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Eduardo Paolozzi in der Berlinischen Galerie: Als Heckflossen noch cool waren

Eduardo Paolozzi begründete die Pop Art in Großbritannien. Nach langer Zeit sind seine bahnbrechenden Collagen wieder in einer Ausstellung in Berlin zu sehen.

Man möchte sofort auf den Mond reisen, wenn man in dieser Ausstellung steht. Man will eine Maschine umarmen und sein Gesicht im Dekolleté von Marilyn Monroe versenken. Man möchte Coke trinken ohne Ende und Jazz hören und heiraten. Lauter Dinge, die in den 60er Jahren noch als schick und sinnvoll angesehen wurden. Aber: Jetzt ist eine andere Zeit.

Vieles, was in Eduardo Paolozzis knallbunten Collagen und Siebdrucken zu sehen ist, ist heute nicht mehr opportun. Cola ist ungesund und die Ehe ist out. Selbst an schnittigen Autos mit Heckflossen kann man sich nicht mehr hemmungslos erfreuen, weil sie nun mal der Umwelt nicht guttun. Andere Dinge hingegen, die in Paolozzis Bilderkosmos auftauchen, sind aktueller denn je: Menschen verschmelzen immer mehr mit der Technik und alles passiert gleichzeitig. Das hat der Künstler, der 1924 in Schottland geboren wurde und 2005 in London verstarb, schon vorweggenommen. „Modern experience is one big collage“, soll er gesagt haben: die moderne Lebenserfahrung als eine einzige große Collage. Das ist so hellsichtig, dass es in postmodernen Zeiten sogar immer noch stimmt. Die Realität ist ein unendlicher digitaler Bilderstrom – und viele wären wohl erleichtert, wenn ihn jemand sortierte. So wie es Paolozzi in seiner Zeit getan hat.

Die Berlinische Galerie hat mit Eduardo Paolozzi das Werk eines Künstlers nach Berlin gebracht, das hierzulande fast in Vergessenheit geraten ist. Und zu recht sind die Macher glücklich. Die Schau wurde von der Whitechapel Gallery in London übernommen, wo man dem Begründer der britischen Pop Art 2017 eine große Retrospektive ausgerichtet hat. Die Ausstellung ist für Berlin neu zusammengestellt, sie fokussiert auf Paolozzis experimentelle Schaffensphase der 1950er bis 1970er Jahre und auf seine Berliner Zeit.

Paolozzi war 1975 als Gast des DAAD in Berlin. „Das fruchtbarste Jahr seines Lebens“, so ist es in der Ausstellung zu lesen. Hier vollzog er die Abkehr von der gegenwartstrunkenen Bilderwelt der Pop Art und wandte sich abstrakten Motiven zu. Hier richtete man ihm im Kupferstichkabinett und in der Nationalgalerie eine große Retrospektive aus, was für einen Mann, der nur so kurz in Berlin weilte, durchaus ungewöhnlich ist. Der DAAD gab bereits damals einige von Paolozzis Blättern als Schenkung in die Sammlung der neu gegründeten Berlinischen Galerie. Deren ehemaliger Direktor Jörn Merkert erweitere den Bestand des Museums 1997 um Werke aus Paolozzis ikonischer Collageserie „Bunk!“. Die Blätter gelten als die ersten Werke der britischen Pop Art. Paolozzi knallte sie 1952 bei einem Vortrag in London mithilfe eines Projektors an die Wand, was in die Annalen einging.

Scherte sich nie um Traditionen

Die Ausstellung zeigt auch mehrere Blätter aus Paolozzis „Calcium Light Night“-Zyklus, den er während seines DAAD-Aufenthalts in Berlin schuf. Es ist eine Serie von Siebdrucken, bei denen der Künstler ein musikalisches Thema – ein Stück des amerikanischen Komponisten Charles Ives – in abstrakte Farbmuster übersetzt hat. Einige Motive erinnern als Ganzes betrachtet an verrückte Jazzinstrumente, mit Zahnrädern, Blechschläuchen, Tasten und Schallmuscheln bestückt, aus denen sich Melodieschleifen zu schlängeln scheinen. Die Farben sind pastelliger als in den quietschigen Pop-Art-Collagen, als könne man diese Bilder selbständig lauter und leiser drehen.

