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Neue Räume, neue Bewegungen: Ein Tanzprojekt im Humboldt Forum.

© Stiftung Humboldt Forum Frank Sperling

Serie Humboldt Forum, Teil IX: Einladung zum Mitmachen

Teilhabe im Stadtschloss: Drei Schülerinnen, zwei Tänzer:innen, ein Kurator und der Vorsitzende eines Freundeskreises erzählen, wie sie sich einbringen.

Besuchen ist gut, Mitwirken ist besser: Das Humboldt Forum will ein offenes Haus sein und setzt auf Teilhabe. Hier erzählen drei Schülerinnen, zwei Tänzer:innen, ein Kurator und der Vorsitzende eines Freundeskreises, wie sie sich einbringen.

André Raatzsch, Referatsleiter des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Roma und Sinti in Heidelberg.

© Nihad Nino Pusija

In der Ausstellung „Berlin-Global“ gibt es drei Freiflächen, die von Initiativen und freien Gruppen bespielt werden können. Wir vom Dokumentations- und Kulturzentrum der Deutschen Sinti und Roma haben die Gelegenheit gerne wahrgenommen, die Geschichte unserer Minderheit in diesem Rahmen darzustellen. Die Ausstellung, die mein Kollege Jan Kreutz und ich gestaltet haben, zeigt Biografien seit der Weimarer Republik und legt den Schwerpunkt auf die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma: für eine Anerkennung des Holocausts, gegen Antiziganismus und für eine Normalität als „gleichberechtigte Bürger*innen“ – das ist auch der Titel der Ausstellung.

Sinti und Roma gehören seit über 600 Jahren zu Europa und zu Deutschland. Unsere Geschichte ist Teil der deutschen Geschichte, sie bewegt sich zwischen „Ankommen, Integration“ und „Ausgrenzung“. Die Sinteza Margarete Herzstein zum Beispiel, deren Kleid wir zeigen, war im Kreis ihrer Kolleginnen völlig akzeptiert, eine normale Berlinerin; aber die Nationalsozialisten haben sie – wie 500 000 andere Angehörige unserer Minderheit in Europa – umgebracht. An diese Opfer des Holocaust zu erinnern und den Antiziganismus zu bekämpfen, ist uns wichtig. Dabei geht es um unsere Zukunft in Deutschland, um Akzeptanz, die Stärkung unserer gemeinsamen Demokratie, des Rechtsstaats. Wir würden diese Themen gerne umfassender darstellen, vielleicht in einem eigenen Museum. Die Ausstellung im Humboldt Forum ist ein Schritt in diese Richtung.

André Raatzsch (44) ist Referatsleiter des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Roma und Sinti in Heidelberg. Er hat die Ausstellung „Gleichberechtigte Bürger*innen“ mit kuratiert, die auf einer Freifläche zu sehen ist.

Kaylee (links) und Elli gehen in die 7. Klasse des Thomas-Mann-Gymnasiums im Märkischen Viertel.

© Lina Natterer

Die meisten von uns kannten das Humboldt Forum überhaupt nicht, bevor unsere Klasse für das Projekt „Humboldting!“ ausgewählt wurde. Unsere Schule ist ja auch ganz schön weit weg von Mitte – im Märkischen Viertel! Aber inzwischen waren wir schon an drei Projekttagen dort und kennen uns ein bisschen aus. Wir haben die Räume des Ethnologischen Museums besucht und dort Fotos gemacht: von Objekten, die wir besonders schön oder außergewöhnlich finden oder die uns Angst machen. Echt cool fanden wir das Museum für Asiatische Kunst. Es gab auch eine Schnitzeljagd und viele Spiele, und wir lernen immer Mitarbeiter des Humboldt Forums kennen. Die sind sehr nett und höflich zu uns, wir können sie alles fragen.

Wir haben Interview-Techniken gelernt, die wir auch hier im Märkischen Viertel ausprobiert haben. Zum Beispiel haben wir Leute im Einkaufszentrum befragt, wie sich das Viertel verändert hat. Daraus machen wir gerade Collagen, die vielleicht im Humboldt Forum gezeigt werden. Jede Woche beschäftigen wir uns zwei Schulstunden lang mit dem Humboldt Forum.

Das Projekt soll über fünf Jahre gehen – ganz schön lang, aber es gibt ja auch sehr viel zu entdecken in dem riesigen Gebäude. Das wird sicher nicht langweilig werden. Die beiden Künstler, die sich das alles ausgedacht haben, sitzen wegen Corona in Australien fest, wir haben sie noch gar nicht kennengelernt. Wenn wir jetzt mal mit unseren Familien in Mitte sind, können wir ihnen das Humboldt Forum zeigen.

