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Ein Treffen mit der Autorin Olga Grjasnowa: Rastlos in Kreuzberg

„Ich weiß nicht, was Heimat ist“: Ein Porträt der aserbeidschanisch-deutschen Autorin Olga Grjasnowa.

Es ist noch nichts los in der Roten Harfe an diesem extrem kalten Montagmorgen. Nur ein Gast sitzt an einem der vielen Tische, eine junge Türkin, die den Tagesspiegel liest, aus den Boxen ertönt das 98er-Erfolgsalbum der französischen Band Air, „Moon Safari“, das die morgendliche Leere und winterliche Verlorenheit schön illustriert. Auch Olga Grjasnowa ist noch nicht da. Sie hatte die legendäre Bar am Kreuzberger Heinrichplatz als Treffpunkt vorgeschlagen, und tatsächlich scheint dieser Laden ideal zu sein, um sich mit ihr über ihr Leben und ihren Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ zu unterhalten.

Die Rote Harfe hat seit einiger Zeit türkische Betreiber, wie das Bateau Ivre gegenüber ist sie ein Szenetreffpunkt für deutsche und türkische Kreuzberger und Touristen aus aller Welt. Hier spielt es keine Rolle, woher man kommt und wie man aussieht, und ja, hier ist selbst die bewegte Biografie von Olga Grjasnowa nur eine von vielen ungewöhnlichen. Grjasnowa wurde 1984 als Tochter einer Klavierlehrerin und eines Anwalts in Baku, Aserbeidschan geboren, damals noch ein Teil der Sowjetunion. Seit 1996 lebt sie in Deutschland, seit 2008 in Berlin.

„Ich bin ein jüdischer Kontingentflüchtling“, sagt sie, kaum dass sie ihren Mantel ausgezogen hat. „Ich liebe diesen merkwürdigen Ausdruck, die Deutschen wollten damals ihre jüdischen Gemeinden wieder aufstocken“. Grjasnowa gehört zu den über 200 000 jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, die seit 1991 nach Deutschland gekommen sind und nach einer jeweils festgelegten Anzahl auf die Bundesländer verteilt wurden. Die junge Aserbeidschanerin sprach kein Wort Deutsch, als sie in einem Asylbewerberheim im hessischen Örtchen Nieder Mockstadt ankam. In den ersten Monaten ihrer Schulzeit wusste sie zunächst nur selten, welches Fach gerade unterrichtet wurde: „Ich war noch nie so gut in Mathe“, erinnert sie sich. Kurz darauf sagt Grjasnowa, dass sie eigentlich immer Kunstgeschichte studieren wollte und sie, anders als Mascha, die Heldin ihres Romans, sprachlich gar nicht so begabt sei. Dann aber bewarb sie sich im Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und studierte vier Jahre Literarisches Schreiben. Und im selben Atemzug fügt sie noch an: „Die Geschichte mit den Pogromen in Baku, von dem Konflikt zwischen Armeniern und Aserbeidschanern im Anschluss an den Streit um Bergkarabach, die ist mir von einem aserbeidschanischen Asylbewerber erzählt worden, diese Geschichte habe ich gestohlen.“

Es ist nicht ganz leicht, bei diesem Lebenslauf, bekommt man ihn erstmals erzählt, den Überblick zu behalten. Zumal es aus Olga Grjasnowa förmlich heraussprudelt. Von Studienaufenthalten in Warschau, Moskau und Israel spricht sie überdies, mittlerweile studiert sie Tanzwissenschaften. Auch zwischen ihr und ihrer in Frankfurt am Main lebenden, fünf Sprachen beherrschenden Heldin zu unterscheiden, fällt schwer. Die Eckdaten stimmen, gibt Grjasnowa zu. Zudem ist auch ihrer Mascha eine gewisse Rastlosigkeit zu eigen. Ebenfalls aus Baku stammend, kommt Mascha Mitte der neunziger Jahre mit ihren Eltern nach Deutschland, „aber unsere Auswanderung hatte nichts mit dem Judentum, sondern mit Bergkarabach zu tun“, heißt es im Roman. Dann aber geht sie noch, nach dem Tod ihres aus Ostdeutschland stammenden Freundes Elias, nach Tel Aviv, als Dolmetscherin für das Auslandsbüro einer deutschen Stiftung - und streift am Ende noch durch Ramallah und Jenin.