Eduardo Paolozzi wuchs als Sohn italienischer Einwanderer in Schottland auf. Und vielleicht ist es sein Einwanderergeist, der dafür sorgte, dass er sich in der Kunst nie um Traditionen geschert hat. Er studierte an verschiedenen Kunsthochschulen in Edinburgh, Oxford und London. 1947 ging er nach Paris, sein Interesse für den Surrealismus, für Picasso, Giacometti und Max Ernst zogen ihn dorthin. Er schwelgte, rauschte von Atelier zu Atelier und entdeckte die Collagen der Dada-Kollegen und die Anti-Kunst à la Duchamp.

Interessierte sich für Wissenschaft, Technik und Industriekultur

Die Ausstellung beginnt mit Werken aus Paolozzis früher Phase. Etliche Plastiken aus der Nachkriegszeit sind zu sehen, die bereits deutlich erkennen lassen, was für ein begnadeter Bildhauer er war: ein kleiner kantiger Bulle, derb geknetet, eine Möwe mit Fisch aus rauem Beton, ein Pferdekopf aus schwarzer Bronze, der an Picassos Formensprache erinnert. Der Hals ist elend lang, die Augen zwei dunkle Gruben, die Schnauze endet in einem Rüssel. Paolozzi kam ab den 1950er Jahren als Bildhauer zu internationalem Ruhm. In dieser Zeit hat er sich sehr für Köpfe interessiert, und als Kind seiner Zeit auch für Wissenschaft, Technik und Industriekultur.

Die Ausstellung versammelt mehrere seiner höchst unterschiedlichen Kopf-Skulpturen. Bemerkenswert ist: Paolozzi hat das Verfahren der Collage auf die Bildhauerei übertragen. Er drückte Schrott, Spielzeugteile, Holzstücke, Gewindemuttern oder Klaviertasten in sein Material, zerschlug abgegossene Formen wieder, baute die Splitter neu zusammen. Einige seiner anthropomorphen Figuren sehen aus wie Türme. Und gleichen vielleicht seiner eigenen Physiognomie. Ein „untersetzter, pechrabenschwarzhaariger Künstler, der aussieht wie ein Dockarbeiter“, so beschrieb ihn Tagesspiegel-Rezensent Heinz Ohff 1975.

Flirrende Psychogramme einer beschleunigten Zeit

Ein Jahrmarktgefühl stellt sich ein, wenn man den mittleren Ausstellungsraum betritt. Paolozzi begeisterte sich für Konsumkultur und Massenproduktion, er war Spielzeugsammler. Wie die Surrealisten in Traumwelten einzutauchen lehnte er jedoch ab. Die Realität enthalte bereits alles an Verrücktheiten, fand er. Seine Siebdruck-Collagen sind flirrende Psychogramme einer beschleunigten Zeit. Wie etwa das Blatt „Metallization of a Dream“, das in grellen Farben Roboter, Raketen, Superman, Marylin und Kennedy, medizinische Modelle und Farbfächer zusammenwirbelt. Das ist handwerklich grandios gemacht, Paolozzi experimentierte sehr früh mit dem Siebdruck und machte das Verfahren salonfähig für die bildende Kunst.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der neben etlichen Essays auch ein Interview mit ihm und dem Schriftsteller J. G. Ballard enthält. Die beiden unterhalten sich darin über das Wesen der Wirklichkeit und über die Technisierung der Welt. Sie wünschen sich für ihre Kunst eine Maschine, die jederzeit alle Informationen zur Verfügung stellt. Heute haben wir Google. Man würde gerne wissen, was Paolozzi damit angestellt hätte.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Kreuzberg, bis 28.5., Mi–Mo 10–18 Uhr. Katalog „Eduardo Paolozzi. Lots of Pictures – Lots of Fun“, Deutscher Kunstverlag, 29,80 Euro

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