Kaylee, Elli und Duru (nicht abgebildet) gehen in die 7. Klasse des Thomas-Mann-Gymnasiums im Märkischen Viertel. Ihre Klasse nimmt an dem Schülerprojekt „Humboldting!“ teil.

Manfred Rettig ist Vorstandsvorsitzender der „Freunde des Ethnologischen Museums“ und der „Freunde des Stadtmuseums".

© picture alliance / dpa

Alle Museen im Humboldt Forum haben Freundeskreise: das Ethnologische Museum, das Museum für Asiatische Kunst, das Stadtmuseum, auch die Humboldt-Universität. Die Beteiligung dieser Fördervereine ist wichtig, wenn das Humboldt Forum die Chance nutzen möchte, ein Weltfriedens- und Nachhaltigkeitsforum zu sein in einer immer stärker vernetzten Welt.

Früher traten Fördervereine vor allem als Finanziers auf, die die Museen dabei unterstützten, Ausstellungen zu gestalten oder Objekte zu erwerben. Das ist oft nicht mehr nötig – die Depots sind voll, die öffentliche Finanzierung der Museen auskömmlich. Daher sind Freundeskreise heute vor allem als Bindeglied zur Gesellschaft unverzichtbar. Sie bieten die Möglichkeit für externe Fachleute und Interessierte, sich in aktuelle Debatten – etwa um Restitution – einzubringen. Die „Freunde des Ethnologischen Museums“ etwa haben im November die Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe zu einem Vortrag eingeladen – das war ein sehr anregender Abend.

„Freunde“ zu sein heißt nicht, alles gutzuheißen. Gute Freunde üben auch Kritik! Zum Beispiel am Verständnis von „Partizipation“. Sie darf von den Museumsleitungen nicht nur als Teilhabe derer verstanden werden, die sie selbst ausgesucht haben. Gerade das Humboldt Forum muss offen sein für die Beteiligung weiter Kreise der Stadtgesellschaft. Ohne den Förderverein Berliner Schloss zum Beispiel gäbe es den Neubau nicht! Das Humboldt Forum ist der Ort, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen miteinander in Kontakt treten sollten.

Manfred Rettig (69), bis 2016 Sprecher der Stiftung Berliner Schloss-Humboldt Forum, ist Vorstandsvorsitzender der „Freunde des Ethnologischen Museums“ und der „Freunde des Stadtmuseums“.

Nitzan Moshe (28) ist Tänzerin. Sie stammt aus Israel und lebt seit drei Jahren in Berlin.

© privat

Für uns als Tänzer:innen ist es besonders interessant, mit älteren Menschen und ihren Geschichten zu arbeiten. Für unser Projekt „The Living Room“ im Rahmen der Reihe „Das Forum bewegen“ haben Yotam Peled, Marie Hanna Klemm und ich durch einen offenen Aufruf 16 Menschen über 60 gefunden, die sich auf das Experiment einlassen möchten, das Humboldt Forum „bewohnbar“ zu machen. Es ist eine nomadische Tanz-Performance, mit Workshops und einer öffentlichen Präsentation.

Unsere Arbeit im Humboldt Forum ist mit einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema der Dekolonisierung verbunden. Wir fragen: Wie kann man unsere Körper dekolonisieren? Oder anders: Wie kann man einen Körper, der schon so viel erlebt hat, in dem so viel gespeichert ist, so viele Routinen und Geschichten, befreien – damit er neue Möglichkeiten entdeckt oder Verschüttetes freigibt?

Dazu werden wir unter anderem im Foyer des Humboldt Forums eine Art Wohnzimmer aufbauen, mit Möbeln und Requisiten, und dann mit unseren Teilnehmerinnen ausprobieren: Was passiert, wenn man mit solchen vertrauten Objekten mal ganz andere Dinge tut, sie aus einer anderen Perspektive betrachtet, sich anders darin bewegt? Wir sagen ihnen zum Beispiel: Tu mal etwas ganz Gewohntes, etwa eine Zeitung lesen – aber tu es unter dem Tisch oder mit dem Kopf nach unten … Welche ungewohnten Bewegungen möchtest du in dieser „safe zone“ Wohnzimmer ausprobieren? Was empfindest du dabei? Besucher:innen werden das am 26. März miterleben können. Was dabei genau passieren wird, kann niemand vorhersagen – das ist das Spannende!

Nitzan Moshe (28) ist Tänzerin. Sie stammt aus Israel und lebt seit drei Jahren in Berlin. Die Reihe „Das Forum bewegen – Tanz im Humboldt Forum“ läuft noch bis zum Sommer 2022.

