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Kliffs von Dover. Um das Jahr 400 entzündeten hier römische Soldaten allabendlich das Leuchtfeuer von Rutupiae.

© Reuters/Toby Melville

Ein Jugendroman wie ein Ritterfilm: Als die Briten noch Römer waren

Mit 18 Soldat und Sklave: Rosemary Sutcliffs spannendes Historienepos „Die Laternenträger“ erzählt vom Kampf um die Herrschaft in Großbritannien.

Wie „Game of Thrones“, nur ohne Sex und Drachen. Das wäre der unzulässig vereinfachende Kurzinhalt von Rosemary Sutcliffs abenteuerlichem Historienroman „Die Laternenträger“. Der Jugendroman für fortgeschrittene Leserinnen und Leser erscheint zum 100. Geburtstag der Großen Dame der britischen Kinderliteratur in einer bibliophilen Neuausgabe.

Ursprünglich kam er 1959 bei Oxford University Press heraus. Die 1920 geborene Autorin starb 1992 und galt als exzellente Chronistin der britischen Geschichte. Für „Die Laternenträger“ wurde sie mit der „Carnegie Medal“, dem wichtigsten Jugendbuchpreis ausgezeichnet.

Ein saftiges Drama über den Zerfall eines Reiches

Tatsächlich vereint die Lebensgeschichte des 18-jährigen römischen Britanniers Aquila das saftige Drama des Zerfalls des Römischen Reiches mit der persönlichen Tragödie eines jungen Soldaten, der Verluste, Verrat und Entfremdung bewältigen muss. Den Subtext liefert die Frage, was Zivilisation ausmacht und durch welche Tugenden sie entsteht.

Wobei die „Seelöwen“ genannten sächsischen Invasoren Britanniens als „Barbaren“, sprich kulturlose Bösewichter herhalten müssen. Starker Tobak also für ein Kinderbuch, das Begeisterung für Geschichte voraussetzt. Oder zumindest Lust auf fremde Ortsnamen, Völker und botanische Bezeichnungen, die Fantasy-Fans allerdings auch spielend nehmen.

Auch wenn Sutcliffs Kenntnisse des römischen Militärs um das Jahr 400 unbestritten sind: die kaum dokumentierte Epoche der „Dark Ages“ lässt jede Menge Raum für literarische Fantasie.

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Dass mit Aquila ausgerechnet ein Deserteur zum Romanhelden wird, dürfte 1959 gewöhnungsbedürftig gewesen sein. Als seine in Rutupiae nahe Dubris (heute: Dover) stationierte Kavallerieeinheit innerhalb von drei Tagen zurück nach Rom beordert wird, gerät er in einen Loyalitätskonflikt. Doch die Liebe zu Vater, Schwester und Britannien siegt.

Kaum zurück auf dem heimischen Gehöft, metzeln und brandschatzen die Seelöwen sie nieder. Drei harte Jahre muss Aquila als Sklave in Jütland schuften, bis ihm – zurück in Britannien – mit Hilfe seiner von den Sachsen verschleppten Schwester Flavia die Flucht gelingt.

Hass taugt nicht als Lebensmodell

Erfüllt vom heißen Wunsch nach Rache steigt er in der Armee des römisch-keltischen Herrschers Ambrosius Aurelianus zum Kommandeur auf. Doch wie sich das für ein Menschwerdungs-Epos gehört, erkennt der wegen einer piktischen Tätowierung nur „Delphin“ genannte Einzelgänger nach vielen Jahren doch, dass Hass nicht als Lebensmodell taugt. Das ist zwar jugendgerecht erwartbar, aber bis auf das liebliche Ende erstaunlich kitschfrei und differenziert erzählt.

[Rosemary Sutcliff: Die Laternenträger Aus dem Englischen von Astrid von dem Borne. Illustriert von Daniel Seex. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2020, 310 S., 33 €. Für jedes Alter]

Spaß macht im packenden Schmöker auch der weihevolle Ton, den man aus Ritterfilmen kennt. Und die nimmermüde stilistische Vielfalt, mit der Rosemary Sutcliff Naturbilder beschreibt. Sie kennt hundert Arten, Nebel und Dämmerung zu schreiben.

Einmal breitet sich die hereinfallende Dunkelheit in den „in schäbigen Straßen von Venta aus wie ruhiges, graues Wasser“. Ein anderes Mal glüht Ambrosius kaiserlicher Purpurmantel „in der Sonne mit solcher Intensität, dass das Rot alle anderen Farben ringsum aufzusaugen schien“.

Selbst das Kampfgetümmel der großen Schlacht zwischen den Männern von Hengest dem Sachsen und Ambrosius’ Truppe fällt eher bildhaft als blutig aus, wenn die beiden Heeren unter einem tödlichen Pfeilregen aufeinander zu wogen. Im Gegensatz zu „Game of Thrones“ sind die Gewaltdarstellungen jugendfrei.

Der Morgen wächst immer wieder aus der Nacht

Was der Jungensgeschichte jedoch fehlt, sind Frauenfiguren. Aquilas verlorene Schwester Flavia, die – als sie sich wiedersehen – längst mit einem Sachsen zwangsverheiratet ist, und seine Ehefrau Ness bleiben als Charaktere Randnotizen. Rosemary Sutcliff zeichnet eine Männerwelt, in der Aquila mit Weggefährten wie dem Mönch Ninnias und dem Arzt Eugenus zweifelnde Zukunftsdialoge führt.

Eugenus antwortet auf Aquilas Frage, ob die Kämpfe ewig andauern mögen. „Der Morgen wächst immer wieder aus der Nacht, wenn auch vielleicht nicht für die Menschen, die die Sonne untergehen sahen. Wir sind die Laternenträger“, sprich die Vorkämpfer einer alle Stämme Britanniens vereinenden Zeit. Ihr Hoffnungsträger ist ein Kavalleriekommandeur. Später wird er König Artus genannt.

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