Mascha ist ständig in Bewegung, genau wie ihre Freunde Sami und Cem. Der eine wurde als Sohn eines Schweizer Vaters in Beirut geboren und ist auf dem Sprung in die USA, wo er sich in eine Iranerin verliebt hat. Der andere, Cem, ist Sohn türkischer Einwanderer, in Frankfurt geboren, bilingual aufgewachsen, „der erste aus seiner Familie, der studierte und besseres Türkisch als seine Eltern sprach.“ Olga Grjasnowa erzählt in „Der Russe ist einer, der Birken lebt“ nicht von Migrantenschicksalen, von denen in aktuellen Integrationsdebatten bevorzugt die Rede ist. Von 17-Jährigen, die Probleme haben, eine Lehrstelle zu finden, die Bildungs- und Sprachrückstände haben, deren Eltern eisern an Traditionen und Herkunft festhalten. Nein, Grjasnowas junge Figuren sind begabt, gut ausgebildet, politisch sensibilisiert, privilegiert, ohne dass ihr Leben gleich ein Zuckerschlecken sein würde. Thilo Sarrazin gingen vermutlich die Augen über, würde er diesen Roman lesen.

„Das ist meine Lebensrealität“, antwortet Grjasnowa auf die Frage, ob ihre Figuren vielleicht nicht gerade repräsentativ seien. „Ich kenne gerade in deutschen Großstädten so viele in meiner Generation, die einen ausländischen Hintergrund haben, die Medizin, Psychologie oder Geisteswissenschaften studieren. Bei meinem Bruder auf dem Gymnasium in Frankfurt/ Main waren am Ende in der Abitursklasse nur zwei Deutsche.“

Trotzdem müssen sich Menschen wie Mascha, Sami und Cem noch immer mit ihrer nichtdeutschen Herkunft herumschlagen, werden sie in Deutschland immer wieder darauf hingewiesen, nur „zu Gast“ zu sein. Mascha wird sexuell belästigt, Cems Vater erfährt nach 42 Jahren in Deutschland doch tatsächlich, dass er ein Muslim ist (was ihm vorher sehr egal war), und Mascha registriert die „niedrig“ hängenden NPD-Plakate in Elias’ Heimatort in Ostdeutschland.

Manchmal wirkt es etwas erwartbar, was Mascha und ihre Freunde erleben. Und fast wie aus dem Lehrbuch beleuchtet Grjasnowa im zweiten Teil des Buches noch den israelisch-palästinensischen Konflikt von allen Seiten. Es ist wirklich eine Fülle an Stoff, den sie aufbereitet. Planübererfüllung, wenn man so will: „Ich weiß, dass das etwas viel ist. Aber das musste so sein, gerade, dass Mascha noch einmal das Land wechselt, also nach Israel geht, war wichtig für mich. Ich habe da viel Parallelen zu dem armenisch-aserbeidschanischen Konflikt gesehen“.

Ungeachtet dessen aber gelingt es Olga Grjasnowa sehr gut, das Innenleben ihrer Hauptfigur darzustellen: ihre Unruhe, ihre Wut, ihre Verzweiflung, ihre Versuche, auszubrechen. Diese Figur hat Kraft und Hingabe, die ist überzeugend, sie trägt den Leser durch den Roman. Worüber Mascha bei all dem nie spricht: von Heimat, einem Zuhause. Und doch ist ihre Sehnsucht groß, irgendwo anzukommen.

Grasnjowa sagt dazu:  „Ich weiß nicht, was das ist: Heimat. Das war für mich noch nie wichtig, dieses Wort hat was von Ausschluss, von Ausgrenzung. Es bedeutet Russland den Russen, wie Putin gerade bei einer Wahlveranstaltung gesagt hat, oder Deutschland den Deutschen.“ Und Baku, das Land ihrer Kindheit? Sie verweist darauf, dass sie sowjetische Staatsbürgerin war, dann aserbeidschanische, nun sei sie deutsche Staatsbürgerin. Die Erleichterungen an jeder Grenze der Welt mit dem weinroten Pass weiß sie zu schätzen. Sie wirkt, wie sie das erzählt, ganz pragmatisch. Sentimentale Erinnerungen scheint sie nicht zu kennen. Auch das Schicksal ihrer jüdischen Großmutter, die vor den Nazis von Weißrussland nach Aserbeidschan floh, schildert sie eher distanziert. In ihrer Geburtsstadt war sie seit ihrer Ausreise nur noch einmal. „Baku war nicht mehr die Stadt, die ich kannte, weltoffen, multikulturell, sondern sehr aserbeidschanisch, monokulturell.“ Zu Hause sei sie „plusminusdrei Kilometer von hier, in Kreuzberg.“ Spricht´s und macht sich sogleich auf den Weg zurück in ihre Wohnung in der nahe gelegenen Wienerstraße, um einer Freundin aus Frankreich bei einer Bewerbung zu helfen.

Olga Grjasnowa: Der Russe ist einer, der Birken liebt. Roman. Hanser Verlag, München 2012. 285 Seiten, 19,90€.

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