Telmo Branco, nicht-binärer Künstler aus Portugal.

© Rachael Mauney

Als LGBTIQ+-Personen wissen wir: Ein Gebäude wie das Humboldt Forum wurde nicht für uns erbaut, der Neubau nicht und auch das alte Stadtschloss nicht. Queer und Trans Individuen (QT) waren und sind aus Gebäuden, die die kolonialistische und patriarchale Tradition widerspiegeln, ausgeschlossen, wir fühlen uns dort nicht sicher und nicht erwünscht. Diese Realität spiegelt sich auch darin wider, dass die allermeisten Besucher:innen des Humboldt Forums weiß sind, Mittelschicht, cis, heterosexuell – fragen Sie mal, wie viele queere, nicht-binäre, Trans- und BIPOC- Personen im Humboldt Forum arbeiten? Ich habe noch keine getroffen.  

Wenn wir unser Projekt „The March“ zusammen mit Laien im Humboldt Forum performen, dann ist das ein Protest, eine Parade, eine Beerdigung – wir nehmen den Raum und das Gebäude für uns in Besitz, wir feiern unsere Identität und beerdigen symbolisch das Patriarchat mit seinen starren Zuschreibungen und Grenzen. Wir beklagen das Leid, das der Kolonialismus den Körpern und Vorfahren von QTBIPOC angetan hat, und die Doktrin des Geschlechts, die weißen QT fatalerweise aufgezwungen wurde. Wir, das sind weiße und BIPOC-QT: Adrian Marie Blount ist BIPOC Trans und nicht-binär, ich bin weiß Trans und nicht-binär, und wir haben 10 andere QT Individuen gefunden, die sich mit uns auf dieses  Geschehen einlassen möchten. 

Es ist ein sechswöchiger Prozess mit teilweise öffentlichen Proben, am 26. März wird „The March“ präsentiert. Klar, es hat immer die Gefahr von Tokenism, in einem Projekt an solch einer Institution wie dem Humboldt Forum mitzumachen. Aber ich finde, warum sollen wir nicht die Ressourcen nutzen, wenn sie uns angeboten werden? 

Dies gilt umso mehr, als diese Ressourcen für Queer- und Trans-Menschen kaum verfügbar sind. Der Standort des Humboldt-Forums symbolisiert auch Jahrhunderte der Unterdrückung und Auslöschung von Queer- und Trans-Erfahrungen. Eine Institution wie das Humboldt Forum, die aus einer weißen Vormachtstellung heraus agiert und sich gleichzeitig  Begriffe wie „Dekolonisierung“ auf die Fahnen schreibt, muss die aus der Geschichte resultierende Verantwortung erst recht ernst nehmen – da ihr Reichtum und ihre Privilegien durch die Marginalisierung von BIPOC, QTBIPOC und weißen QT entstanden sind. Wir werden diese Ressourcen als einen Akt der Dekolonisierung nutzen, um sichere Räume für QT-Individuen zu schaffen und dabei die Geschichte und das Erbe von QT-BIPOCs in den Vordergrund zu stellen.  

Telmo Branco (30) ist ein interdisziplinärer nicht-binärer Künstler mit Ausbildung in den Bereichen Schauspiel, Performancekunst, Körpertheater und zeitgenössischem Tanz. Die Reihe „Das Forum bewegen – Tanz im Humboldt Forum“ läuft noch bis zum Sommer 2022.

Dieser Artikel ist Teil einer Themenspezial-Serie zum Humboldt Forum. Alle Texte wurden aufgezeichnet von Dorothee Nolte.

Teil I: Hallo Nachbar! Der Schlüterhof und die Passage sind endlich offen. Vier Perspektiven auf die neue Nachbarschaft.

Teil II: Offene Türen: Ab dem 20. Juli können Touristen und Berliner:innen das Innere des Humboldt Forums entdecken. Vier Perspektiven auf Türen - und die Magie des Durchschreitens.

Teil III: Warum Humboldt? Zwei Brüder aus Preußen und ihre Impulse für die Debatten von heute

Teil IV: Bildung für alle. Wie im Humboldt Forum Kultur vermittelt wird

Teil V: Wundert euch! Die Ausstellung der Humboldt Universität im Berliner Schloss

Teil VI: Der Weltkiez. Berlin Global - Die Ausstellung des Stadtmuseums.

Teil VII: So viel Historie. Die Geschichte des Ortes im Humboldt Forum

Teil VIII: Neu kuratiert: Vier Perspektiven auf die Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im Humboldt Forum.

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