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Kultur: Eine schrecklich nette Familie

Wunderkinder haben Konjunktur: Achtzig Prozent der Eltern von Dreijährigen sind neuerdings davon überzeugt, dass gerade ihr Kleines in jeder Hinsicht weiter ist als die Gleichaltrigen, außer vielleicht im Umgang mit eben denen - sie sind ihm halt zu langweilig. "The Royal Tenenbaums" ist praktisch der Film zum Wunderkind, ein weiterer Beitrag zum Thema Familie, das den Wettbewerb in diesem Jahr beherrscht.

Wunderkinder haben Konjunktur: Achtzig Prozent der Eltern von Dreijährigen sind neuerdings davon überzeugt, dass gerade ihr Kleines in jeder Hinsicht weiter ist als die Gleichaltrigen, außer vielleicht im Umgang mit eben denen - sie sind ihm halt zu langweilig. "The Royal Tenenbaums" ist praktisch der Film zum Wunderkind, ein weiterer Beitrag zum Thema Familie, das den Wettbewerb in diesem Jahr beherrscht.

Berlinale 2002 Online Spezial: Internationale Filmfestspiele Tagesspiegel: Alle Berichte, Reportagen, Rezensionen Gewinnspiel: meinberlin.de verlost Filmbücher Fotostrecke: Stars und Sternchen auf der Berlinale Zwar klebt das Komödien-Etikett auf "The Royal Tenenbaums", aber über diese Einordnung könnte man streiten, so richtig lustig geht es nämlich nicht zu im Hause Tenenbaum. Deren Mitglieder, über Jahre in alle Welt verstreut, kehren plötzlich peu à peu in den großen New Yorker Familiensitz zurück, wo allein Mutter Etheline (Anjelica Huston), eine gefeierte Archäologin, und der in sie verliebte Steuerberater Henry (Danny Glover) zurückgeblieben sind. Vater Royal (Gene Hackman), ein Playboy alter Schule, hatte sich schon vor Jahren aus dem Staub gemacht. Und die drei Kinder, alle hoch begabt, haben sich in sehr jungen Jahren als Immobilienmakler, Dramatikerin und Tenniscrack hervorgetan. Doch ihre Karrieren fanden jeweils ein frühes Ende, seitdem leben die drei von der Welt zurückgezogen. Unter allen möglichen Vorwänden richten sich der alte Schwerenöter und seine längst erwachsene, aber verschrobene Nachkommenschaft bei der wenig entzückten Etheline häuslich ein. Vervollständigt wird diese Konstellation durch den Bestsellerautor Eli Cash, einen Jugendfreund der Kinder, und durch einen intriganten, indischen Haushälter.

Die Mischung ist brisant, denn Vergangenheit und Gegenwart sind weitgehend unbewältigt: Chas (Ben Stiller), das Finanzgenie, hat seine Frau verloren und leidet seitdem unter Angstattacken, mit denen er wiederum seine kleinen Söhne terrorisiert. Margot (Gwyneth Paltrow) ist unglücklich verheiratet und verbringt ihre Tage rauchend im Badezimmer, Richie (Luke Wilson) schließlich kreuzt seit einem Zusammenbruch auf dem Tennisplatz die Weltmeere und liebt seine Schwester. Verantwortlich für all dieses Unglück, darin sind sie sich einig, ist selbstverständlich Royal Tenenbaum, der seine Vaterpflichten vernachlässigt hat.

Als Hauptschauplatz hat Wes Anderson das Haus der Tenenbaums gewählt, ein mehrstöckiger Kasten mit allerlei Kammern, Verschlägen und verwinkelten Gängen. Es steht in einem zeit- und merkwürdigerweise - obwohl die Adresse genau angegeben wird - auch ortlosen New York, ein durch Licht- und Farbgebung und die Verwendung falscher New-York-Wahrzeichen erreichter Verfremdungseffekt. Dennoch erkennt man die Stadt in jedem Moment des Films, zumindest die Stadt, die, zusammengesetzt aus unzähligen anderen Filmen und literarischen Zeugnissen in der eigenen Phantasie New York heißt. So virtuos spielt Wes Anderson mit deren Mythos. Am lustigsten ist Wes Andersons freundlich-friedliches New-York-Vexierbild wahrscheinlich für New Yorker, die den Prozess der permanenten Mythisierung nicht nur hautnah miterleben, sondern selbst mitgestalten.

Zeitlos sind auch die Kostüme, die kaum jemals gewechselt werden und sowohl zur Charakterisierung als auch zur Stilisierung der Figuren dienen: Hier verfolgt Anderson das gleiche Prinzip wie beim Schauplatz, Realitätsnähe wird nicht angestrebt. So trägt der sich in ständiger Alarmbereitschaft befindende Chas einen feuerroten Trainingsanzug, die zarte, schutzbedürftige Margot einen Pelzmantel und Glacéhandschuhe, der menschenscheue Richie Sonnenbrille, Bart und Stirnband. Auch hier wieder: Nie verliert man die grundsätzliche Gemütsverfassung der Figuren aus den Augen. Aber, und das ist das Erstaunliche, Wes Andersons Figuren sind keine Abziehbilder, sondern voller Leben, Emotionen und Sehnsüchte, und in New York scheinen sie genau richtig aufgehoben zu sein. In der Stilisierung liegt die Stärke dieses intelligenten, amüsanten, liebevollen Films, der ironisch statt albern, subtil statt spektakulär, anrührend statt kitschig ist und lauter große und kleinere Überraschungen bereithält.

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