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Nicht totzukriegen. Der Mythos von Dracula, hier gespielt von Gary Oldman im Film "Bram Stokers Dracula" von 1993, Regie von Francis Ford Coppola.

© imago/Cinema Publishers Collection

Ein Vampirroman mit Biss: „Die nicht sterben“ seziert den Dracula-Mythos

Dana Grigorcea blickt in ihrem Roman mit bösem Witz auf die Bedeutung des berühmten Blutsaugers in ihrer Heimat Rumänien.

Kaum ein Genre der Unterhaltungsliteratur ist in den vergangenen Jahrzehnten so erfolgreich vermarktet worden wie der Vampirroman. Vor allem Jugendliche scheinen die schaurig-schöne Idee zu lieben, dass blutsaugende Untote durch die Gegend geistern.

Die Mischung aus morbiden und sexuellen Motiven, die von menschlicher Verletzlichkeit und teuflisch-schöner Ewigkeit handeln, bedient offenbar eine Sehnsucht, die nicht zuletzt im Kino immer wieder für ein Massenpublikum sorgt.

Zentraler Bezugspunkt dieser oft nicht nur kommerziell, sondern manchmal auch künstlerisch überzeugenden Bücher und Filme ist Bram Stokers „Dracula“-Klassiker aus dem Jahre 1897, wobei sich die zeitgenössischen Vampirerzählungen längst vom historischen Vorbild gelöst haben. In „From Dusk Till Dawn“ von Robert Rodriguez werden beispielsweise Elemente aus Gangsterfilm, Roadmovie und Vampir-Splatter furios kombiniert.

Es zeugt demnach von einer gewissen Chuzpe, die alte Geschichte vom nächtlichen Blutsauger noch einmal literarisch anzugehen, und um es vorneweg zu nehmen: Der 1979 in Bukarest geborenen und heute in Zürich lebenden Schriftstellerin Dana Grigorcea ist mit „Die nicht sterben“ ein Dracula-Roman gelungen, der die politische Wirkkraft der historischen Legende in angemessener Form beleuchtet.

Es beginnt schon mit der bewusst etwas dick vorgetragenen Klage über die allgemeine „Sensationslust“, die „journalistische Inkompetenz“ und dem Hinweis der selbstbewussten Erzählerin, nur sie kenne die Wahrheit. Damit ist ein zentrales Themenfeld dieses so komischen wie klugen Buchs abgesteckt. Es geht nämlich der Autorin auch darum, das Wesen des Populismus im postkommunistischen Rumänien zu ergründen, für den die Dracula-Figur eine wesentliche Rolle spielt.

Ökonomischer Niedergang und Korruption

Eine junge Bukarester Malerin besucht nach ihrem Kunststudium in Paris den Ferienort ihrer Kindheit. Die Erzählerin nennt das Dorf in der Walachei, das die Bewohner für eine bedeutende rumänische Kleinstadt halten, in schönster Herablassung nur B., weil sie den „zweifelhaften Ruhm“ des Schauplatzes „nicht zusätzlich befördern“ möchte und weil sich die Geschichte „an vielen Orten auf der Welt hätte abspielen können“.

Zu Ceaucescus Zeiten verbrachte das fantasiebegabte Mädchen also mit Großtante Margot die Sommerferien in B., und zwar in einer Villa, die vor 1945 zum Familienbesitz gehörte, von den Sozialisten aber enteignet wurde. Das hielt die Dame mit großbürgerlichem Gehabe keineswegs davon ab, sich auch während der Diktatur regelmäßig dort einzumieten und das Haus „vom unsäglichen Kommunistenkitsch“ zu befreien.

[Dana Grigorcea: Die nicht sterben. Roman. Penguin Verlag, München 2021. 260 Seiten, 17,99 €.]

Dieser allsommerliche ästhetische Widerstand war dann mit der politischen Zäsur 1989 nicht mehr nötig, da die Villa restituiert werden konnte. Doch schon bald nach der Wende erleben Stadt und Land einen ökonomischen Niedergang, auch weil die Korruption der alten und neuen Eliten nicht einzudämmen ist.

Da kommt es den lokalen Strippenziehern gerade recht, als plötzlich eine verstümmelte Leiche in jener Gruft abgelegt wird, in der Margots verstorbene Cousine beerdigt werden soll. Denn wo der vermutlich gepfählte Mann liegt, soll auch die letzte Ruhestätte des sagenumwobenen Fürsten Vlad III. versteckt sein.

Die historische Figur hinter Dracula

Ob das nun stimmt oder nicht, spielt keine Rolle, denn längst befinden wir uns in einer Welt der Fake News, die für den Dracula-Mythos immer wichtig war: Den Beinamen Draculea erhielt Vlad schon zu Lebzeiten, weil er wie sein Vater wohl Mitglied eines aristokratischen Drachenordens war. Im Rumänischen ist mit dem Wort „drac“ zudem der Teufel gemeint, und so entwickelte sich die Legende auch auf sprachlicher Ebene.

