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Meisterin des luziden Spiels: die Pianistin Mitsuko Uchida

© Justin Pumfrey/Decca

Pierre Boulez Saal: Eine Wohltat

Das vorerst letzte Konzert? Mitsuko Uchida spielt im Berliner Boulez Saal Mozart und Beethoven. Und man fühlt sich geschützt, wie im Bauch des Walfischs.

Kaum wird das Licht gedämmt, fahren die Rollos lautlos herunter und schirmen die Außenwelt ab. Berlin, Französische Straße, draußen die Corona-Aufregung – plötzlich fühlt man sich im hölzernen Oval des Pierre Boulez Saals wie im Bauch des Walfischs. Ein Mozart-Beethoven-Klavierabend mit der luziden Mitsuko Uchida, es ist eine Wohltat. Musik kann ein Schutzraum sein: Die zahllosen ausfallenden Konzerte der nächsten Zeit fehlen einem schon jetzt.

Schon die schlichte, unschuldige Melodie, mit der Mozarts A-Dur-Klaviersonate KV 494 anhebt, und die quirligen Unruhegeister, die von der 71-jährigen Britin alsbald herbeigelockt werden, passen zu dem nervösen, sich nach Ruhe sehnenden Lebensgefühl dieser Tage. Wie immer legt Uchida eine leichte Ungeduld an den Tag, bremst sich mit minimalen Rubati bei den Oktavsprüngen aus, lässt die Zügel los und ruft sich gleich wieder zur Raison.

Das Andante legt sie als Reverie an, eine Träumerei mit klarem Anschlag und hellwachem Verstand. Die Kunst der Pianistin, noch bei virtuosen Läufen winzige Abstände zwischen den Tönen zu wahren, sorgt nicht nur für Transparenz, sondern auch für Verbindlichkeit, bei allem Mozart'schen Schalk, der in der Sonate aufblitzt. Und jede Wiederholung verwandelt sie in ein vertiefendes, behutsam transzendierendes Nachhorchen.

Wobei der Diminuendo-Schluss des Andante nicht recht gelingen will – umso schöner das knappe, ins Verdämmern mündende Rondo-Ende. Mitsuko Uchida setzt keinen Punkt, lieber zieht sie einen Gedankenstrich.

Wobei die Gedanken natürlich trotzdem abschweifen. So hoch konzentriert das Recital ausfallen mag, die (wenigen) leeren Plätze fallen einem schnell ins Auge. Auch im vergleichsweise kleinen Boulez Saal greifen die Sicherheitsmaßnahmen der Senatskulturverwaltung, fasst er doch etwas mehr Besucher als die jetzt vorgeschriebenen 500. Deshalb wurde der Ticketverkauf leicht reduziert, deshalb spielt die Pianistin vor ausverkauftem Haus, trotzdem waren vor dem Eingang „Suche Karte“-Schildchen zu sehen. Die Veranstalter zeigen sich flexibel: Wer den Konzertbesuch jetzt generell scheut, dem wird der Eintrittspreis zurückerstattet.

Beethovens Diabelli-Variationen: eine Weltreise auf kleinstem Raum

Umso bereitwilliger begibt man sich mit Mitsuko Uchida auf die große Expedition der Beethovenschen Diabelli-Variationen. Eine Weltreise auf kleinstem Raum: Den Marsch nach dem ebenfalls simplen, ja fast banalen Thema meißelt sie in die Tasten. Duftig und trotzdem energisch folgen das Poco allegro, die apart hüpfende 5. Variation und die herrischen c-moll-Vorschläge in der Nummer 6, die in das entfesselte Trillerketten-Presto zum Abschluss des ersten Teils münden.

Ob die schwer wühlenden Bässe der Nummer 12 oder die ewige Ruhe von Variation 20, ob Zartheit, Kontemplation oder Raserei bis an die Grenze zur Dissonanz: Uchida kehrt weniger die Gegensätzlichkeit der Charakter-Miniaturen hervor als deren unterschwellige Verwandtschaft der 33 "Veränderungen über einen Walzer von Diabelli". Und nie verliert sich ihr bei aller Ausdruckskraft doch unaufdringliches Spiel im Augenblick. Schon gar nicht im Manierismus.

Bis Mozarts Schalk im „Don Giovanni“-Zitat wieder aufscheint, und die Bach’sche Polyphonie im Largo. Kein manifestes Zitat, eher eine Reminiszenz, die sich im diffusen Licht der Musikgeschichte verliert. Beethoven im Echoraum, auch eine Art Sozialkontakt. Das Virus kann ihm nichts anhaben.

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