zum Hauptinhalt
Der Londoner Auktionsriese Christie's bot schon 2019 Online-Verkäufe an. Hier "Girl with Balloon" vom Street-Art-Künstler Banksy.

© Kirsty Wigglesworth/dpa

Ein neues Zeitalter im Kunstmarkt?: Wie digitale Auktionsangebote den Kunsthandel aufmischen

Corona hat den Kunstmarkt radikal verändert. Auktionen finden vor allem Online statt. Für Galeristen und Kunstmessen könnte das katastrophale Folgen haben.

Bisher hat sich eine Branche mit Milliardenumsätzen ungefragt auf die Macht der Preisdatenbanken im Auktionshandel verlassen. Dabei sind diese Quellen für Sammler wie Händler das wichtigste Instrument für einen Preischeck und die Entscheidung beim Kauf von Kunst. Preisdatenbanken liefern Kennzahlen wie Auktionsumsatz, Platzierung im internationalen Ranking, zur geografischen Verteilung der Werke eines Künstlers oder seiner Preisentwicklung. In den letzten 15 Jahren wurden sie zum Gradmesser für jede handelbare Künstlerposition.

Diese Marktmacht scheint nun gebrochen. Corona hat für die vorherrschende Stellung der Preisdatenbanken wie z. B. Artprice, Artnet, Invaluable ein neues Zeitalter eingeläutet. Wenn diese nicht aufpassen, wird es der Abgesang. Lange schienen der Handel und die auf Transparenz bedachten Internetanbieter sich auf eine Zusammenarbeit geeinigt zu haben. Dieses Modell zerfällt nun.

Führende und mittelgroße Auktionshäuser tragen immer weniger ihre Versteigerungsergebnisse in die Datenbanken ein. Corona hat das Modell der Online-Only- und Online-Live-Auktionen gestärkt, deren Angebote sich seit geraumer Zeit weniger in den Datenbanken wiederfinden.

„Beim gedruckten Auktionskatalog und der Ergebnisliste gibt es vollkommene Transparenz. Bei Online-Auktionen kann ein Los zurückgezogen werden und taucht dann häufig nicht mehr auf, da es oftmals gelöscht wurde.

Wurden Lose mal nicht verkauft, werden solche Lots in manchen Auktionshäusern auch gelöscht, um zudem die Verkaufsquote positiver erscheinen zu lassen“, so Dirk Boll, Präsident von Europa & Großbritannien, Mittlerer Osten und Afrika beim Auktionshaus Christie’s, jüngst in seinem Vortrag im Berliner Waldorf-Astoria-Hotel.

Lückenhafte Transparenz

Von artprice.com – mit 4,5 Millionen Abonnenten der größte Anbieter – wird das Problem bestätigt. Ohnehin sind nicht alle Auktionen bei artprice.com erfasst. So würden nur drei Viertel des Auktionsmarktes eingespeist, heißt es. Das bedeutet: Bei einem bisher jährlichen Anstieg von zehn Prozent auf 800 000 eingetragene Lose gab es bereits zuvor Lücken – also noch bevor die Pandemie viele klassische Auktionshäuser dazu verleitete, ebenfalls online zu gehen, um die Zeit des Lockdowns mit Umsätzen zu füllen.

Ein Beispiel dafür ist das Auktionshaus Grisebach mit seiner ersten Online-Auktion zwischen dem 19. Juni und 5. Juli, bei der 120 Lose der Gegenwartskunst aufgerufen wurden. Bei einer Verkaufsquote von 90 Prozent verzeichnete Grisebach Zuschläge für über 200 000 Euro. Wurden hier die Lose noch sogleich registriert, sahen die Datenbanken bei der ersten Online-Auktion von Karl & Faber in München davon zunächst noch ab.

Die Folge: lückenhafte Transparenz, ein zunehmend ungenaues Bild der Gegebenheiten im Auktionshandel. Lange ging der Handel mit den Anbietern von Datenbanken Hand in Hand. Die Auktionshäuser übermittelten ihre Angebote und anschließend die Ergebnisse.