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Für seinen zweifelhaften Ruf war Vlad III. jedoch selbst verantwortlich, denn als rücksichtsloser Herrscher der Woiwoden pflegte er seine inneren und äußeren Feinde mit dem Tod durch Pfählen zu bestrafen. In Pamphleten des 15. Jahrhunderts wird ihm jedenfalls eine blutrünstige Grausamkeit nachgesagt, die in seiner Heimat keineswegs nur negativ beurteilt wird.

Denn immerhin, so heißt es im Volk, habe der Mann die Expansion des Osmanischen Reiches verhindert und die gierigen Großgrundbesitzer bestraft. Womit er bis heute als Projektionsfläche für nationalradikale Hardliner dient, die das Fremde aus Rumänien raushalten und die meist selbst verschuldete Korruption beenden möchten.

Ruchloses Spiel mit der Vergangenheit

Dana Grigorcea hält diesem Populismus nun den literarischen Spiegel vor, indem sie die historische Geschichte in die Gegenwart holt und ihre Heldin nicht nur Dracula-Bilder für sensationslüsterne Touristen malen lässt, sondern sie auch zu einem vampirhaften Racheengel macht. Angetrieben von der Vorstellung, das Blut von Vlad dem Pfähler ströme auch in ihren Adern, driftet sie immer mehr in eine Traumwelt ab, in der schauderhafte Schreie zu hören sind und der Fürst der Finsternis seine kalten Finger auch nach ihr ausstreckt.

Beinahe schon sehnsüchtig erwartet sie ihre „Erweckung“, denn mit ihren neuen Kräften kann sie auch den allzu realen Spuk beenden. Die Gangster des Ortes wollen aus dem Grabmal ihrer Ahnen eine Geschäftsidee machen und in B. einen Dracula-Park aufziehen, um, wie sie sagen, die Gegend wiederzubeleben und dem einzigen Helden der rumänischen Geschichte ein Denkmal zu setzen: „Denn einzig Vlad der Pfähler habe unsere Geschichte markiert, punktiert, eben gepfählt mit aller Entschlossenheit. Vor ihm und nach ihm, und leider auch jetzt, sei Rumäniens Geschichte nur eine öde Weite voller Dummheit und Herdentrieb.“

Doch das ruchlose Spiel mit der Vergangenheit wird den Bojaren der Postmoderne noch leidtun. Denn sie haben ihre Rechnung ohne eine Frau gemacht, die der provinziellen Gemeinschaft, die von Aberglauben und Geldgier geprägt ist, bald wirklich Angst und Schrecken einjagen wird.

Subversion durch Affirmation

Dana Grigorcea weiß die Übergänge und Wandlungen ihrer Hauptfigur mit bösem Witz zu erzählen. Das Lachen bleibt einem allerdings im Halse stecken, wenn zum Beispiel das Dracula-Marketing mit den historischen Mordtaten Vlads kontrastiert wird: „Das perfekte Aufspießen ging durch das vorhandene Loch, der Pfahl wurde vorsichtig mit einem Hammer eingeschlagen, an Nieren und Herz vorbei, zum Mund hinaus oder aus dem Hals, zwischen Kopf und Schulter. Danach wurde der Pfahl angehoben und aufgerichtet, sodass er wie ein Baum war mit schrulliger Frucht.“

Die Reisenden aus der Ferne verspüren wohligen Grusel, wenn ihnen von dem schmerzhaften Foltertod erzählt wird, die verblendeten Einheimischen aber denken noch heute wie vor 550 Jahren und bejubeln die bestialische Marter des Fürsten: „Überall nur Menschen ohne Rückgrat, denen er ein Rückgrat zu geben hatte - den Pfahl!“

„Die nicht sterben“ ist ein aberwitziges, äußerst lehrreiches Stück Literatur, das in seinen erklärenden Exkursen über die Geschichte Rumäniens nie langweilig wird. Im Gegenteil: Grigorcea wirbelt vergangenen und aktuellen Horror so geschickt durcheinander, dass ihr literarisches Programm, das man vielleicht Subversion durch Affirmation nennen könnte, am Ende aufgeht.

Kunst ist hier Bestandteil der Literatur

Diese Schriftstellerin hat Wichtiges zu erzählen, stochert nicht im Befindlichkeitsnebel der eigenen Identität herum, wie es leider in der deutschsprachigen Literatur derzeit beliebt ist. Und sie entwickelt eine im wahrsten Sinne des Wortes passende Bildsprache.

Zahlreiche Gemälde werden in dem Roman erwähnt, dem Beruf der Protagonistin folgend. Die Kunst ist hier kein Dekor, sondern als politisches und ästhetisches Medium ein zentraler Bestandteil der Literatur. Die Macht der Bilder jedenfalls zeigt sich etwa in der Frage, ob der walachische Fürst im kollektiven Gedächtnis heute eine andere Rolle spielen würde, wenn er von Sandro Boticelli oder Leonardo da Vinci gemalt worden wäre.

Außerdem gibt es eine gruselschöne Tennisszene: Eine Vampirin im Nachthemd fordert einen verdutzten Großsprecher zum Flutlichtmatch heraus, schießt ihn vom Platz und vernascht den Gegner nach der demütigenden Niederlage. Um es mit der frankophilen Großtante zu sagen: „Quelle horreur!“

Carsten Otte

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