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Kultur: Ein Schlitzohr in Finnland Tuomas Kyrö und sein Roma-Roman

Vatanescu, ein rumänischer Roma, strandet in Finnland. Dort wird er betrogen, ausgebeutet, geschlagen, ausgeraubt und schließlich niedergestochen.

Vatanescu, ein rumänischer Roma, strandet in Finnland. Dort wird er betrogen, ausgebeutet, geschlagen, ausgeraubt und schließlich niedergestochen. Vatanescu, ein rumänischer Roma, strandet in Finnland. Dort wird er akzeptiert, geliebt, unterstützt, gefeiert und schließlich ranghoher Politiker. Was nach zwei grundverschiedenen Geschichten klingt, findet tatsächlich in einem Roman statt. Dabei hätte die Geschichte, die der Finne Tuomas Kyrö in „Bettler und Hase“ erzählt, noch ganz anders ausgehen beziehungsweise anfangen können. Denn als Roma hätte Vatanescu, wie es heißt, „auch andere Optionen gehabt, er hätte Autos oder das Kupfer aus Telefonkabeln stehlen oder eine Niere verkaufen können.“

So aber nimmt er das Angebot von Jegor Kugar, einem russischen Drogen- und Menschenhändler, an. Der versorgt den mitteleuropäischen Markt mit „Tussis zwischen siebzehn und vierunddreißig“, doch auch Kleinvieh macht Mist, und so unternimmt er gelegentlich Touren in den Norden „samt Pfennigsammeln bei den Bettler“. Für Vatanescus Schwester geht es in ein Bordell, für ihn nach Finnland. In Helsinki staffiert ihn Kugar mit Kleidung und Habitus aus: Lächeln „raubt einem Bettler die Glaubwürdigkeit und schlägt sich in schwächelndem Cashflow nieder“. Geschlafen wird in alten Wohnwagen, Nahrung ist knapp, pro Tag ist ein Toilettengang erlaubt. 75 Prozent der Einnahmen gehen an Kugar. Am ersten Tag erbettelt Vatanescu fünf Euro und 80 Cent. Einmal wird er angespuckt.

So weit, so traurig. Doch als die Stadt die Unterkünfte abreißt und Kugar allen Bettlern fristlos kündigt, beginnt eine aberwitzige Odyssee. Der Roman stand wochenlang auf der finnischen Bestseller-Liste und traf der Zeitung „Turun Sanomat“ zufolge „den Lachnerv der ganzen Nation" . Hierzulande trifft „Bettler und Hase" vermutlich eher einen neuralgischen Nerv: Nicht nur Berlin weiß, wie konfliktreich es mit Roma zugeht.

Auf diesem explosiven Hintergrund baut Tuomas Kyrö sämtliche politische Pulverfässer direkt vor der Nase des Lesers auf, um sie dann lustvoll detonieren zu lassen. So wird erst mal allen Vorurteilen Vorschub geleistet, wenn Jegor Kugar dem Roma erklärt, die Sozialversicherungsnummer sei „das direkte Schmuggelboot zur Stütze, zur Sozialhilfe, zur Rente und was es sonst noch gibt“.

Vatanescu begibt sich jedoch lieber zur staatlichen Arbeitsvermittlung. Das Ganze geht grandios schief. Die Szene ist ein Lehrstück über die Projektionen der Mehrheitsgesellschaft. Denn Vatanescu hat weder eine finnische noch eine rumänische Sozialversicherungsnummer. Zunächst nimmt der Beamte einen „arbeitswilligen Mann“ wahr und beschließt, ihm zu helfen und ihn privat zu engagieren. Doch als dem seine Reisebegleitung, der vor der Verfütterung gerettete Hase, aus der Jacke springt, sieht der Arbeitsvermittler prompt eine Ratte: Es folgt ein Slapstick, an dessen Ende der Ruf nach der Polizei und Vatanescus Flucht stehen. Er verdingt sich als Tellerwäscher, Moltebeerensammler, Baustellenarbeiter und führerscheinloser LKW-Fahrer: „Mal wurde Vatanescu als bulgarischer Armiereisen-Iwan, mal als polnischer Miroslaw, Sohn von Bronislaw oder als albanischer Fuchs bezeichnet.“ Nebenbei geschieht so einiges, was ihn bis in ein hohes Staatsamt führt. Lernt man die anderen Figuren des Romans in biografische Abrissen kennen, erfährt man hingegen bis zum Schluss kaum etwas über den Roma: Er ist, was die Anderen aus ihm machen.

In seinem Buch „Europa erfindet die Zigeuner“ beschreibt der Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal den Prozess, in dem die Romvölker zur verachteten Minderheit wurden. Da ihnen eine eigene Identität abgesprochen wurde, traten an deren Stelle Fremdbilder. Diese beinhalten auch Wunschprojektionen des Exotischen, Unzivilisierten und Fremden. Genau das macht Kyrös Roman so interessant: Vatanescu kann schier alles sein, die Mehrheitsgesellschaft weist ihm die Rollen zu, die der Roma notgedrungen erfüllt. Damit ist Kyrö ein so lustiger wie trauriger postmoderner Schelmenroman gelungen. Elke Brüns

Tuomas Kyrö:

Bettler und Hase.

Roman. Aus dem

Finnischen von

Stefan Moster.

Hoffmann und Campe, Hamburg 2013. 320 S., 19,99 €.

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