zum Hauptinhalt
Erich Kästner betrachtet im Jahre 1959 nachdenklich sein Ebenbild, die von Bildhauer Frayber geschaffene Bronze-Büste.

© picture alliance / dpa/Goebel

Ein Autor der Ebene: Erich Kästner während des Nationalsozialismus

Als die Nazis die Macht übernahmen, entschied sich der Erfolgsschriftsteller Kästner, in Deutschland zu bleiben. Tobias Lehmkuhl spürt in seinem neuen Buch den Gründen nach.

Von Gisela Trahms

In Dominik Grafs Dokumentarfilm über Autoren, die während der NS-Zeit in Deutschland blieben, zählt Florian Illies die bedeutendsten auf: Benn, Kästner, Fallada, und fährt fort: „Der Interessanteste ist Kästner.“ Nach der Lektüre von Tobias Lehmkuhls Buch wird man Illies zustimmen. Kästner entwischt allen Etikettierungen und erweist sich immer aufs Neue als nicht nur „doppelter“, sondern mehrfacher Erich.

Passend zum Titel beginnt Lehmkuhl mit der Untersuchung des Doppelgängermotivs in Kästners Texten. Gleich das zweite Kapitel heißt „Das Leben, ein Maskenball“. Allerdings sind die romantischen Zeiten, in denen nach dem Fall der Masken das „wahre Ich“ hervorträte, bereits vorbei. Und dass die Mächtigen des „Dritten Reiches“ ganz ohne Maske auskommen und unverhohlen brutal agieren, hat dieser Autor sofort verstanden.

Erich Kästner war ein Jahr älter als das Jahrhundert. In den zwanziger Jahren gelang ihm eine rasante Karriere, nicht nur durch die Kinderbücher, sondern auch mit eingängiger Lyrik (noch heute beliebt bei allen Gelegenheiten), Theaterstücken, Drehbüchern, Satiren, Kritiken - ein Schriftsteller von staunenswerter Produktivität, der sich auf beinahe allen Feldern behauptete.

Vor der Machtübernahme hatte er die Nazis in Gedichten und Kabarett-Texten verspottet, sodass er 1933 sofort auf die Liste der „undeutschen“ Autoren gesetzt und mit eigenen Augen Zeuge wurde, wie die SA seine Bücher ins Feuer warf - alle, bis auf „Emil und die Detektive“, 1929 erschienen, 1931 verfilmt und so populär, dass das Buch den Autor noch ein paar Jahre schützte, ehe es 1936 ebenfalls verboten wurde.

Kästner verspottete Nazis

Warum blieb Kästner dennoch in Berlin, warum emigrierte er nicht? Und wie schaffte er es, auskömmlich zu überleben, trotz des frühen Publikationsverbots? Wie ging er aus den zwölf Jahren Diktatur hervor? Als Vorbild oder mit dunklen Flecken oder beides? In Lehmkuhls eleganter Darstellung liest sich das als spannende Geschichte ohne tragische Höhepunkte, auch solch ein Leben war möglich.

Kein Entwicklungsprozess, kein ideologischer Überbau

Gründlich recherchiert, schildert das Buch die Findigkeit des vormaligen Star-Autors, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, ohne zum offenen Kollaborateur, aber auch ohne zum Märtyrer zu werden. „Einen ästhetisch – ideologischen Überbau hatte er nicht“, stellt Lehmkuhl fest. „Kästner war, wenn man so will, ein Autor der Ebene.“

Darin glich er seinen Lesern, die ihre Haut und möglichst auch das, was sie unter Anständigkeit verstanden, retten wollten. Kästner blieb der desillusionierte, zur Sentimentalität neigende Skeptiker, der er war, ein Entwicklungsprozess fand nicht statt. Deshalb zu erbleichen wie Brechts Herr K., sah er keinen Grund.

So war der Kästnersche Witz nach dem Krieg wiederum überaus erfolgreich. Zum großen Roman über die Jahre der Diktatur, den zu schreiben er sich angeblich vorgenommen hatte, finden sich im Nachlass keine Entwürfe. Die auch bei ihm vorhandene dunkle Seite speist sich aus Privatem: Kästner und seine „Mutti“, das ist Grauen genug. Lehmkuhl dramatisiert nicht, schreibt einfühlsam und taktvoll, urteilt differenziert und verzichtet auf plakative Verteidigung. Kästner war und ist beliebt - nicht zuletzt, weil er durchkam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false