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Rumpelsänger. Michael Schanze nimmt 1982 mit der deutschen Fußballnationalmannschaft den Song „Olé Espana“ auf.

© Imago

"Fußball ist unser Leben": Eine kleine Geschichte der WM-Songs

Ha! Ho! Heja heja he! Olé, olé, o weh: Beckenbauer & Co. schmetterten einst Schlager. Heute hat jeder Sender sein eigenes Lied. Fußball und Pop sind eine logische Allianz eingegangen.

Als die Bundesrepublik Deutschland 1974 erstmals die Fußball-WM ausrichten durfte und nach den Olympischen Spielen 1972 der Welt ein weiteres Mal ein weltoffenes, geläutertes Deutschland zu präsentieren versuchte, wollte auch der Deutsche Fußball-Bund stimmungsmäßig mit dazu beitragen. Er lud seine Nationalspieler ins Studio, um unter der Leitung des Tennis-Borussia-Berlin-Fans und Produzenten Jack White „Fußball ist unser Leben“ einzusingen, die damals quasi offizielle Hymne der WM, nachdem sich das von der polnischen Sängerin Maryla Rodowicz bei der Eröffnungszeremonie performte Stück „Futbol“ nicht durchgesetzt hatte.

Obwohl mit anderen Talenten ausgestattet, ließen sich die Beckenbauers, Müllers, Maiers und Grabowskis nicht lumpen und schmetterten nicht nur den Refrain aus vollem Herzen mit, sondern vor allem die Zeile „Ha! Ho! Heja heja he“. Auch bei Wim Thoelke trat eine Auswahl auf. Im dunklen DFB-Anzug sangen sie ihr „Schicksalslied“.

Es sind dies die frühen siebziger Jahre. Die popmusikalisch revolutionären sechziger Jahre liegen nicht lange zurück, und es ist dies auch die hohe Zeit des deutschen Schlagers. Doch „Fußball ist unser Leben“ war nicht mal ein Stück für Dieter Thomas Hecks „Hitparade“, sondern mehr für Festzelte: mit Hummtata-Rhythmus, Trompeten, Stampfrasseln und eben jenen Has, Hos und Hejas.

Heutzutage ist man da doch weiter, fortschrittlicher. Man höre nur den offiziellen FIFA-WM-Song „Live It Up“ von Nicky Jam unter Mitwirkung von Will Smith und der kosovarischen Sängerin Era Istrefi an, aufgenommen von dem hippen US-DJ und M.I.A.- oder Major-Lazer-Produzenten Diplo. Oder den anderen, irgendwie ebenfalls offiziellen, weil vom Sponsor Coca-Cola in Auftrag gegebenen FIFA-Song des US-Rappers Jason Derulo: „Colours“ ist ein Stück aus der modernen Pop- und R-&-B-Retorte mit gemeinschaftsstiftenden Zeilen wie „Saying: Oh, can't you taste the feeling, feeling, saying: Oh, we all together singing“.

Der Vergleich zwischen 1974 und heute zeigt, wie sich parallel zu der gewachsenen Bedeutung des Fußballs überall auf der Welt, seiner ökonomischen und politischen Macht, seinem Einfluss auf die Gesellschaft, auch die Bedeutung der Fußballlieder zugenommen hat – was ihre Qualität anbetrifft, mehr noch aber ihre Quantität.

Jeder Kanal hat seinen Song

Das Genre „Fußball-WM-Song“ hat sich zu einem ganz eigenem, höchst unübersichtlichen Pop-Genre entwickelt. Jeder Sender, der die Spiele überträgt, hat einen eigenen WM-Song, die ARD aktuell von den Fanta Vier und Clueso, das ZDF von der US-Band Sir Rosevelt. Es gibt eben jene zwei „offiziellen“ FIFA-Hymnen, so wie schon bei der WM 2006 in Deutschland, Herbert Grönemeyers „Zeit, dass sich was dreht“ und Il Divos „The Time of Our Lives“; es gibt Fußballer, die meinen, WM-Songs veröffentlichen zu müssen, wie dieses Jahr Jérôme Boateng, der mit dem britischen Comedian Jack Whitehall mit „Mannschaft“ einen humorigen Rap-Song aufgenommen hat. Und es gibt Songs, die sich in der Kabine der Mannschaften zu solchen entwickeln, so wie 2006 Xavier Naidoos „Dieser Weg“ oder 2014 Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“. Oder die vom Publikum dazu gemacht werden wie ebenfalls 2006 Sportfreunde Stillers „54 74 90 2014“.

Über die Maßen elaboriert und verfeinert sind WM-Popsongs größtenteils nicht, und doch verdankt sich dieser Bedeutungswandel und ihre zunehmende Wichtigkeit der Tatsache, dass die Fußballer selbst zu popkulturellen Zeichenträgern geworden sind. Viel mehr als früher haben sie modischen Vorbildcharakter, sind sie Rollenmodelle für Generationen vor allem von (vorwiegend männlichen) Teenagern geworden.