Dabei halfen ihnen die kostenlosen Auktionsankündigungen, Käufer zu akquirieren. Auf diese Weise entstand seit Einführung des massenhaften Internets 1993, insbesondere dem Boomjahr 2007, ein Preisspiegel für künstlerische Positionen im Sekundärmarkt, der für manche Künstler wie Galeristen jedoch Segen und Fluch zugleich ist.

Denn geht ein Kunstwerk mangels Interesse zurück, wirkt sich das auf den Primärmarkt aus. Es gilt als „verbrannt“. Fallen aber die Auktionslose eines Künstlers gleich reihenweise durch, so gilt der Künstler selbst im Markt als „verbrannt“.

Die Folge: Bei künftigen Verkaufsgesprächen mit dem Galeristen kommen Fragen nach einer neuen Preisgestaltung für Werke des Künstlers auf, wird das Thema nicht gleich von den Sammlern gemieden.

Für viele Galeristen bedeuten die Preisnachlässe das Ende

Bisher wirkte sich die Übersicht über die Preisgestaltung im Kunstmarkt also vor allem positiv für den Käufer aus. Viele Sammler forderten nach geringer ausgefallenen Auktionszuschlägen entsprechenden Nachlass beim Galeristen. Wurden früher für gute Kunden höchstens zehn Prozent Rabatt eingeräumt, so mussten die Galeristen nun Nachlässe bis zu 30 Prozent anbieten.

Ein Dilemma gerade jetzt: Die übliche Marge, bei der sich Künstler und Galerist die Verkaufssumme teilen, ist bereits so schmal, dass eigentlich mehr Umsatz gemacht werden muss, um die Preisnachlässe zu kompensieren und zu überleben.

Diesen Teufelskreis gedenken die Käufer jedoch kaum aufzugeben. Für viele Galeristen bedeutet dies das Ende, und die Kunstmessen werden künftig kaum noch ihre Mietforderungen bei Händlern durchsetzen können.

Die Auswirkungen werden frühestens in einem halben Jahr sichtbar

Die Preisdatenbanken bleiben jedoch bestehen. Allerdings entspricht ihre Darstellung dann noch weniger der Realität als bisher. Der selbst ernannte „Weltmarktführer“ Artprice bekennt freimütig, dass auch für ihn schwer einschätzbar sei, welche Auktionshäuser Daten liefern und welche nicht. Hinzu kommen die Corona-bedingten neuen Auktionsformate.

Frühestens in einem halben Jahr werde sichtbar, so heißt es, welche Auswirkungen die aktuelle Lage habe.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Zugleich verweist der Anbieter darauf, dass Auktionshäuser mitunter nur für Teilbereiche ihrer Versteigerungen die Ergebnisse veröffentlicht hätten. Für sie hat sich die Akquise ohnehin erschwert. Seit Jahren scheuen Einlieferer den Weg ins Auktionshaus, da die Geldzinspolitik keinen Anreiz mehr bietet.

Verkäufer etwa eines Picasso müssten sich anschließend den Kopf zerbrechen, wo sie ihre gewonnenen Millionen derzeit besser anlegen können. Noch schwerer wiegt, dass die Qualität der Ware häufig nicht gut genug ist und das Angebot in der Auktion deshalb durchfällt.

Sollte sich der Trend fortsetzen, verlieren gebündelte Preisdaten an Attraktivität

Die Datenbanken erleben also einen Bedeutungsverlust. Tauchen wichtige Werke wie jener Picasso künftig nicht mehr in den Statistiken auf, gehen wichtige Kennzahlen wie Auktionsumsatz, Platzierung im Ranking, Preisentwicklung verloren. Sollte sich der Trend fortsetzen – gerade bei großen Auktionshäusern wie Christie’s, Sotheby’s und Phillips –, würde das Geschäftsmodell für gebündelte Preisdaten weiter an Attraktivität verlieren und bald schon der Vergangenheit angehören.

Dann wäre auch irrelevant, ob der Verkäufer eines Bildes aus Angst vor einem möglicherweise gescheiterten Verkauf – nicht alle Einlieferungen können mit Garantien von Auktionshäusern abgesichert werden, da auch deren Budget limitiert ist – die Vorgabe macht, den Auktionsverkauf nicht anzuzeigen. Vielleicht gehört auch bald dieses Zugeständnis der Auktionshäuser an ihre Kundschaft der Vergangenheit an.

Sebastian C. Strenger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false