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Zwei junge Frauen in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens.

© Michael Kappeler

Roman "Saras Stunde": Eine junge Frau rebelliert gegen das saudi-arabische Patriarchat

Verbote und Zwangsheirat: Der Iraker Najem Wali erzählt in seinem Roman "Saras Stunde" vom Widerstand einer Frau gegen die Schikanen in ihrer Heimat.

Mit einem Paukenschlag hat Mohammed bin Salman Saudi-Arabien im Frühjahr auf die Agenda der internationalen Politik gehoben: Sein Land, erklärte der 32-jährige Kronprinz und stellvertretende Premierminister, erkenne nicht nur das Existenzrecht Israels an, es wolle sich überhaupt umfassend modernisieren. Dazu gehört neuerdings auch die Aufhebung des Autofahrverbots für Frauen.

Ob damit eine Revision der Staatsdoktrin in Gang gesetzt wird? Der 1956 im südirakischen Basra geborene und seit 1980 in Berlin lebende Schriftsteller Najem Wali zeigt sich skeptisch: Neun Monate, erklärte er in einem Interview aus Anlass seines jüngsten Romans, dauere es, bis eine Frau den Führerschein erhalte, und dann befinde eine Kommission darüber, ob er gültig sei. Im Unterschied zu Walis früheren Büchern (zuletzt „Bagdad Marlboro“) spielt „Saras Stunde“ nicht in seiner Heimat, sondern in der Ostprovinz Saudi-Arabiens. 2010 hatte Wali das das wahabistisch-sunnitische Königreich auf Einladung der deutschen Botschaft bereist und dort Geschichten gesammelt. Eine, so ist dem Nachwort des als „Harun Wali“ verkleideten Autors zu entnehmen, lag lange in einem Moleskine-Heft auf seinem Schreibtisch, bis er sich entschloss, den darin festgehaltenen Bericht einer jungen Frau zu fiktionalisieren.

Der Roman setzt ein mit einer Krimi-Szene: Eine junge Frau, Mitte 20, steht am Bett ihres nach einem Attentat genesenden Onkels, Scheich Jussuf al-Ahmad. Sie plant ihn zu töten. Rachegefühle sind Saras treibende Kraft. Sie versetzt sich in eine imaginäre Zwillingsschwester namens Aramco, „die sie sich in ihrer Kindheit ausgedacht hat, um sich hinter ihr zu verstecken.“ Der Scheichonkel, Chef der allmächtigen „Behörde für die Verbreitung der Tugendhaftigkeit und der Verhinderung von Lastern“, verschattet von frühester Jugend an Saras Leben.

Sara opponiert seit frühster Kindheit gegen die Schikanen der Männer

Als Augenstern ihres Vaters Ghazi al-Djassi, der durch Versorgungsverträge mit der US-Airbase in Dhahran zu sattem Wohlstand gekommen ist, wäre Sara eigentlich ein unbeschwertes Leben vorbestimmt gewesen. Doch das Frühchen gerät in Konflikt mit der – jedes Mal in voller Länge genannten – „Behörde“. Schon als Kind opponiert sie gegen deren restriktive Unterweisungen und wird daraufhin bezichtigt, vom Teufel besessen zu sein. Onkel Jussuf arrangiert später sogar die Zwangsverheiratung Saras mit seinem schwulen Sohn Nassir.

Skeptiker. Der in Berlin lebende Iraker Najem Wali.
Skeptiker. Der in Berlin lebende Iraker Najem Wali.

© Thilo Rückeis

Walis Heldin ist eine jener unerschrockenen Frauen in der arabischen Welt, von denen der Autor sagt, sie „kämpfen mit einem Körper aus Glas gegen den Stein“. Insbesondere in der Ostprovinz, wo die saudischen Mädchen durch die Folgen des Golfkriegs mit den freier erzogenen Flüchtlingsfrauen aus Kuwait in Kontakt kommen, erhebt sich Widerspruch. Sara fühlt sich zum Entsetzen ihres Vaters zu einem Handwerker hingezogen, eine Unmöglichkeit in der sozial extrem segregierten und hierarchischen saudischen Gesellschaft.

Wali entwirft ein differenziertes Bild der saudisch-arabischen Gesellschaft

Sara greift zu den „Listen der Frau“, nicht nur gegenüber ihrem Onkel, den sie öffentlich blamiert, sondern auch gegenüber Nassir, mit dem sie später in London lebt und ins Fadenkreuz der staatlichen Terroristenjäger gerät. Sie kommt dabei nicht immer nur als Heldin daher, sondern auch als wenig sympathisches Luxusweibchen, das sich wenig Gedanken um die indischen Bediensteten macht. Sie ist vielmehr damit beschäftigt ist, das Geld ihres Vaters zu verprassen.

Gerade diese Sicht ist jedoch dazu angetan, ein differenziertes Bild der saudisch-arabischen Gesellschaft entwerfen. Eingebettet in die turbulenten Ereignisse seit 1980, die den Krieg ins eigene Land tragen, hat Saras Schicksal etwas Exemplarisches. Dass Wali, obwohl er aus der Perspektive Saras erzählt und in intime Bereiche bis hin zum sakrosankten Jungfernhäutchen vordringt, in Distanz zu ihr bleibt, ist kein Nachteil. Die arabeske, repetitive Sprache, durch die Sätze immer wieder neu ansetzen und sich manchmal über eine halbe Seite hinziehen, hat etwas Sinnbildliches. Saras Kampf mündet nicht in eine wirkliche Befreiung, es verharrt in der Suchbewegung.

Najem Wali: Saras Stunde. Roman. Aus dem Arabischen von Markus Lemke. Hanser, München 2018. 349 Seiten, 23 €.

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