Der Fußballer von heute hält nicht nur seinen Körper fit, um auf dem Platz so gut wie möglich zu sein, um Leistung zu bringen. Er stellt diesen auch sonst zur Schau und arbeitet gewissermaßen an seiner außersportlichen Aura. Das beginnt mit den Frisuren, die nicht jahrelang wie bei einem Netzer oder Breitner einfach nur lang waren oder später der Zeit ensprechend sich zu Vokuhilas zurückwuchsen, sondern die alle zwei oder drei Wochen gewechselt werden. Das setzt sich fort in den wilden Tattoos am ganzen Körper bis hoch zum Hals, und das endet bei den immer wieder neuen, oft quietschbunten Fußballschuhen, für die die jeweiligen Sponsoren Sorge tragen.

Zu schweigen von den höchst individuellen Tor-Jubelgesten (die wiederum verraten, dass die Mannschaft eben doch nie alles ist) und nicht zuletzt den inzwischen notorischen Kopfhörern, mit denen die Spieler sich abschotten, wenn sie aus Mannschaftsbussen steigen oder in Flughallen warten – und hinter denen sicher nicht die Hörbuchversionen der Literatur-Charts laufen.

Es gibt also inzwischen eine logische Allianz zwischen Fußball und Pop, der Fußballstar von heute ist Popstar, eine Marke für sich, CR7, wie Christiano Ronaldo sich am liebsten nennt. Diese Entwicklung ist umso auffälliger, bedenkt man, wie sich gerade der DFB trotz des fortschreitenden Einzugs der Popkultur bis in die neunziger Jahre hinein mit wenig Ruhm bekleckert hat mit seinen WM-Songs: „Buenos Dias, Argentina“ von Udo Jürgens ist besser als „Fußball ist unser Leben“, ein echter Schlager, war aber wegen der politischen Situation in Argentinien und der brutalen Militärdiktatur eine einzige Schmach, eine Feier der Ignoranz von DFB-Seite.

Komplett dem kollektiven Vergessen anheim gefallen sind „Olé Espana“ (1982, WM in Spanien) von und mit Michael Schanze, „Mexico, mi amor" (1986, WM in Mexico), von und mit Peter Alexander, und auch „Wir sind schon auf dem Brenner, wir brennen schon darauf“ von Udo Jürgens für die WM 1990 riss es weder schlager- und schon gar nicht poptechnisch raus: „Süden voraus, hinter Tunnels und Staus,/ schon Milano in Sicht/. Kein Blick zurück auf dem Weg in das Glück,/ das Italien verspricht./ Spiele am Strand, schöne Mädchen zur Hand ...“

Inzwischen scheint sich aber einiges getan zu haben. 2016 wurde bekannt, dass zu den Lieblingssongs der Spieler in der Kabine Stücke von Kanye West, Drake, Rudimental, The Weeknd und sogar „No Sleep Til Brooklyn“ von den Beastie Boys gehören. Ob der Rap-Fan Jérôme Boateng hier Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit geleistet hat?

Alle gehören zusammen - in der Hymne immer

Selbst wenn das Popgespür der Sportler und sogar der Offiziellen feinnerviger wird, so gibt es jedoch gerade für die WM-Songs von der FIFA oder auch den Öffentlich-Rechtlichen musikalische und inhaltliche Auflagen. WM-Songs dürfen nicht wehtun. Quengelnde, jaulende Gitarren oder böse, komplizierte Breakbeats sind verboten, ein Muss dagegen gängige Refrains, hymnische Passagen und sich wiederholende „O-oh-oos“ oder „Olé-olés“, in die bei Bedarf ein ganzes Stadion einstimmen kann.

Dazu kommen „Come Together“-Lyrics, Loveparade-artige „One World, One Future“-Slogans, auf die sich ebenfalls alle einigen können, gemixt mit ein paar Zeilen, die sich aufs Spiel beziehen, auf Tapferkeit, Leidenschaft, Größe, den potenziellen großen Tag, die davon künden, dass sich jeder für jeden einsetzt und alle zusammen die Hände für ihre (Haut-)Farben hochhalten, so wie bei Jason Derulo. Das Multikulturelle, das Integrative, das Antirassistische, das Faire, darum geht es, selbst wenn das auf dem Platz sich manchmal doch anders verhält.

Bei so viel Auflagen versteht es sich fast von selbst, dass dieses Genre keine Klassiker produziert, WM-Songs keine lange Halbwertszeit beschieden ist und diese selten über das jeweilige Turnier hinausreichen. Das gehört zum Situativen des Fußballs wie zum Pop, Ausnahmen wie „Three Lions“ von den Lightning Seeds, „You' ll never walk alone“ von Gerry and the Pacemakers und New Orders „World in Motion“ bestätigen diese Regel nur.

Von einem anderen Kaliber ist da nur noch „Fußball ist unser Leben“. Musikalisch selbst mit viel Sinn für Ironie kaum zu ertragen, ist der Refrain unschlagbar. Waren es 1974 nur die Spieler, die durchaus überzeugend von sich behaupten konnten, Fußball sei ihr Leben, so ist diese Zeile wahrer denn je, aber im Pluralis majestatis. Fußball, so scheint es, ist immer mehr unser Leben, und König Fußball regiert die Welt, erst recht in Zeiten einer Fußball-Weltmeisterschaft.

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