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Simon Rattle und Lang Lang in der Philharmonie.

© Holger Kettner

Die Philharmoniker und Lang Lang: Ein Tanz im Sturm

Die Berliner Philharmoniker und Lang Lang gehen mit Dvorák, Prokofjew und Chatschaturjan ins Silvesterkonzert.

Die Philharmonie schimmert, alles ist in dezentes Rot getaucht, festlich sieht das aus. Passend zum Jahreskehraus. Und doch wollen wir mal hoffen, dass diese Scheinwerfer, die die Stimmung so poppig aufhellen sollen, gleich im Januar wieder abgebaut werden. Denn natürlich braucht Musik derlei Kniffe und Hilfsmittelchen nicht, um direkt ins Herz zu fahren. Oder in diesem Fall: in die Beine.

Denn Simon Rattle und die Philharmoniker haben sich fürs diesjährige Silvesterkonzert (noch einmal am heutigen Dienstag, 17.30 Uhr) für sinfonische Tänze entschieden – die freilich nicht dazu gedacht sind, tatsächlich einen Run aufs Parkett auszulösen. Es sind Meisterwerke der Kunstmusik, in Rhythmus und Struktur fußend auf traditionellen Volkstänzen, aber längst künstlerisch überhöht, abstrahiert vom realen Tanz, untauglich für Kneipe oder Ballsaal. Darin ähneln sie dem Lied, das ja auch einst unter konkreten lebensweltlichen Bedingungen entstand, um dann, bei Schubert oder Schumann, zum Kunstlied sublimiert zu werden.

Was Tänze angeht, kommt man an Osteuropa kaum vorbei. Und so wird es ein stark slawisch gefärbter Abend, mit einem echten Kracher gleich zu Beginn: dem Furiant aus dem achten Slawischen Tanz von Dvoráks op. 46, später gefolgt von weiteren Tänzen aus Dvoráks zweiter Serie op. 72. Hier allerdings tut sich schon ein Problem auf: Alles klingt einen entscheidenden Tick zu massiv, knallig, grell, dick. Der unbedingte Wille der Philharmoniker und ihres Chefs zu ausgelassener Feier- und Böllerstimmung verhindert echte Gelassenheit. Er hat etwas Angestrengtes. Die Last der gewaltigen Instrumentierung, vor allem der Streicher, scheint diese Gebilde zerquetschen zu wollen.

Bei Chatschaturjan ist Rattles Vorliebe fürs Fortissimo angebracht

Besonders deutlich wird das beim Auftritt von Lang Lang. Er und Rattle haben an diesem Abend unterschiedliche Vorstellungen davon, in welche Richtung Prokofjews drittes Klavierkonzert gehen soll. Während Lang ein zartes Tongewölk schafft und den perkussiven Charakter seines Instruments zugunsten einer zerstäubten Klangwirkung aufgeben will – so besonders eindrücklich in der vierten Variation des zweiten Satzes, „Andante meditativo“ – drückt Rattle voll aufs Dynamikpedal und entfacht einen Sturmwind, in dem sich Langs Töne nur allzu oft wie einsame Flocken verirren. Dabei ist der Chinese mutmaßlich näher dran am Komponisten. Prokofjew wollte seinem chromatisch zerrissenem, archaisch auftrumpfendem zweiten Klavierkonzert mit dem dritten explizit ein klassizistisch geglättetes, in seligem C-Dur strahlendes Werk folgen lassen.

Eine Verschnaufpause gewährt der dritte von Hindemiths Symphonischen Tänzen, in dem der Marschcharakter nur unterschwellig angelegt ist, in dem aber gerade auch die Streichergruppe der Philharmoniker zeigen darf, zu welch fabelhaft sämigem Klang sie an diesem Abend dennoch fähig ist. Dann das krachende Finale, Aram Chatschaturjans reißender Säbeltanz aus dem Ballett „Gajaneh“, ein unglaublich populäres Stück und trotzdem von den Philharmonikern zuletzt 1974 (!) gespielt. Stampfende Eisenbahnrhythmen, blendender Siegesoptimismus, Begeisterung für die Sowjetmacht, die Sümpfe trockenlegt, Fabriken baut und dem Volk die Zukunft bringt, Lobpreis für die heroische Armee – all das steckt in Chatschaturjans trotz dieser Klischees brillantem Werk, das 1941 geschrieben wurde. Hier ist Rattles Vorliebe fürs Fortissimo sogar angebracht, denn „so laut wie möglich“ wollte Chatschaturjan seine Musik aufgeführt haben, das bezeugen Freunde. In der Zugabe darf dann Brahms mit seinen Ungarischen Tänzen zeigen, dass auch Deutsche den Tanzteufel im Blut haben können.

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