991 ereiferte?

Doch, diese Rede von Baar war eine verschlungen kunstvolle. Sie vermaß die Kritik an ihrer Klagenfurter Selbstbezüglichkeit gleich mit, (ob Josef Winkler auch wieder bei der Eröffnung war?), trotz aller realer Weiterungen. Und sie wäre noch kunstvoller gewesen, wenn sie nicht in eine Abrechnung mit „flotten Plots, derber Provokation und Betroffenheitsmilde“ gemündet hätte, in der Forderung, „Kindern Geschichten zu geben, aus denen sie Lehren ziehen und sich aufrichten können“. Puh. So viel literarischer Wertkonservatismus hätte nicht sein gemusst.

Der „Elefant in dieser Lesemanege“, vor dem Baar ihre Kollegen und Kolleginnen noch warnte und den sie „unerschrocken bei den Stoßzähnen packen“ sollen, der jedenfalls hat viele Gesichter. Womöglich auch das von Anna Baar.

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