zum Hauptinhalt
Adolf Hitler (m.) steht zwischen Neville Chamberlain (ganz links) und Benito Mussolini (r.).

© dpa

Ein Friede mit fatalen Folgen: Das düstere Erbe der britischen Appeasement-Politik

Neville Chamberlain scheute die Konfrontation mit Nazi-Deutschland. Tim Bouverie erzählt von den Gründen für diese Linie - und ihren bedauerlichen Konsequenzen.

Die Appeasement-Politik der 1930er Jahre ist ein dunkler Fleck in der britischen Geschichte. Warum gelang es nicht, den zunehmend aggressiven Diktator Hitler in die Schranken zu weisen, als dazu noch Zeit und Gelegenheit war? Schlimmer noch: Warum wirkte die britische Politik aktiv daran mit, seine außenpolitischen Forderungen zu erfüllen?

Darüber ist etliches geschrieben worden; insofern war das Aufheben, das in England um „Appeasing Hitler“, das Buch des jungen Historikers Tim Bouverie, gemacht wurde, übertrieben. Jetzt liegt es unter dem Titel „Mit Hitler reden“ auf Deutsch vor.

Naturgemäß schwingt bei der Beschäftigung mit der Politik des britischen Premiers Neville Chamberlain und seiner Getreuen immer ein Gegenwartsbezug mit. Wann gälte es in der Außenpolitik nicht, der Beschwichtigungsgefahr zu widerstehen – man denke an Nordkorea, den Iran oder an Putins Russland.

Als Chamberlain am 30. September 1938 aus Bayern heimkehrte und das berüchtigte Münchner Abkommen mit den Worten „Frieden für unsere Zeit“ adelte, mochte er die Gefahr eines neuerlichen Krieges – nur 20 Jahre nach dem vorangehenden – für gebannt halten. Andere sollten recht bekommen, allen voran Winston Churchill, der als Kriegspremier Hitlers entscheidender Gegenspieler wurde.

Doch Churchill, den Bouverie immer parat hat, wenn es gilt, die Gutgläubigkeit der Appeaser anzuprangern, war vor 1939 eine Figur aus der zweiten Reihe, ein Relikt des britischen Imperialismus. Selbst seine Wahl zum Premierminister im Mai 1940 erfolgte unter dem Murren weiter Teile der Konservativen, seiner eigenen Partei.

Die konservative Sympathie für den Nationalsozialismus

Bouverie hat in den Archiven gestöbert, um aus Briefen und Tagebüchern ein Sittenbild der englischen Oberschicht in der Ära ihres verblassenden Glanzes zu zeichnen. Deutlich stellt er deren Sympathie für den Nationalsozialismus heraus, genährt durch zahlreiche Deutschlandreisen, auf denen sich eine bunte Schar von Emissären, Zuträgern und Hobbydiplomaten gern blenden ließ. Ihr gemeinsamer Nenner war ein tief verwurzelter Antikommunismus.

Der Autor, in England vor allem als Journalist bekannt, lockert die Schilderung der diplomatischen Aktivitäten gern durch Darstellungen des Gesellschaftslebens auf, mit Bällen, Jagd und Pferderennen. Zum Einsatz kommt gern das Mittel des suggestiven Details, so in der Beschreibung Chamberlains. Er tritt auf „in einen grauen Mantel gehüllt, mit gestärktem Kragen und Regenschirm unter dem Arm“.

[Tim Bouverie: Mit Hitler reden. Der Weg vom Appeasement zum Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen von Karin Hielscher. Rowohlt, Hamburg 2021. 704 S., 28 €]

Das Argument der Appeasement-Befürworter, Chamberlains Hinhaltetaktik habe dem Land die notwendige Atempause zur eigenen Kriegsvorbereitung verschafft, findet bei Bouverie – auch das ist nicht neu – keine Gnade.

Mit jedem weiteren Zuwarten verbesserte sich die Schlagkraft der Wehrmacht. Schließlich hatte die britische Regierung den Forderungen Hitlers nichts mehr entgegenzusetzen und beschwichtigte sich mit dem Vorsatz – in den Worten des Botschafters in Berlin, Nevile Henderson –, „nicht wegen Danzig in einen Weltkrieg hineinzuschlittern“.

Lässt sich aus der Geschichte lernen? Kann ein Aggressor aufgehalten, gar ausgeschaltet werden? Vielleicht. Aber dann muss eine Regierung bereit sein, den Krieg zu riskieren. Einen Krieg, wie ihn Chamberlain um jeden Preis vermeiden wollte. Angesichts der Schrecken, die 1939 ihren Ausgang nahmen, ist es im Nachhinein leicht und billig zugleich, mit ihm deshalb ins Gericht zu gehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false