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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

© dpa/Hendrik Schmidt

Eine Soiree mit dem Bundespräsidenten: Babylon Bellevue

Weimar vergeht nicht: Jetzt hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Abend geladen, der der Kunst und Kultur jener kurzen, aber so bedeutsamen Epoche gewidmet war.

Wie lange dauerten die zwanziger Jahre? Man hat den Eindruck, dass sie nie vorübergegangen sind. In Weimar wird das neue Bauhaus-Museum eröffnet, die Berlinische Galerie feiert mit Lotte Laserstein eine Malerin der Zwanziger, das DHM beschäftigt sich mit Weimar und der Demokratie.
Da sind wir gründlich. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Dienstag geladen zu einer Soiree, „gewidmet der Kunst und Kultur der Weimarer Republik“. Vor den Häppchen gab es Happen aus „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich und „Die zärtlichen Verwandten“ mit den Weintraub Syncopators, Kinomythen Jahrgang 1930, und natürlich fehlt da ein Tusch für die TV-Serie „Babylon Berlin“ nicht. Aber wenn nun immerzu und selbst in der politischen Spitze von den Zwanzigern die Rede ist, muss man sich zwei Dinge vor Augen halten: Die Menschen damals kannten das furchtbare Ende jener kurzen dramatischen und traumatischen Phase nicht. Wir wissen Bescheid und müssen vorsichtig sein mit historischen Vergleichen. Sie locken und vereinfachen gefährlich.

Auch bürgerliche Bildung kann in die Barbarei führen

Weltbühne Berlin also, zwischen der Wahl Hindenburgs zum Staatspräsidenten und Orgien mit Josephine Baker: Auf Schloss Bellevue las Matthias Brandt aus den Tagebüchern des Harry Graf Kessler und Thomas Manns Appell an die Deutschen. 1930 konnte sich der Nobelpreisträger, bald ein Exilant, noch nicht vorstellen, dass auch bürgerliche Tradition und Bildung in die Barbarei führen.
Kultur und Politik, das ist Berlins Mantra. Emanzipation und Unfreiheit, stets maximal. Angela Winkler und Christopher Nell brachten Songs aus der „Dreigroschenoper“ vom BE. Barrie Kosky, Chef der Komischen Oper, sprach über die Operette, die musikalische Libertinage der Zwanziger, den Großstadtsound, den die Nationalsozialisten zum Verstummen brachten.
Was kann man daraus lernen? Steinmeier sagt: „Nie war so viel Gegenwart wie in den Zwanzigern.“ Dieses Lebensgefühl sei uns vertraut, diese Dynamik und Beschleunigung, das Aufkommen „neuer Übertragungstechniken“, das „Mehrdeutige“. Berlin 2019 ist nicht Weimar. Je öfter man es hört, desto schwächer klingt es. Niemand kann die Frage beantworten, auch Steinmeier nicht: Warum es uns so verdammt gut geht und dennoch das demokratische System Risse zeigt.

Rüdiger Schaper

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